Louis van Granit: Der Bayern-Trainer bleibt stur

Die Bosse haben den Coach vergeblich versucht, in der Torwartfrage umzustimmen. Er bleibt stur. Und sorgt weiter für Wirbel: Auch falls van Bommel bleibt, könnte ihn Lahm schon jetzt als Kapitän ablösen





Louis van Granit: Der Bayern-Trainer bleibt stur




Die Bosse haben den Coach vergeblich versucht, in der Torwartfrage umzustimmen. Er bleibt stur. Und sorgt weiter für Wirbel: Auch falls van Bommel bleibt, könnte ihn Lahm schon jetzt als Kapitän ablösen

DOHA - Ein wenig muss es Christian Nerlinger am Sonntag während des sechsstündigen Rückflugs von Doha nach München mit Flug LH 2571 ergangen sein wie einem Urlauber, der über den Wolken alles noch einmal auf Anfang stellen möchte, die Zeit zurückdrehen. Und zwar auf Montag letzter Woche.

Ach, wie unbeschwert war die Anreise des Bayern-Sportdirektors. Er hatte Luiz Gustavo mit an Bord, den spektakulären Neueinkauf zur Winterpause. Ein Deal, der die Mannschaft verstärkt und ihm zuzuschreiben ist. Als beide vom Fahrservice am Mannschaftshotel „Grand Hyatt Doha“ ausstiegen, trat Nerlinger samt Rollkoffer zuerst durchs feudale Eingangsportal und scherzte mit den Fotografen und Kamera-Teams, die auf Luiz Gustavo warteten. Wie zur Siegespose breitete Nerlinger die Arme aus: Seht her, wie haben’s drauf. Alles läuft.


Wenig später verstand er die Welt nicht mehr. Die Welt des Louis van Gaal, des unberechenbaren Trainers. Der Holländer eröffnete dem geschockten Nerlinger, dass er am Abend zuvor den Torhütern erklärt hatte, dass von nun an Thomas Kraft (22) statt Jörg Butt (36) die Nummer eins sei.

Ein Wechsel ohne Notwendigkeit, eine Entscheidung, bei der sich alle Betroffenen vor Erstaunen verschluckt haben dürften. Bis zum Samstag dauerten die Versuche der Vereinsführung – mit dem Sportdirektor vor Ort und dem Vorstandsvorsitzenden Karl-Heinz Rummenigge sowie Präsident Uli Hoeneß aus der Heimat als telefonische Unterstützung – den Trainer wieder umzustimmen. Doch vergeblich. Nichts zu machen, die Sache ist durch, van Gaal wild entschlossen, hieß es in Doha aus dem Bayern-Lager. Sie beißen auf Granit, auf van Gaal eben.

Der 59-Jährige ist vom Generationenwechsel nicht mehr abzubringen, am Samstag wird Kraft in Wolfsburg sein erstes Bundesligaspiel bestreiten. Van Gaal riskiert, ohne Not, eine Menge. Er spielt holländisch Roulette. In vielen Punkten:

Das sportliche Risiko:

Obwohl Kraft als „größeres Talent im Vergleich zu Rensing“ (Ex-Torwartlegende Oliver Kahn) angesehen wird, kennt der Mann mit der Rückennummer 35 den Druck des Spielbetriebs auf höchster Ebene nicht, die Belastung der englischen Wochen ist neu. Wenn er patzt, wenn Spiele und Titel durch seine Hände gleiten, dürfte er wohl keine zweite Chance erhalten, sein Vertrag läuft ohnehin aus. „Wenn es so kommt, dass ich Nummer eins werde, würde ich mich natürlich sehr freuen“, meinte Kraft in Doha, „mehr möchte ich nicht sagen."

Die Butt-Ohrfeige:

Der 36-Jährige, sonst durch nichts aus der Ruhe zu bringen – klar, der Mann ist Oldenburger – wirkte in Katar angeschlagen, deprimiert. Er wollte sich nicht äußern, sagte nur: „Ich bereite mich auf Wolfsburg vor, ganz normal. So wie man das eben macht.“ Ganz so, als wolle er es nicht wahr haben. Aus dem Verein hieß es, er sei völlig vor den Kopf gestoßen. Nicht einfach, sollte van Gaal seinen Wechsel wieder rückgängig machen (müssen). Der Vertrauensverlust ist wohl nicht mehr zu kitten.

Die Bubi-Abwehr:

Mit Kraft (22), Breno (21) und Badstuber (21) hätten die Bayern ein Abwehr-Zentrum, das bei einem U21-Turnier antreten könnte. Ein Torwart mit drei Pflichtspielen bei den Profis, eine Innenverteidigung, die noch nie zusammengespielt hat. Mit Butt (36), Demichelis (30, jetzt in Malaga) und van Buyten (32) hatte man das Double gewonnen. „Es dauert, bis sich eine Abwehr einspielt, da geht es um Automatismen, das ist immer ein Risiko", sagte Ex-Kapitän und Champions-League-Held Oliver Kahn zur AZ, „die Frage ist auch, wie die jungen Leute mit dem Druck gerade in den Champions-League-Spielen umgehen."

Die Kapitäns-Frage:

Offenbar überlegt van Gaal, den bisherigen Kapitän Mark van Bommel, dessen Verbleib über Ende Januar hinaus ohnehin als unsicher gilt, durch Philipp Lahm zu ersetzen. Auf Nachfrage sagte der Trainer: „Wenn van Bommel bleibt, sind die Chancen sehr hoch, dass er Kapitän bleibt." Sehr hoch? Nicht bei hundert Prozent? Womöglich steht eine zweite Überraschung an, allerdings eine eher risikofreie.

Der Neuer-Transfer:

Die Absicht, den Schalker Nationalkeeper im Sommer zu holen, ist im Vorstand beschlossene Sache. Doch mit der Kraft-Rochade torpediert van Gaal den Plan. Er gibt dem Südkurvenliebling eine Chance. Überzeugt Kraft, ist Neuer den Fans schwer zu vermitteln. Ein weiterer Konfliktherd wäre die Folge.

Das Standing des Trainers:

Erst im Herbst hatte man sich zusammengerauft, alle Alphatiere ihre Macken und ihr Selbstverständnis gegenseitig akzeptiert – und nun das. Selbst Sportdirektor Nerlinger, der Louis van Gaal am nächsten steht, fühlte sich in der Sache Butt/Kraft überrumpelt. „Es wäre schade, wenn das ganze Gebilde nun auseinanderbricht“, sagte Kahn, „im Verein gibt es unheimlich viele Kräfte – und nicht alle arbeiten miteinander.“ Van Gaal jedenfalls sollte in naher Zukunft nicht allzu viele Spiele verlieren.


Quelle: AZ

Zuletzt bearbeitet von Jancker; 10/01/2011 21:37.