FK Rostov – FC Bayern München 3:2 (1:1)

Der FC Bayern verspielt eine Führung gegen Rostov und zeigte erneut Probleme, die dem Verein seit Wochen anhängen.




Nach der Niederlage im Spitzenspiel gegen Borussia Dortmund und dem Verlust der Tabellenführung in der Liga ging es für den FC Bayern zum FK Rostov, um die Chance auf den Champions-League-Gruppensieg zu wahren und Selbstvertrauen zu tanken. So war zu erwarten, dass der russische Vizemeister trotz respektabler Ergebnisse gegen Eindhoven und Atletico keine allzu große Hürde darstellen würde.

Falls Ihr es verpasst habt:

Carlo Ancelotti nutzte die Gelegenheit, um munter zu rotieren und der vermeintlich zweiten Garde eine Chance zu geben. So durfte Sven Ulreich den angeschlagenen Manuel Neuer ersetzen, während sich davor eine eher ungewohnte Viererkette formierte, welche aus Bernat, Badstuber, Boateng und Rafinha bestand. Philipp Lahm wurde unerwartet ins defensiv-zentrale Mittelfeld versetzt, wo er vom formstarken Thiago und dem Fragezeichen Renato Sanches unterstützt wurde. Im Dreiersturm ersetzte Douglas Costa den aktuell eher unglücklichen Thomas Müller auf rechts.


Anfangsformationen: FK Rostov und FC Bayern München

Beim Gegner aus Rostov gab es im Vergleich zum Hinspiel im September nur eine Änderung: Fedor Kudryashov ersetzte Außenverteidiger Denis Terentyev. Dieselbe Startelf erreichte noch am Wochenende ein 0:0 bei Rubin Kazan. Nun sollte die Fünferkette gegen die Münchner ein ähnliches Resultat ermauern. Die ersten Minuten deuteten bereits an, in welche Richtung es hier hauptsächlich gehen würde. Ein überhaupt nicht eingespieltes Bayern suchte Wege durch das gerne tiefstehende 5-3-2 der Gastgeber, welche eher sporadisch und teils wild pressten. Den ersten Schreckmoment gab es in der 9. Minute. Ein langer Ball in die Spitze führte zu beinahe fatalen Abstimmungsproblemen zwischen Ulreich und Badstuber. Erokhin nutzte die Gelegenheit für einen Kopfball auf das verwaiste Tor. Der zurück eilende Juan Bernat konnte den Ball jedoch noch von der Torlinie kratzen.

Mit dem wilden, unvorhersehbaren Angriffsspiel der Heimmannschaft hatte das Team von Carlo Ancelotti einige Probleme. Zumal eigene Angriffe nur in Flanken oder Fernschüssen endeten. Hier lief fast alles über rechts. Insbesondere Douglas Costa zeigte sich um einen Hauch Kreativität und Durchschlagskraft bemüht. Robert Lewandowski hingegen war komplett vom Spiel abgeschnitten: Rostov konnte sich bei ihm eine Dreifachbewachung erlauben.

Die erste nennenswerte Torchance ergab sich überraschenderweise aus einer Standardsituation. Doch Holger Badstubers Kopfball in der 22. Minute war nicht kraftvoll genug, um Torhüter Dzhanaev zu überwinden. Dieser konnte wenige Minuten später auch einen Distanzschuss von Renato Sanches parieren. Jeglicher Druck des FCB resultierte bestenfalls in halbgaren Chancen – meist jedoch nur Verlegenheitsflanken. In Minute 32 verfehlte Douglas Costa, bis hierhin der einzige überzeugende Münchner, mit einem Fernschuss das Tor nur knapp, nachdem er in Robben-Manier in die Mitte zog. Eine Torchance für Rostov kurz darauf bewies erneut die Instabilität der Abwehr, die durch einen langen Ball ins Schwimmen geriet und trotz numerischer Überlegenheit keinerlei Kontrolle über die Situation hatte.

Mitten in diese offene, verwirrende Phase fiel der Führungstreffer der Bayern. Ein ebenso überraschendes wie effektives Dribbling von Sanches über links verursachte ein Chaos im Strafraum der Gastgeber, welches der überzeugende Costa letztendlich nutzen konnte. Auch wenn der Führungstreffer vom Spielverlauf wohl in Ordnung ging, er war weniger eine Belohnung als viel mehr eine Erleichterung.


