Bayern gegen Real : In einer anderen Welt

Von Christian Eichler , München

Der FC Bayern und Real sind einander in den vergangenen Jahrzehnten immer ähnlicher geworden. Nur in einem bleibt der Rekordgewinner des Landesmeister-Pokals einmalig – in der Präferenz der Champions League vor der nationalen Meisterschaft.

An einem Mittwoch im Mai 1960 saß ein 18-jähriger Schotte unter 134 000 Menschen in seiner Heimatstadt Glasgow und sah die Zukunft des Fußballs. Es war auch seine eigene. An jenem Abend, an dem Real Madrid im bis heute berühmtesten europäischen Finale 7:3 gegen Eintracht Frankfurt gewann und zum fünften Mal nacheinander den Europapokal bekam, beschloss der junge Mann, Fußballprofi zu werden. Schon da begriff er, dass mit dem „weißen Ballett“ um di Stéfano und Puskás, die zusammen alle sieben Tore schossen, etwas völlig Neues entstanden war, etwas, das er später als Trainer mit Manchester United fortzusetzen versuchte.

Real Madrid, sagte der staunende Jüngling ein halbes Jahrhundert später, als er der große alte Alex Ferguson war, „erfand die Idee eines modernen Fußballklubs, der die besten Spieler unabhängig von ihrer Nationalität verpflichtet, zum Synonym für eine bestimmte Art von Fußball wird und durch den Europapokal eine Weltmarke des Fußballs kreiert“. Die Eintracht, die an jenem Tag im Hampden Park, obwohl rettungslos unterlegen, wunderbar mitspielte, war etwas ganz anderes: eine feine Mannschaft mit Kickern aus Frankfurt und Umland, so wie fast alle Klubteams jener Zeit noch vor allem aus lokalen Gewächsen bestanden – bis weit in die Siebziger, als Bayern München und Borussia Mönchengladbach neun Meisterschaften nacheinander mit einem harten Kern aus Jungs gewannen, die in der Nachbarschaft groß geworden waren.

Real Madrid dagegen hatte Spieler wie den Argentinier di Stéfano, den Ungarn Puskás, den Brasilianer Canario, den Uruguayer Santamaría. Es war Santiago Bernabéus präsidiale Vision einer ständigen, hochbezahlten Weltelf. Schon 1960 verkörperte Real damit etwas, für das man erst viel später einen Namen fand: Champions League.

Nationale Titel sind Zugabe

Heute, wenn Bayern und Madrid im großen Duell der europäischen Weltauswahlen an diesem Mittwoch (20.45 Uhr/ live in Sky, ZDF und F.A.Z.-Liveticker) aufeinandertreffen, ist dieser Unterschied verblasst. Die Geschäftsmodelle von Real, Bayern und den anderen sieben, acht Super-Klubs, die die Fußballwelt und die Titel und Tantiemen, die in ihr zu holen sind, unter sich aufteilen, sind einander sehr ähnlich geworden. Nur in einem bleibt Real einmalig – in der Präferenz der Champions League vor der nationalen Meisterschaft, wie sie schon bei Bernabéu bestand. Also: in der Ausrichtung der Struktur und Strategie auf das Ziel, nicht vor allem neun Monate lang Punkte zu hamstern, sondern am Ende die großen Duelle zu gewinnen. Ein Halbfinale als Konkurrenz der Konzepte. Das von Real: Champions League plus. Das von Bayern: Meisterschaft plus.

Den nationalen Titel nimmt Real gerne mit, er ist aber nie das Hauptziel. Bei Bayern ist es umgekehrt – und darin irgendwie sehr deutsch: vor der großen Reise immer erst zu Hause aufräumen. Das bringt für dieses „Gigantenduell“ (Trainer Jupp Heynckes) den Vorteil der geringeren Fallhöhe. Sollte Bayern ausscheiden, wäre es immer noch eine sehr erfolgreiche Saison, Meistertitel in der Hand, Pokalfinale vor Augen. Real dagegen stünde mit leeren Händen da.

So unvereinbar die Konzepte eigentlich sind, so ist doch zuletzt etwas Überraschendes geschehen: Real ist den Bayern ähnlicher geworden. Die Heynckes-Elf bewies 2013, dass man die Champions League auch ohne Superstars wie Ronaldo, Trainergurus wie Guardiola und Milliardäre wie Abramowitsch gewinnen kann – mit soliden Finanzen, guter Personalpolitik und großem Teamgeist. Spieler wie Robben, von Real ausgemustert, und Ribéry, von Real zu spät begehrt, kamen relativ günstig nach München – und brachten den großen Coup, auf den Real trotz aller Riesen-Transfers seit 2002 vergeblich gewartet hatte.


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