Kalter Carlo
Die Gemütlichkeit ist vorbei: Bayern-Trainer Carlo Ancelotti will bei den strauchelnden Münchnern härtere Maßnahmen ergreifen. Die Spieler müssen jetzt zum Beispiel einen Tag früher ins Hotel.

Von Florian Kinast, München




Zehn Minuten lang hatte Carlo Ancelotti auf Deutsch bemüht Antworten auf die Reporterfragen gegeben, meist wie gewohnt in knappen Sätzen. Dann aber folgte eine Frage, in der es darum ging, ob der Bayern-Trainer zu sanft mit seinen Spielern umgehe, ob er zu lieb und nett sei. Ancelotti sagte: "Ich spreche jetzt lieber in Englisch. Because I want to be clear." Was folgte, war auch Klartext. Da war er dann gar nicht lieb und nett. Bei der Pressekonferenz anlässlich der Champions-League-Partie gegen PSV Eindhoven hat sich Signore Ancelotti zum ersten Mal seit seinem Amtsantritt in München mies gelaunt, gereizt und angegriffen gezeigt. Die vergangenen Wochen haben bei ihm Spuren hinterlassen.

Nach drei Spielen ohne Sieg ist seine bislang so entspannte Stimmung dahin, am Dienstag war zu spüren, dass ihm vor allem der vergangene Samstag nach wie vor zusetzte. War das 0:1 bei Atlético Madrid in der Champions League noch verschmerzbar, und wirkte das 1:1 daheim gegen den 1. FC Köln wie ein kleiner Ausrutscher, so war das 2:2 in Frankfurt schon ein großer Dämpfer.
Schließlich hatte Ancelotti tags davor, am Freitag, noch überzeugt verkündet, nach der Länderspielpause werde die Einstellung bei seinen Spielern wieder absolut stimmen - doch davon war dann am Samstag nichts zu sehen. "Was wir aus dem Spiel gelernt haben", sagte Ancelotti am Dienstag, da noch auf Deutsch: "Dass wir ohne Intensität und Ordnung nicht gewinnen können. Die Haltung war nicht gut, diese Haltung muss am Mittwoch eine andere sein."

Und seine eigene Haltung vielleicht auch?

Zu Saisonbeginn wurden Ancelottis höfliche Manieren noch gelobt. Er schien als verständnisvolle Vaterfigur mit seiner menschlichen Wärme für seine Spieler zugänglicher zu sein als Josep Guardiola. Nun aber beginnen nach den vergangenen Wochen die Zweifel: War er zu freundlich? Sollte er nicht böser werden, autoritärer? Die Debatte erinnerte ein wenig an die Glaubensfrage in der Schule, welcher Lehrer für die Schüler der bessere sei, der mit der kurzen Leine oder der mit langen, der harte Schleifer oder der dufte Kumpeltyp.

"Das hilft, die Sinne zu schärfen

Als Ancelotti dann also auf Englisch zu parlieren begann, machte er schnell klar, dass es mit der Nettigkeit eh schon vorbei ist. "Manchmal muss ich eben auch hart werden." So wie derzeit. Ancelotti wirkte in diesem Moment genervt, warum er mit seiner erfolgreichen Vita überhaupt noch erklären muss, wie er wann welche Methoden einsetzt, als sei er ein Trainer im ersten Lehrjahr. Als ob er sich rechtfertigen müsse. Als ob es besser sei, wie früher Felix Magath die Spieler mit Medizinbällen zum Berglauf zu bitten. Ancelotti zog die Zügel tatsächlich schon an, nur eben auf seine Weise. So ließ er erstmals in dieser Saison seine Spieler vor einem Heimspiel nicht zu Hause schlafen, sondern bestellte sie schon am Vorabend in ein Hotel in Stadionnähe ein. Eine Anordnung, die Mats Hummels übrigens begrüßte. "Das hilft, die Sinne zu schärfen", sagte der Innenverteidiger und führte als größte Veränderung an: "Dann schauen wir eben Champions League mit der Mannschaft und nicht mit den Familien."

Ob das bei den Bayern nun schon eine Krise sei, auch das wurde Ancelotti gefragt: "Wenn die Dinge schlecht laufen, kommt immer gleich das Wort Krise. Für eine Krise ist es aber noch zu früh." Für die erfolgreiche Bewältigung einer nicht vorhandenen Krise kommt der in der niederländischen Liga schwächelnde PSV Eindhoven am Mittwoch (20.45 Uhr, High-Liveticker SPIEGEL ONLINE) womöglich gerade recht. Verläuft der Abend für den FC Bayern allerdings erfolglos und steht damit in zwei Wochen beim Rückspiel in Eindhoven schon ein vorentscheidendes Spiel an, ob man überhaupt ins Achtelfinale der Champions League einzieht, ist die Krise aber ganz sicher da. Analog zum derzeit trüben Herbstwetter ist es auch beim FC Bayern mit der Wärme erst einmal vorbei. Es ist kühl geworden in München und an der Säbener Straße. Ancelotti, der in seiner öffentlichen Ansprache auch Spieler wie David Alaba nach seinen letzten Auftritten kritisierte ("Ich habe viel Vertrauen in ihn, ich denke aber, er kann es besser machen"), wurde am Ende noch einmal deutlich: "Wenn mich die Spieler ärgern, wütend machen und enttäuschen", sagte er auf Englisch und fuhr fort: "Then I have to be cold." Kalter Carlo.

Quelle: spiegel.de


Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die der Leute, welche die Welt nie angeschaut haben.
Alexander Freiherr von Humboldt (1769 - 1859)