Neues Erfolgsrezept
Bayerns Gegner setzen jetzt auf diese Taktik


Auch Bayern-Star Arturo Vida gelang gegen Eintracht Frankfurt kein Tor. - (Foto: DPA)

Die Bundesligavereine haben genug. Sie wollen sich nicht länger vom FC Bayern demütigen lassen. Eintracht Frankfurt hat gezeigt, wie es klappen kann. Die Begegnung wird Schule machen.

Spätestens nach der verblüffenden Nullnummer von Frankfurt wissen wir, wozu Menschen fähig sind, die die Angst im Nacken spüren. Heute ist Montag, und noch immer schütteln die Stars des FC Bayern den Kopf angesichts der abscheulichen Mittel, mit denen die armen Säcke der Eintracht am Freitag ihre entsetzliche Unterlegenheit bekämpften.

Kapitän Philipp Lahm staunt: "Ich dachte nach den vergangenen Spielen, dass defensiver als defensiv nicht geht – aber man lernt immer noch dazu." Der Chilene Arturo Vidal geht sogar noch einen Schritt weiter und sagt mit der Kompetenz des Südamerikameisters: "Das ist kein Fußball mehr."

Ganz Frankfurt ist stolz und ob der Tapferkeit aller Eintrachtler hell begeistert, aber umso mehr Bayern und Ästheten rümpfen die Nase und fordern Daumenschrauben, bevor dieser Zweckfußball, der alle Mittel heiligt, übergreift auf die vielen anderen Habenichtse im Elendsviertel der Bundesliga. Die Minimalisten vom Main werden jedenfalls vielfach kritisiert als Frankfurter Würstchen, die keinen Schneid und die Hose vollhaben. Ist das so?

Vehs leidenschaftliches Bekenntnis

Armin Veh, der Trainer der Eintracht, würde an der Stelle die knallharte Antwort geben: "Jein, jein und noch mal jein!" Denn in Wahrheit will Veh einen ganz anderen Fußball spielen, mitreißend und nach vorn, vor der Saison hat er in ein Interview das leidenschaftliche Bekenntnis gepackt: "Nur defensiv zu spielen, das wäre mir ein Gräuel."

So wäre das noch heute, aber dann kommen plötzlich die Bayern mit ihren Kanonen – und angewidert, aber gezwungenermaßen zieht Veh an der Mittellinie für seine Spieler einen Stolperdraht auf und holt jeden mit dem Lasso zurück, der öfter als einmal pro Viertelstunde die eigenen Verteidigungslinien verlässt und nach vorn ausbricht.

Veh ist grundsätzlich ein Mensch, der das Leben und den Fußball bejaht. Er spielt nach dem letzten Schrei und ist schon so gekleidet. Er überzeugt an der Seitenlinie mit modischen Kreationen, trägt zu üppigen Halsketten gelegentlich waghalsig ausgeschnittene T-Shirts und ergänzt sie mit an den Backentaschen raffiniert verzierten Jeans im Shabby-Chic-Stil – vorigen Freitag war sein Blickfang ein Mantel, der normalerweise nur auf dem Laufsteg ungestraft durchgeht.

Aber dann dieser Fußball, schmucklos, hinten dicht und basta. Designerfußball war das nicht, und es hätte gereicht, wenn Veh diesmal im Herbergerschen Nachkriegsmodell des gestrickten Trainingspullovers mit Reißverschluss und Schlabberhose gekommen wäre – also jener rustikalen Allzweckkombination, mit der einer nicht nur vor der Trainerbank stehen, sondern genauso gut bei Hochwasser den Keller leer pumpen oder Sandsäcke schleppen kann. Dieser Fußball ist nicht schick, Barrikaden hat Veh aufgebaut, das Visier heruntergeklappt. Feigheit vor dem Feind?

"Wir sind keine Deserteure"

Jein, jein und wieder jein. Die Boxer reden da gern von der edlen Kunst der Selbstverteidigung, und die Frankfurter werden sagen: "Wir sind keine Deserteure, wir haben uns nicht aus dem Staub gemacht, wir stellen uns, Mann für Mann, und zwar wacker hinten rein." Auch Marc Stendera lässt sich kein schlechtes Gewissen einreden, sondern sagt: "Wir haben einen Punkt gewonnen. Wie das Spiel dann aussieht, ist nicht wichtig." Der junge Mann ist 19 und kennt schon die alte Landesparole "Lieber fünf Minuten lang feige als ein Leben lang tot".

