Überlegenheit des FC Bayern
AZ-Analyse: Schachmatt durch Großmeister Pep Guardiola

Patrick Strasser, 23.10.2014 17:06 Uhr



Guardiola hat Bayern umgekrempelt. Ein neues Selbstverständnis, modernste Technik und seine Fußball-Obsession führen zu einer Überlegenheit, die im 7:1 beim AS Rom gipfelt.

München –
Solch ein Donnerstag ist Pep Guardiola ein Graus. Nicht wegen des vorwinterlichen Wetters in München, nein: er hat seiner Mannschaft frei gegeben. Selbst schuld. So kann der Bayern-Trainer wenigstens in Ruhe schuften. Videoanalyse am Laptop, DVDs des nächsten Gegners.

Und den schätzt Guardiola ganz besonders, in erster Linie wegen Trainer Lucien Favre. Am Sonntag (17.30 Uhr, Sky live) geht es zu den Gladbachern, dem derzeit einzig halbwegs ernstzunehmenden Verfolger der Bayern. „Lucien kann es schaffen, uns zu stoppen und eine gute Arbeit machen“, sagte Guardiola. Favre hat seinen Kollegen immer wieder gelobt: „Guardiola ist gut für alle. Seine Teams spielen immer schlau.“ Schlau? Nett untertrieben.

Die letzten drei Spiele mit einem Gesamt-Torverhältnis von 17:1 haben gezeigt, wie weit die Bayern im Herbst 2014 bereits sind. Der Faktor für die bestechende Frühform, die den AS Rom daheim ein 1:7-Debakel erleben ließ, heißt Pep Guardiola. „Es stimmt, dass wir gut drauf sind“, sagte Kapitän Philipp Lahm und ergänzte: „Überraschend gut drauf, erstaunlich gut drauf. Wir sind weiter als vor einem Jahr, wir kennen uns jetzt besser.“ Wir – die Mannschaft und Pep.

Die AZ erklärt, wie es Trainer Guardiola regelmäßig gelingt, seine Gegner auszutricksen. Wie ein Schachspieler bewegt er seine Figuren, seine Spieler auf dem Platz. Großmeister Pep – und der Gegner ist schachmatt!

Das neue Selbstverständnis

Früher hat man beim FC Bayern postuliert, der Gegner habe sich gefälligst nach den Roten zu richten. Nach den Bullen wie sie in den 80er Jahren genannt wurden, nach dem Dreamteam, dem weißen Ballett – was für Spitznamen sie auch immer bekamen – kurz: nach dem Rekordmeister eben. Sich taktisch nach dem Gegner auszurichten, war verpönt. Ein wenig Analyse klar, doch „Mia san mia“ bedeutete auch: mia machen unser Ding. Komme, wer wolle. Dieses traditionelle bayerische Selbstverständnis hat Guardiola gekippt. Vertrauen in die eigene Stärke ja, ist gut, aber Kontrolle besser.

Die manische Analyse

Diese Kontrolle heißt, eine Gegner-Prüfung bis in jede Phase der Kontrahenten durchzuführen, bis zum kleinsten Querpass. Die gegnerische Mannschaft wird seziert – und die Schwachstellen präsentiert Guardiola seiner Mannschaft und richtet die Taktik danach aus. Das statische und teils sture Durchziehen der eigenen Ausrichtung ( Louis Van Gaal und teilweise auch unter Jupp Heynckes) gehört der Vergangenheit an. Zwölf Stunden, so schreibt Pep-Begleiter Martí Perarnau in seinem Buch „Herr Guardiola“, arbeite der Trainer täglich für den FC Bayern, davon betreibe er allein sechs (!) Stunden täglich Gegner-Analyse.

Die nächsten Kontrahenten beobachtet er am liebsten selbst. So reiste er nach Turin, um das Duell von Juventus gegen den AS Rom (3:2) im Stadion zu erleben – und verließ dafür sogar Bayerns gemeinsamen Wiesn-Besuch vorzeitig.

Die Hightech-Hilfen

Hat er seine Arbeit gemacht, ist der Gegner also vor Anpfiff der Pep-Taktik ausgeliefert, wirkt der Coach richtiggehend entspannt. In Rom etwa telefonierte er bis kurz vor Anpfiff auf der Bank noch per Handy, er winkte jemandem im Publikum zu. Vor Spielen betritt Guardiola die Kabine nicht, in der Pause nur kurz zur Besprechung. Inklusive Fortschritt durch Technik. „Für die Kurzanalyse pflegt er drei oder vier Spielkonzepte auszuwählen, die es anzusehen lohnt“, schreibt Perarnau, „und für jedes zeigt er zwei oder drei Videos von jeweils drei Sekunden. Insgesamt also etwa zehn Spielzüge, kurz und konkret.“ Damit das dominante Ballbesitzspiel mit hohem Pressing samt Zug zum Tor weiter funktioniert.

Im Fanshop des FC Bayern ist übrigens seit kurzem der neue Schoko-Adventskalender erhältlich. Darauf jongliert Pep Guardiola mit gleich vier Schneebällen. Pep, der Zauberer? Vielleicht doch ein etwas schiefes Bild. Wenn überhaupt, sollte Pep der Gestalter des Weihnachtsbaums sein. Würde der Spanier den perfekten Schneemann entwerfen – er wäre wohl unschmilzbar.

Quelle: abendzeitung-muenchen.de


Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die der Leute, welche die Welt nie angeschaut haben.
Alexander Freiherr von Humboldt (1769 - 1859)