Prüfung für Pep



Auch wenn beim FC Bayern noch niemand Alarm schlagen muss, so hat das 1:4 gegen Wolfsburg doch gezeigt: Trainer Guardiola muss den Personal-Überfluss im Kader moderieren, will er die großen Ziele erreichen.

Kommentar von Christof Kneer

Beim Trainingslager in Katar hatten es die Bayern nicht weit auf den Trainingsplatz, keine 50 Meter trennen dort den Frühstücksraum von der Eckfahne. Das war ein recht hübsches Argument für den umstrittenen Aufenthalt im Emirat, übertroffen wurde es nur von jenem zweiten Argument, das allerdings etwas mehr als 50 Meter vom Trainingsplatz entfernt lag. Man sei halt abergläubisch, hatte Vorstandschef Rummenigge stellvertretend fürs Unternehmen mitteilen lassen; den Trainingslagern in Katar habe man eben stets titelpralle Rückrunden folgen lassen.

Nach dem Rückrunden-Auftaktspiel in Wolfsburg drängt sich allerdings der Eindruck auf, dass ein Trainingslager in der verschneiten Sportschule Oberhaching vielleicht auch gereicht hätte. Ein 1:4 hätte man dort auch üben können, mit Räumen, in denen Mittelfeld und Abwehr so weit voneinander entfernt sind wie Frühstückstisch und Eckfahne.

Nein, das 1:4 in Wolfsburg bietet keinen Anlass für Alarmgebrüll, es wäre unglaubwürdig, den Bayern nach dem Schlusspfiff dieses Spiels einen ebenbürtigen Herausforderer anzudichten, nachdem man sie vor diesem Spiel für unbesiegbar erklärt hatte. Dennoch ist dieses 1:4 geeignet, einen Geist aufzuwecken, an den man nicht mehr erinnert werden wollte. Ja, es gab Passagen in diesem Spiel, die aussahen, als habe man versehentlich ins Champions-League-Halbfinale gegen Real Madrid hineingezappt. Wer es nicht mehr weiß: Die Partie endete 0:4 und gilt vielen als Beleg, dass in Pep Guardiolas idealer Welt leider keine gegnerischen Konter vorkommen.

Kader der 1000 Optionen

Zwar fielen die ersten beiden Tore in jenem Champions-League-Rückspiel nach dem Gegenteil von Kontern, nach Standardsituationen, dennoch wirft das Real-Match bis heute einen Schatten auf Peps Perfektionierungsprozesse in diesem stolzen Verein. So lenkt nun das Wolfsburg-Spiel den Blick schon mal in Richtung Mai/Juni, in jene Monate, in denen die ganz großen Preise vergeben werden. Das Wolfsburg-Spiel deutet schon mal an, welche Herausforderungen auf diesen Trainer zukommen werden: Es geht zum Beispiel um Denkmalpflege.

Pep Guardiola trägt sich bis heute den "big, big mistake" nach, der ihn in besagtem Real-Spiel unterlaufen ist. Er hat sich damals nach stichprobenartiger Spielerbefragung eine Elf aufs Feld quatschen lassen, die er gar nicht wollte. Er hat sich geschworen, nicht mehr solche Rücksichten zu nehmen, und es wird interessant sein zu sehen, wie weit der Schwur trägt. Nimmt man das Wolfsburg-Spiel zum Maßstab, dann hat Guardiola zum Beispiel in seiner Lieblingsgegend im zentralen Mittelfeld zwei mehrfach gekrönte Häupter stehen, Xabi Alonso und Bastian Schweinsteiger, die aber gegnerischen Kontern manchmal mit etwas zu viel Würde begegnen.

Aktuell hat der Trainer wegen der Verletzten keine Wahl, aber es wird Peps große Prüfung in der Rückrunde werden: Wenn die Verletzten zurückkehren, wird er den Überfluss im Kader moderieren und Härten seriös durchsetzen müssen, und er wird jene aufstellen müssen, mit denen er - zum Beispiel - Konter am besten verhindert. Er wird sich nicht verheddern dürfen in einem Geflecht aus Rücksichten, Verdiensten und komplexen taktischen Grübeleien. Es könnte mehrfach titelentscheidend sein, ob dieser hoch qualifizierte Trainer in einem Kader der 1000 Optionen die richtigen erwischt.


Quelle: sueddeutsche.de


Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die der Leute, welche die Welt nie angeschaut haben.
Alexander Freiherr von Humboldt (1769 - 1859)