Schöner Bericht über Guardiola.

Quelle: welt.de


Als ob Barcelona für Guardiola nur Lehrjahre waren

Tiki-Taka war gestern. Binnen kürzester Zeit brachte Pep Guardiola dem FC Bayern Tiki-Taka-Takissimo bei. Mittwoch dürfte in der Champions League mit Pilsen der nächste Gegner dran glauben.

Es war ein schöner warmer Sommerabend in Niederbayern. Ende Juni, an einem Sonntag, beim ersten Testspiel des FC Bayern München unter Trainer Pep Guardiola. Der Gegner hieß TSV Regen. Neunte Liga. In den Monaten zuvor hatten die Bayern unter Jupp Heynckes Arsenal London besiegt, den FC Barcelona sowie Borussia Dortmund und das Triple geholt. Nach Nou Camp und Wembley nun also ein Dorfplatz in der Provinz.

Die Journalisten arbeiteten an Biertischen auf der Tartanbahn, in der zweiten Spielhälfte gab es sogar ein Stromkabel, und hinter den Presseplätzen stand eine stattliche Figur, ein Fan in einem Arjen-Robben-Trikot. Als die Bayern nach einer halben Stunde 0:1 hinten lagen, sagte der Mann: "Ob das was wird mit dem Pep?" Der Katalane Guardiola saß derweil auf einer harten Trainerbank unter dem Schriftzug "Gäste" und wirkte sehr befremdet von dem folkloristischen Ambiente.

Nun besaß die Momentaufnahme bei diesem Zwischenstand noch keinerlei Aussagekraft, am Ende siegten die Münchner schließlich mühelos 9:1, und doch blieben einige Fragen. Denn allein mit seiner taktischen Aufstellung hatte der neue Bayern-Trainer schon für leichte Irritationen gesorgt. Philipp Lahm als Bastian-Schweinsteiger-Double zentral im defensiven Mittelfeld. Thomas Müller irgendwo im rechten Mittelfeld. Franck Ribéry vorn drin als halbe Sturmspitze, zwischen Offensivstratege und Knipser. Es waren sonderbare Zahlenspielchen auf den einzelnen Positionen. Eine einzelne Sechs? Eine falsche Neun? Und wann kamen die glorreiche Sieben und die wilde Dreizehn? Vielleicht um halb acht?

Ein komplett neues System

Guardiolas Gebilde verwirrte zumindest schon einmal und ließ den Beobachter verunsichert zurück, ob dieses System nur lustigen Testspielcharakter besaß oder schon als richtungsweisend für den Ernstfall zu deuten sei. Selbst der Franzose Ribéry – wenig später zu Europas Fußballer des Jahres gekürt – gab an jenem Tag zu Protokoll: "Der Trainer hat ein komplett neues System. Das ist ein bisschen komisch für uns. Aber wir werden zueinander finden."

Franck Ribéry sollte Recht behalten. Denn gefunden haben sie sich, Pep Guardiola und die Bayern, keine vier Monate später. Schneller als der Konkurrenz lieb sein dürfte, die möglicherweise darauf spekuliert hatte, dass sich Guardiolas Spielsystem nicht auf den FC Bayern übertragen lasse. Dass er seine Fußballphilosophie nicht vermitteln könne. Es stimmt auch, dass Bayern nicht Barcelona ist. Bayern ist nämlich schon besser als Barcelona.

Wie sehr die Münchner Spieler Guardiolas Vorstellungen umgesetzt haben, zeigen neue Fakten aus der Datenbank des Statistiklieferanten Opta. In den ersten neun Bundesligapartien unter Guardiolas Führung spielten die Bayern 6365 Pässe, das macht im Schnitt 707 pro Spiel. Am Samstag beim 4:1 gegen Mainz waren es sogar 817 Zuspiele. Zum Vergleich: Der FC Barcelona kam in seinen ersten neun Ligaspielen unter Guardiola nur auf 6170 Pässe. Tiki-Taka war gestern, jetzt ist Tiki-Taka-Takissimo. Als ob Barcelona für Guardiola nur die Lehrjahre waren. Und er in München nun sein Meisterstück liefern möchte.

"Ich dachte, wir benötigen mehr Zeit"

Auch der Trainer selbst zeigt sich erstaunt: "Es hat mich ehrlich gesagt ein bisschen überrascht, wie schnell die Spieler meine Ideen aufgenommen haben", gab er vor einer Woche in einem Interview mit der Hauspostille "Bayern-Magazin" zu und sagte weiter: "Ich dachte, wir würden dafür deutlich mehr Zeit benötigen, aber das Niveau ist jetzt schon sehr, sehr hoch." Woran das liegt? Der Erfolg liegt bei ihm nicht im fußballerischen Sachverstand und in der akribischen Arbeit, manchmal zwölf Stunden an der Säbener Straße über neuen taktischen Konzepte zu brüten. Pep Guardiolas Stärke liegt vor allem auch in seiner Eigenschaft als Personalführer.

Wer Guardiolas Auftreten auf dem Trainingsplatz und am Spielfeldrand sieht und beobachtet, wie er mit den Spielern umgeht und mit ihnen spricht, denkt manchmal an die Schule. Auch da läuft es in Klassen in der Regel am besten, in denen der Lehrer weder ein sadistischer Schleifer der alten Garde ist noch ein antiautoritärer Waschlappen – sondern ein cooler, sympathischer junger Typ, ein sensibler Feingeist, der einerseits immer ein offenes Ohr für die Nöte der Schüler hat, der aber andererseits genauso konsequent dazwischen haut, wenn ihm etwas missfällt und der an seiner uneingeschränkten Autorität keine Zweifel aufkommen lässt.

Jüngstes Beispiel war das Durchgreifen am Samstag, als er Arjen Robben zurückpfiff, der eigenmächtig einen Elfmeter schießen wollte. Oder auch Pep Guardiolas Aussage im besagten Interview: "Ich bin ein großer Freund meiner Spieler, wenn sie akzeptieren, was ich sage. Wer meine Entscheidungen annimmt, den unterstütze ich – wer das aber nicht verstehen will, wird oft auf der Tribüne sitzen."

Komplette Innenverteidigung fehlt

Auf der Tribüne sitzen wird am Mittwochabend beim Champions-League-Spiel gegen Viktoria Pilsen (20.45 Uhr, ZDF, Sky und welt.de) die komplette etatmäßige Innenverteidigung, wenn auch freilich nicht aus disziplinarischen Gründen. Dante fehlt wegen einer Risswunde im Sprunggelenk, Jerome Boateng wegen seiner Rotsperre aus dem Spiel in Manchester.

Vermutlich dürfen nun Jan Kirchhoff und Daniel van Buyten ran, zu weiteren Alternativen in der Innenverteidigung sagte Guardiola gestern: "Wir haben auch noch Diego Contento und Philipp Lahm." Lahm, der 1,70 Meter große Turm in der Abwehr? Klingt auch spannend.

Mit zwei Siegen über Pilsen in den Spielen am Mittwoch und dann auswärts am 5. November hätten sich die Bayern schon frühzeitig für das Achtelfinale qualifiziert. Pep Guardiola sagte dazu gestern noch: "Am wichtigsten sind die drei Punkte am Mittwoch. Ich denke immer nur an das nächste Spiel."

An Niederbayern denkt er schon längst nicht mehr.


https://www.welt.de/sport/fussball/bundes...ahre-waren.html


Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die der Leute, welche die Welt nie angeschaut haben.
Alexander Freiherr von Humboldt (1769 - 1859)