Thiago, Costa und Badstuber nach dem 1:0 Treffer durch den Brasilianer.
(Foto: KIRILL KUDRYAVTSEV / AFP / Getty Images)


Diese Erleichterung sollte keine zehn Minuten Bestand haben. Ein unsauberer Rückpass von – ausgerechnet – Douglas Costa gab Rostov die Möglichkeit zum Umschaltspiel. Dass dies zu einer guten Torchance führen würde, hatte die defensive Instabilität bereits angedeutet. Poloz spielte den gewonnenen Ball nach links zu Sardar Azmoun. Das 21-jährige Offensivtalent düpierte zunächst Jerome Boateng mit einem Haken, bevor er Sven Ulreich mühelos bezwang. Mit diesem 1:1 ging es in die Pause. Bayern verband in den ersten 45 Minuten offensive Kreativlosigkeit mit defensivem Chaos, während Rostov bequem zwischen tiefstehender Abwehr und aggressivem Umschaltspiel wechselte. Eine Halbzeit zum Vergessen. Die zweite Hälfte begann mit einer frühen Chance für die Bayern. Ribery flankte mit links (!) in die Mitte und Philipp Lahm (!!) köpfte (!!!) nur knapp am Tor vorbei. Ein Zeichen wiedererstarkter Münchner war dies jedoch nicht. Im Gegenteil…

In der 48. Minute kam Rostov erneut viel zu leicht in den gegnerischen Strafraum und Jerome Boateng ging erneut viel zu blauäugig in den Zweikampf. Noboa nahm den ungeschickten Ausfallschritt gerne an, Poloz verwandelte den anschließenden Strafstoß sicher. Eine unnötig schwere Aufgabe wurde für den FC Bayern noch größer, man hatte nun 40 Minuten Zeit, um eine mittelgroße Blamage zu vermeiden und letzte Hoffnungen auf den Gruppensieg am Leben zu erhalten. Jetzt ging es Schlag auf Schlag. Keine vier Minuten nach dem Elfmeter meldeten sich die Bayern zurück. Wie schon beim ersten Tor taucht Renato Sanches positiv als Linksaußen auf und setzt Ribery in Szene. Der Franzose spielt im Strafraum in den Lauf von Juan Bernat. Der Linksverteidiger verwandelt aus fünf Metern eiskalt und mit Wucht. Auf der Anzeigetafel nun ein 2:2, auf dem Feld war mehr und mehr ein wildes und kontrollarmes Spiel zu sehen.

Nach einer Stunde musste ein ebenso niedergeschlagener wie unrund laufender Boateng den Platz verlassen. Mats Hummels nahm seine Position im Zentrum ein. Am Spiel änderte dies nichts, Bayern zeigte sich weiterhin verwundbar. Reaktionen oder gar Anpassungen im Vergleich zur ersten Hälfte waren nicht zu erkennen. So überraschte in der 66. Minute auch nur die Art des nächsten Gegentores. Dies erzielte Christian Noboa mit einem Freistoß aus zentraler Position, nachdem Bayern leichtfertig einen Konter zuließ und nur mit einem Foul in Strafraumnähe unterbinden konnte. Es folgten wieder wütende, unüberlegte Angriffe der Bayern, welche einen schnellen Ausgleich erzwingen wollten, an dieser Aufgabe jedoch scheiterten – nicht zuletzt, da mit Costa die treibende Offensivkraft der ersten Halbzeit völlig abtauchte. Renato Sanches, der sich im Laufe des Spiels immer mehr steigerte, wurde schließlich ausgewechselt, um für Thomas Müller Platz zu machen. Die letzten 20 Minuten sollte der FCB mit einer Doppelspitze verbringen.

Um sich kurz zu fassen: Es änderte nichts. Rostov verteidigte die Führung mit allen Mitteln, Bayerns Brechstange erwies sich als zu schwach. Eine völlig unerwartete Niederlage, die nicht nur den Gruppensieg kostet, sondern auch den Münchner Haussegen endgültig in Schieflage befördert haben dürfte.

Drei Dinge, die auffielen:


1. Douglas Costa

Diese 90 Minuten dienten als Paradebeispiel für Licht und Schatten bei Douglas Costa. So riss er in der ersten Halbzeit das Offensivspiel der Münchner an sich, besetzte Räume instinktiv besser als Ribery auf der anderen Seite und sorgte mit explosiven Dribblings für einige Probleme. Er bietet derzeit einen angenehmen Mix aus individuellen Aktionen, klugen Bewegungen und scheint einer von wenigen Spielern zu sein, welche vom freien Ancelotti-System zu profitieren wissen. Sein Treffer zum 1:0 war zu jenem Zeitpunkt die passende Belohnung für die eigene Leistung.

