Senor Sorpresa des FC Bayern
Pep Guardiola alias Mister Wundertüte

Patrick Strasser, 21.02.2014 07:00 Uhr



Wer spielt, wer sitzt? Pep Guardiolas Aufstellung ist für die Spieler jedes Mal eine Überraschung. Wie Bayerns Trainer die Spannung hoch hält, wie er bestraft – und auch mal verzeiht

München - Der Tisch der Spanier hielt am längsten durch, bis nach 1 Uhr. Zwischendurch wurde es in der Latino-Ecke des „Great Ballroom“ im Teamhotel „The Landmark“ laut und lustig. Mittendrin: Señor Pep Guardiola. Immer mehr erfreut sich der Bayern-Trainer an diesem Late-Night-Talk, der Spanier genießt die Afterwork-Stunden.

Ja, er kann sich entspannen. 23 Stunden Fußball müssen reichen, doch womöglich hat er selbst weit nach Mitternacht, einige Stunden nach dem souveränen 2:0 beim FC Arsenal im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League, schon wieder zig verschiedene Aufstellungsvarianten im Kopf. Für Hannover, die nächste Partie am Sonntag (17.30 Uhr/Sky), für das nächste Heimspiel gegen Schalke (1. März), selbst für das Arsenal-Rückspiel in drei Wochen. Immer weiter, immer anders. Denn Guardiola will vor allem eins bleiben: unberechenbar. Kein Spieler darf sich seines Platzes zu sicher fühlen. Denn Pep ist Señor Sorpresa, Mister Wundertüte.

Es ist ein Stilmittel seiner Arbeit, welches sich besonders in der Rückrunde zeigt, da er seinen Kader beinahe beisammen hat. Aktuell fehlen nur Holger Badstuber und Xherdan Shaqiri, selbst der Ausfall von Franck Ribéry, der sein Comeback gegen Schalke anstrebt, fiel nicht weiter auf. Pep geht unbeirrbar seinen Weg, nimmt Risiken in Kauf, vertraut jedoch voll und ganz seinen Spielern. Die AZ beschreibt die Charakteristika seiner Arbeit.

Pep hält die Spannung hoch: Erst eine Stunde vor Spielbeginn erfahren die Profis, wer spielt und auf welcher Position. Damit sollen alle auf Temperatur gehalten werden. Jupp Heynckes oder Ottmar Hitzfeld hatten schon am Vorabend in einem Vier-Augen-Gespräch manchen Profi auf besondere Aufgaben vorbereitet.

Pep probiert und rotiert: Flexibilität ist sein Credo, im Grunde sollte jeder Feldspieler jede Position beherrschen. Sein Idealtypus ist Philipp Lahm, für Pep „der intelligenteste Spieler“. Sein Fernziel: Eine Abwehr-Dreierkette mit Jérôme Boateng, Javi Martínez und Dante, doch das braucht noch Zeit, zu reifen. Jeder Spieler bekommt mal eine Pause, bei Thomas Müller war es schon die dritte in der Rückrunde. „Natürlich bin ich nicht begeistert“, sagte Müller, „aber ich bin schlau genug, jetzt keinen Ärger zu machen.“ Fragt sich nur, wo Pep Bastian Schweinsteiger wieder einbauen will.

Pep bestraft und verzeiht: Mario Mandzukic trainierte im Januar lasch und war eineinhalb Spiele draußen. Toni Kroos pfefferte nach einer Auswechslung die Handschuhe vor die Trainerbank – zwei Spiele Denkpause. Plötzlich bringt Guardiola beide wieder im wichtigsten Spiel der letzten Wochen. Das Mittel, die Profis zu reizen, beherrscht er perfekt. Sie zahlen zurück: Kroos mit seiner besten Saisonleistung, sein Traumtor war einer von 172 (!) Ballkontakten.

Pep richtet sich nach dem Gegner: So begann Lahm diesmal wieder als Rechtsverteidiger, weil Pep Martínez (zuvor beinahe schon abgeschrieben) als kopfballstarken Rammbock im Mittelfeld brauchte. Als es nicht so lief und Boateng rotgefährdet war, stellte Pep einfach wieder um, brachte Rafinha von der Bank und schob Lahm ins Mittelfeld. Da ist Guardiola völlig unprätentiös. Während andere Trainer stur ihren Stiefel durchziehen, denkt Pep an alles und jeden, inklusive Gegner. Eine Schwäche? Eine Stärke!

Quelle: AZ
https://www.abendzeitung-muenchen.de/inha...dba52f5c8a.html


Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die der Leute, welche die Welt nie angeschaut haben.
Alexander Freiherr von Humboldt (1769 - 1859)