Alonso: "Brillanz in der Einfachheit"

Er ist der Gentleman unter den Fußballern. Im exklusiven Interview gewährt Alonso Einblicke in seine Spielidee & Peps Dogma. Plus: Was ihn antreibt und er von Ancelotti hält.



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Für Xabi Alonso ist das Alter "nur eine Zahl"


Beinahe verlegen fragt Xabi Alonso: "Englisch?" Regelmäßig nimmt er Deutsch-Kurs. Für lockeren Small Talk reichen seine Kenntnisse allemal. Mehr, sprich ein ausführliches Interview, traut er sich noch nicht zu. "Die Sprache ist sehr schwer", sagt er. Alonso präsentiert sich, wie man ihn auf dem Platz kennt: Charmant, souverän, keineswegs stromlinienförmig. Goal erklärt der Mittelfeldmeister des FC Bayern seine hohe Kunst.

Xabi, Sie meinten einst: "I believe in natural born leaders." Sind Sie einer davon?

Xabi Alonso: Das weiß ich nicht. Für gewöhnlich definiere ich mich auch nicht über solche Dinge. Ich bevorzuge es, mich auf den Sport zu konzentrieren, darauf, Leistung zu bringen, anstatt nur darüber zu sprechen. Meine Aufgabe ist, ein wichtiger Akteur zu sein und Verantwortung zu übernehmen. Ob der Erfahrung sowie meiner Reife habe ich natürlich eine gewisse Rolle.

Adidas veröffentlichte zuletzt das Kurz-Video "Professor of Bossonomics", in welchem Sie das Leder jonglieren und zugleich ein Buch lesen. Wie entscheidend ist jene Coolness im Ernstfall?


Alonso: Es ist eine Mischung aus Coolness und Intelligenz, der Bereitschaft, das Spiel zu lesen, es zu verstehen und das Tempo entsprechend zu bestimmen. Auf meiner Position ist das wichtig. Für mich sind das Grundtugenden.

Liegt die Genialität in der Einfachheit.


Alonso: Ja, die Brillanz liegt in der Einfachheit. Je einfachere Dinge ich mache, desto besser ist es für die Mannschaft. Mein Stil ist es nicht, Spektakuläres zu versuchen oder Partien zu entscheiden. Mein Stil ist es, Kontinuität zu geben, kleinere Entscheidungen zu treffen und Schritte einzuleiten. Ich bin ja gewissermaßen das Bindeglied zwischen Abwehr und Offensive. Es ist nicht mein Job, selbst gut zu spielen, sondern es jedem um mich herum zu erlauben, besser zu agieren. So interpretiere ich meine Pflichten.

Wie simpel ist die Pep'sche Denkweise? Immerhin dreht sich alles um Dominanz.

Alonso: Es mag vielleicht einfach klingen, ist es aber keineswegs. Pep ist seiner Zeit voraus. Er fordert sich und uns alles ab. Das lernst du, sobald du mit seiner Herangehensweise in Berührung gerätst. Für mich ist seine Idee wie meine: Wir wollen Kontrolle haben. Er mag es, das Heft in der Hand zu halten, weil er denkt, es ist der beste Weg, um zu gewinnen. Denn wenn wir Kontrolle haben, erhalten wir normalerweise mehr Chancen und der Gegner weniger.

Was konnte Guardiola beim FC Bayern bewegen?


Alonso: Ich bin erst in seinem zweiten Jahr nach München gekommen. Daher fällt es mir schwer, die Veränderung konkret zu benennen. Klar ist, dass er hier etwas aufgebaut, eine Philosophie geprägt hat. Einige, genauso ich, haben viel gelernt und sich verbessert. Die Basis, dieses Fundament, das wir uns erschaffen haben, wird in der Zukunft sehr hilfreich sein.

Es ist das dritte und zugleich letzte Jahr unter Guardiola: Befindet man sich nun auf dem Höhepunkt der Schaffenskraft?

Alonso: Wir sind in einer guten Situation. In der Runde der letzten 16 auf Juventus zu treffen, war ein Motivationsschub. Wir wussten, wir müssen gegen eines der besten Teams in Europa ran. Und es war so schwer wie erwartet. Ob wir jetzt auf unserem besten Level agieren? Schwer einzuschätzen. Wir sind jedenfalls sehr nah dran am DFB-Pokal-Finale, sind in der Lage, die Meisterschaft und die Champions League zu holen. Damit gehen wir selbstbewusst um, hoffen, dass bald alle fit sind. Das ist nämlich, was wir brauchen: die Möglichkeit, mit den gleichen Waffen gegen jeden Konkurrenten zu kämpfen.

Bedenken, wonach man in der Umschaltbewegung zu anfällig ist, teilen Sie demnach nicht.

Alonso: Nein. Wir werden weiterhin so auftreten, wie wir es in der Vergangenheit taten. Egal, ob wir siegen oder verlieren, solange wir unserer Linie treu bleiben, können wir uns nichts vorwerfen. Natürlich wird im Umfeld des FC Bayern viel geredet. Wenn wir die Erwartungen nicht erfüllen, gibt es immer Kritik. Damit müssen wir umgehen. Für uns ist der interne Zusammenhalt das Wichtigste: Wir wissen, wo es hingehen soll und welchen Weg wir dafür beschreiten müssen. Unser Zugang zum Fußball wird sich nicht ändern.