Leider ging es von da an stark bergab. Vom unglücklichen Einleiten des ersten Gegentreffers mal abgesehen, gelang es dem Brasilianer nicht, ein Spiel über 90 Minuten zu leiten. Costa bleibt die Wundertüte auf dem Flügel, die stets eine entscheidende Situation aus dem Nichts erzeugen, den bayerischen Motor jedoch nicht dauerhaft antreiben kann. Ob er je dieser Rolle als Flügelspieler Nummer Drei entwachsen wird, darf bezweifelt werden.


Sanches im Duell mit Noboa.
(Foto: KIRILL KUDRYAVTSEV / AFP / Getty Images)


2. Renato Sanches


Der portugiesische Mittelfeldmann ist und bleibt ein Fragezeichen in seinem ersten Jahr in Deutschland. In dieser Partie gegen Rostov gehörte Sanches aber noch zur exklusiven Gruppe der Einäugigen unter den Blinden. Erstmals deutete er an, welche Rolle er denn beim FCB bekleiden konnte. So leitete er beide Tore über den linken Flügel entscheidend ein. Vielleicht war dies ein erstes Anzeichen dafür, dass man mit Sanches keinen vidalesken Box-to-Box-Spieler verpflichtet hat, sondern einen ausweichenden Mittelfeldspieler, der dem Zentrum eine gewisse Breite und Weiträumigkeit verleihen kann. Es könnte in Zukunft ein Lösungsansatz sein, dass mit Sanches ein Flügel überladen wird und die starre Formation im positiven Sinne aus der Balance gerät.

Der Spieler muss sich noch an den Verein gewöhnen und der Verein noch an den Spieler. So langsam wird es aber was. Renato Sanches kommt in schlurfendem Tempo in München an.

3. No alarms and no surprises


Man sollte eine solch seltsame Niederlage bei starker Rotation natürlich nicht überbewerten und nie isoliert betrachten. Aber… Es entwickelt sich stetig das Gefühl, dass Carlo Ancelotti seine Mannschaft überschätzt und unterfordert. Der FC Bayern hat in den letzten Monaten eindrucksvoll bewiesen, dass er trotz Starspielern kein autodidaktisches Monster ist. Der insbesondere taktisch zurückhaltende Ansatz des italienischen Coaches hat die Mannschaft schon in einige unangenehme Situationen geführt. Variabilität, Selbstverständnis und Kreativität sind beim FCB aktuell Fremdwörter.

Nun wäre es unfair, die enttäuschende Spielweise und die schwankenden Ergebnisse nur dem Trainer anzukreiden. So trägt er maximal eine Teilschuld für die Torkrise des Thomas Müller, die grauenvolle Zonenbesetzung des Franck Ribery oder das stümperhafte Zweikampfverhalten von Xabi Alonso. Dennoch bleibt der Eindruck, dass diese Mannschaft selbst in Krisenzeiten nicht so konstant mittelmäßig auftreten sollte. Während Ancelotti das erste taktische Problem durch das Einschieben der Flügelspieler noch löste, ist bis heute kein Lösungsansatz zur Unterbesetzung des offensiven Mittelfelds zu sehen gewesen.

Man kann nicht einmal von gescheiterten Versuchen sprechen, es waren schlicht noch keine zu erkennen. Nicht nur das Kollektiv hat mit unnötigen Problemen zu kämpfen. Auch individuelle Leistungen leiden unter dem in Stein gemeißelten System. Nach den Spielen in Dortmund und Rostov sind hier insbesondere die Namen Boateng und Lewandowski zu nennen. Ersterer kann seine exzellenten Passqualitäten überhaupt nicht mehr ins Bayernspiel einbringen. Gab es in den letzten Jahren noch einstudierte Läufe, um Lücken entstehen zu lassen, die Boateng mit einem Laserpass bedient, so sind seine aktuellen Spielmacherversuche nur alternativlose Bälle ohne großen Plan, da sich überhaupt keine besseren Möglichkeiten bieten.

Robert Lewandowski ist ein Leidtragender dieser Entwicklung. Immer wieder muss er verzweifelt langen Bällen hinterher rennen, um dann festzustellen, dass es keine Anspielstation gibt. Wenn der Pole im Moment nicht komplett im Spiel der Bayern integriert scheint, dann liegt es nicht an ihm. Lewandowski verhungert im Sturmzentrum, während der Zehnerraum hinter ihm völlig verwaist. Die Niederlage in Rostov war kein Ausrutscher, sie war das Ergebnis eines dauerhaften Negativtrends. An der Säbener Straße dürften nun die Alarmglocken klingeln und Carlo Ancelotti sich endlich zu größeren Anpassungen gezwungen fühlen.

Quelle: miasanrot.de


Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die der Leute, welche die Welt nie angeschaut haben.
Alexander Freiherr von Humboldt (1769 - 1859)