Ein kleiner Rückblick

Der FC Bayern und das Feierbiest

Bayern München erlebt einen unerwarteten Triumphzug. Nach anfänglichen Schwierigkeiten mit der Spielweise von Trainer van Gaal startet das Team in drei Wettbewerben durch. In der Bundesliga und im DFB-Pokal gewinnt es Titel, in der Champions League belegt es Platz zwei.

München/Düsseldorf Vielleicht muss er im nächsten Sommer den Balkon des Münchner Rathauses mieten, wenn er seinen Ruf noch mal öffentlich bestätigen will. Bislang wurde Louis van Gaal stets eingeladen, sein Talent als selbst ernanntes "Feierbiest" auf dem Marienplatz zu entfalten. Mit dem Oberbürgermeister Christian Ude legte der holländische Fußballtrainer sogar mal ein flottes Tänzchen auf die Balustrade, das nicht nur die Fans des FC Bayern, sondern vor allem die in Trachten gewandeten Spieler entzückte. Für zwei Titel durfte sich das Feierbiest im Zentrum seiner sportlichen Wahlheimat ehren lassen, den Sieg im DFB-Pokal und die Deutsche Meisterschaft. In der Champions League langte es immerhin zur Finalteilnahme (0:2 gegen Inter Mailand). Es war ein großes Jahr für den Rekordmeister, der nicht unbedingt mit der Aussicht auf eine Wiederholung 2011 in die Winterpause gehen musste.

14 Punkte liegt der beste Klub der Republik in der Bundesliga hinter Spitzenreiter Borussia Dortmund, zumindest sind die Hausaufgaben im DFB-Pokal und in der Champions League zur Zufriedenheit erfüllt worden. Dennoch könnte es ein Jahr ohne Titel und tanzenden Trainer werden. Derartige Spielzeiten verbuchen die anspruchsvollen Münchner eher in der Rubrik verlorene Zeit. Hoffnung machen sie sich mit einem Rückblick. Denn auch zum Jahreswechsel 2009/10 war der bayerische Triumphzug über die Fußballfelder im In- und Ausland nicht dringend abzusehen.

Das goldene Jahr 2010 beginnt bereits im Dezember 2009. Genauer: am 8. Dezember. Es ist wie immer lausig kalt im Stadion von Turin. Den Bayern aber wird das nicht bewusst. Sie werden auf den letzten Metern des Jahres so richtig warm in der Champions League, denn sie bestreiten ein echtes Endspiel um den Einzug ins Achtelfinale. Die Kollegen von Girondins Bordeaux haben mit ihrem Erfolg über Juventus Turin dafür gesorgt, dass die Bayern überhaupt mit dieser Aussicht ins Spiel gehen können. Und sie zeigen jene Wettkampf-Qualitäten, für die sie in Europa gefürchtet werden. Mit 4:1 setzt sich der Deutsche Meister durch, und Vereinschef Karl-Heinz Rummenigg bejubelt dankbar "eine magische Nacht, ein historisches Ereignis". Es ist der große Wendepunkt in der Beziehung FC Bayern - Louis van Gaal, die bei einer Niederlage wohl zerbrochen wäre.

Erstmals setzt sich sein Spiel über zwei Halbzeiten auch auf der großen Bühne durch. Das gibt dem Team das typische Münchner Selbstbewusstsein, das "Mia-san-mia-Gefühl". Van Gaal nennt es in seinem manchmal sehr eigenen Deutsch "Vertrauen".

Seine Mannschaft bekommt einen Lauf. Sie hat begriffen, was van Gaal meint, wenn er sein System charakterisiert: "Ich will, dass wir gewinnen und schönen Fußball spielen." Offenkundig hat er die richtigen Akteure. Das Halbjahr der großen Erfolge prägen vor allem drei Spieler. Bastian Schweinsteiger bricht zu einem Marsch in die Weltklasse auf, der am vorläufigen Höhepunkt bei der Weltmeisterschaft Fans auf dem ganzen Globus entzückt. Der einst eher für die Rolle eines netten Lümmels mit passendem Spitznamen ("Schweini") fest gebuchte Mittelfeldmann wird über Nacht zum großen Strategen. Mit dem Holländer Mark van Bommel bildet er das beste defensive Mittelfeld-Duo des deutschen Vereinsfußballs. Und er beweist, dass er einem Spiel Struktur, Tempowechsel und – nicht zuletzt – Schönheit verleihen kann. Nicht nur für das Fachblatt "Kicker" ist Schweinsteiger der Mann des Jahres.

Derartige Wertschätzung verschafft er sich nicht allein, wenn er den Ball nach allen Regeln der Fußballkunst bearbeitet. Schweinsteiger sortiert auch die Abwehr, an der sich in den besseren Mannschaften längst alle Spieler beteiligen müssen. Die Bayern-Erfolge wären unmöglich gewesen, wenn das Team in den wichtigen Spielen nicht extrem eng zusammengestanden hätte. "Kompaktheit" nennen die Trainer diese Fähigkeit. Sie gleicht Probleme in manchen Mannschaftsteilen durch das Kollektiv aus. Hätten sich die Münchner auf ihre im internationalen Vergleich unterdurchschnittlich besetzte Innenverteidigung verlassen müssen, wären sie nicht über die Gruppenrunde hinausgekommen.

Schweinsteigers strategische Kraft ist die Vorbereitung für Arjen Robbens virtuose Solo-Beiträge. Der Holländer verzaubert das Publikum nicht nur mit seinen rasenden Alleingängen, er entscheidet die großen Spiele im Frühling. Auf Schalke bringt sein Treffer die Bayern ins Pokalfinale nach Berlin. In Florenz und Manchester schießt er die Tore, die in den Rückspielen zum Weiterkommen in der Champions League reichen. Er hat dem Münchner Fußball den Spaß gebracht, wofür er früher nicht gerade gerühmt werden durfte. Weil Robben seit der Weltmeisterschaft verletzt ist, hakt es an dieser Stelle in der Bayern-Maschine. Sein Comeback nährt ebenfalls Hoffnungen.

Franck Ribéry prägte das Jahr durch eine öffentliche Sex-Affäre, mehrere offen ausgetragene Meinungsverschiedenheiten mit van Gaal und einen Platzverweis im Champions-League-Halbfinale gegen seine Landsleute aus Lyon. Erst Mitte des Jahres finden die Bayern und der exzentrische Franzose wieder zusammen. Sie geben ihm einen neuen Vertrag. Und er entdeckt die Schönheiten der deutschen Sprache mit dem unverwechselbaren Unterton. "Isch 'abe verlängert", sagt er stolz. Natürlich auf dem Balkon am Marienplatz. Neben dem Feierbiest aus Holland.


Quelle: Rheinische Post