Welchen Einfluss hat der nahende Abschied von Guardiola auf die Mannschaft?

Alonso: Wir verschwenden keinen Gedanken daran. Wir arbeiten Schulter an Schulter und sehr eng zusammen, um die hohen Ziele zu erreichen. Niemand denkt an den Sommer. Wir fokussieren uns lediglich auf die großen Chancen, die sich uns jetzt bieten. Mit Saisonende werden wir Pep bestimmt jenen Abschied bereiten, der ihm angemessen ist. Er wird den Verein auf dem höchsten Niveau verlassen. Seine Zeit hier wird eine sein, an die man sich gerne erinnert.

Carlo Ancelotti, sein Erbe, praktiziert einen direkten, weniger dominanten Ball. Was bedeutet das für Bayern?

Alonso: Das ist Zukunftsmusik. Carlo ist smart genug, um nicht bloß eine Idee zu haben, sondern mehrere. Er ist smart genug, sich auf Begebenheiten einzustellen - das hat er in Italien, England und Spanien gezeigt. Jetzt kommt er nach Deutschland. Wichtig ist, den Kader zu haben, um Titel zu gewinnen. Und den hat Bayern schon jetzt.

Sie arbeiteten bei Real zusammen, eroberten La Decima. Wie würden Sie ihn charakterisieren?

Alonso: Sein Werdegang spricht doch für sich. Er war bei Top-Klubs, pflegte überall eine sehr gute Beziehung zu seinen Schützlingen und war erfolgreich. Aber die nächste Saison beschäftigt mich nicht. Lass' uns lieber darüber reden, was in den folgenden Wochen passieren wird. Es liegt Großes vor uns.

Etwa die Champions League: Was soll Bayern nach dem Zittersieg gegen Juventus stoppen?

Alonso: Um die Champions League zu gewinnen, das ist meine Erfahrung, reicht ein Tag, an dem man Glück hat. Und wir hatten diesen Tag – sonst wären wir raus. Juventus hatte ihn nicht, deshalb sind wir durch. Wir werden sehen, ob wir den Wettbewerb beenden, wie wir uns das vorstellen. Künftig probieren wir auf jeden Fall, unsere Arbeit zu machen, bevor die letzte Minute läuft. (lacht)

Sie verlängerten beim FCB bis 2017. Was treibt Sie an: das Königsklassen-Triple? Mit Liverpool 2005 sowie Real 2014 gelang ihnen je ein Triumph.

Alonso: Selbstverständlich ist die Champions League ein Ziel. Nicht bloß für mich, sondern für den FC Bayern, für den Trainer, die Spieler. Wir wollen möglichst viele Titel holen. Es wäre großartig, die Bundesliga zum vierten Mal nach München zu bringen – das gab es nie zuvor. Und der Charme der Champions League ist ohne Zweifel unvergleichlich. Wir kommen dem näher, es sind jedoch viele Hürden zu absolvieren.

Manchen sagen, mit 34 Lenzen wären Sie zu alt, zu langsam für Glanztaten …

Alonso: Wer sagt das? Gebt mir die Namen und Adressen. (lacht)

Wie nützlich ist Ihre Routine, jenes Auge des Alters?

Alonso: Zunächst mal war ich weder als 20-Jähriger schnell, noch ich bin jetzt schnell. Daran lässt sich nichts mehr machen. (lacht) Das Alter ist für mich lediglich eine Zahl. Manche sind mit 28 alt. Andere sind mit 36 noch jung. Es geht um die Leistungen; das Alter darf keine Ausrede sein. Du musst selbst wissen, wie du dich fühlst. Ich fühle mich bestens, daher spiele ich weiter und das auf einem Top-Niveau. Würde ich es anders empfinden, wäre ich nicht hier.

Inwiefern verstehen Sie sich ob Ihres Erfahrungsschatzes als Lehrer für die junge Generation?

Alonso: Ich bin kein Lehrer und versuche, sie nicht mit Hinweisen zu überschütten. Ich achte darauf, meine Leistung zu bringen. Wenn sie davon lernen können – wunderbar. Ich bin allerdings nicht der Typ, der sagt: "Komm' her, du musst das anders machen."

Eingangs sprachen wir über Leader: Haben Thiago und Joshua Kimmich das Zeug dazu?

Alonso: Sie haben bestimmt die Qualitäten, um Leader zu werden. Sehr wichtige Leistungsträger sind sie ohnehin. Wie Josh gerade die Position als Innenverteidiger ausfüllt, darauf kann er stolz sein. Er verfügt über die Fähigkeit, sich zu adaptieren. Thiago ist mit seiner Persönlichkeit, dem Willen, den Ball zu nehmen und für das Team zu schuften, ein unheimlicher Gewinn für den FC Bayern. Es sind zudem tolle Nachrichten, dass die Basis des FC Bayern aus David Alaba, Javi Martinez, Thomas Müller, Thiago und Josh besteht. Sie allen haben langfristige Verträge. Das Team ist gewappnet für das Jetzt und das Morgen.


Quelle: goal.com


Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die der Leute, welche die Welt nie angeschaut haben.
Alexander Freiherr von Humboldt (1769 - 1859)