Die Bundesliga ist keine Bühne mehr für Helden. Die Bayern ballern inzwischen mit Kanonen auf Spatzen, und der Rest der Liga will sich nicht mehr abknallen lassen und plädiert auf Notwehr im Rahmen des Notstands – ein solcher, lehrt uns das Strafgesetzbuch, ist ein Rechtfertigungsgrund, der die Rechtswidrigkeit einer tatbestandsmäßigen Handlung aufhebt. Hinten dicht ist also erlaubt. Sie müssen sich nicht mehr schämen.

Das war früher anders. Als Helenio Herrera in den 1960er-Jahren bei Inter Mailand den betonharten Catenaccio erfand und ein paar der besten Spieler der Welt zu Minimalisten des Zweckfußballs umerzog, vergab ihm das keiner.

Auch Roberto Di Matteo hat als Chelsea-Trainer vor drei Jahren im Champions-League-Finale das Spiel der Bayern nur grässlich erstickt, obwohl auch er tolle Spieler hatte. "Gratuliere, aber ist dieser Fußball schön?", fragte ihn der Sky-Interviewer Jan Henkel – worauf Di Matteo auf dem Absatz kehrtmachte, mit einem Gesichtsausdruck, der mit "A…" anfing und mit "…loch" aufhörte. Aber Henkel hatte recht – dieser Fußball erinnerte in seiner Lustfeindlichkeit an jene dunklen Zeiten, als vor dem Sex die Lampen ausgemacht wurden. Der Fußballgott hat Di Matteo später dafür bestraft.

Aber dürfen wir auf Frankfurt schimpfen? Oder auf Gordon Strachan, der neulich als schottischer Trainer in der EM-Qualifikation gegen unsere Weltmeister die Schotten dichtmachte?

"Warum hast du nicht angreifen lassen?", wollte ein Neugieriger nach dem Spiel wissen. "Frag das die Brasilianer", antwortete Strachan. Er hielt deren 1:7 von Belo Horizonte für kein erstrebenswertes Ziel, sondern zog dem kühnen Angriff einen geschlossenen Rückzug vor – auf Anraten seines Selbsterhaltungstriebs, der funktioniert wie der der Frankfurter.

Philipp Lahm und die Nachahmungstäter

Die schlechte Nachricht: Das Beispiel der Eintracht vom Freitag wird Schule machen, Philipp Lahm hat die Entwicklung erkannt. Wer den Bayern einen Punkt stiehlt, indem er sie gegen eine Wand rennen lässt, ist ein Vorreiter – dieses Konzept ist zu gut, um nicht geklaut zu werden von Nachahmungstätern. Das ist zwar nicht das, was der Fußballgott wollte, als er dieses Spiel erfand. Aber er wollte auch nicht, dass am Ende circa zehn Mannschaften auf der Welt dem Rest das Wasser abgraben. Der hat als Antwort nur noch drei Möglichkeiten: a) Belo Horizonte, b) die kampflose Kapitulation oder c) hinten dicht.

Hinten dicht, das ist die Rache der Entrechteten. Die Schere ist so weit aufgegangen, dass die Armen die Reichen jetzt zur Weißglut treiben – wie die Frankfurter die Münchner. Deren Dominanz nähert sich einem Punkt, an dem der Bundesliga bei Bayern-Spielen die Rückkehr zum Mottenkistenfußball mit Catenaccio und Ausputzer droht.

Zur Strafe müssen die Frankfurter nun als Nächstes nach Hoffenheim, wo ab sofort auch keiner mehr in Schönheit sterben will und Huub Stevens eisern verlangt: Die Null muss stehen. Da droht vollends der Albtraum der Ästheten.

02.11.2015 | 13:22 Uhr Oskar Beck, Die Welt, N24


Quelle: n24.de


Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die der Leute, welche die Welt nie angeschaut haben.
Alexander Freiherr von Humboldt (1769 - 1859)