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Eigentlich hatte er seine Karriere schon beendet. Doch am 9. Oktober 2017 schnürte Jupp Heynckes doch noch mal seine Fußballschuhe. Der damals 72-Jährige übernahm – zum vierten Mal – das Traineramt beim FC Bayern. Es war der Beginn einer weiteren Erfolgsgeschichte des Rheinländers. Von den bisher 40 Pflichtspielen unter seiner Leitung in dieser Saison verlor der FCB nur drei. Seine Mannschaft machte aus fünf Punkten Rückstand auf die Tabellenspitze mehr als 20 Punkte Vorsprung, erreichte das Champions-League-Halbfinale und kann nächste Woche im DFB-Pokalfinale das Double holen. Vor dem letzten Bundesliga-Spiel seiner Karriere am Samstag gegen Stuttgart sprach Heynckes mit dem Bayern-Magazin über sein „Zusatzkapitel“ in München. fcbayern.com veröffentlicht Auszüge aus dem großen Interview.

Herr Heynckes, Deutscher Meister, DFB-Pokalfinale, Halbfinale in der Champions League – wenn Ihnen das jemand zum Amtsantritt hingelegt hätte, hätten Sie unterschrieben?
Heynckes: „Als ich hier anfing, habe ich keinen Gedanken daran verschwendet, Meister zu werden, das Pokalfinale und das Champions League-Halbfinale zu erreichen. Ich habe erstmal überlegt, wo ich den Hebel ansetze, wie die Trainingssteuerung aussieht. Dann sind auch noch Spieler wie Thomas Müller und Franck Ribéry ausgefallen. Es war eine schwierige Zeit. Ende Oktober kam dann das Pokalspiel in Leipzig. Wir sind im Elfmeterschießen weiterkommen, Sven Ulreich hat den letzten Elfmeter gehalten. Das war der Knackpunkt. Da hat die Mannschaft Auftrieb und den Glauben an sich selbst zurückbekommen.“

Sie haben den FC Bayern in einer sehr turbulenten Phase übernommen und schnell wieder auf Kurs gebracht. Jetzt könnten Sie ja Ihr Geheimnis verraten...
Heynckes: „Das war eine Mammutaufgabe. Als ich zusammen mit Peter Hermann und Hermann Gerland die Mannschaft übernahm, haben wir jeden Stein umgedreht. Wir haben unsere Philosophie von Fußball, unsere Arbeitsweise, unsere Akribie eingebracht – und damit viel bewirkt. Wenn man sieht, wie Bayern München im Oktober und jetzt im Bernabéu gespielt hat – das sind zwei verschiedene Welten. Bastian Schweinsteiger hat mir eine WhatsApp-Nachricht geschickt und meinte: Was wir von Oktober bis jetzt veränderten, habe er so noch nie gesehen. Wir hätten im Bernabéu einen unglaublichen Fußball gespielt. Ich habe viele solche Nachrichten bekommen. Diese tolle Entwicklung ist ein Werk der Mannschaft, des Trainerteams und des gesamten Funktionsteams.“

Können Sie sich noch erinnern, was Sie der Mannschaft an Ihrem ersten Arbeitstag Anfang Oktober gesagt haben?
Heynckes: „Damals war ja Länderspielpause und die Spieler sind tröpfchenweise zurück an die Säbener Straße gekommen. Deswegen habe ich insgesamt drei Antritts-Ansprachen im Fitnessraum gehalten (lacht). Ich habe den Spielern mitgeteilt, dass wir sie optimal betreuen werden. Und dann habe ich Usain Bolt zitiert, weil ich eine Biographie über ihn gesehen hatte, kurz bevor ich nach München kam. Als er seine ganz großen Erfolge feierte, hat er sinngemäß gesagt: ‚Sicher besitze ich ein begnadetes Talent, aber ohne mein Team hätte ich die großen Siege nie erreichen können.‘ Das wollte ich der Mannschaft mitgeben: Ohne Teamgeist, ohne Teamarbeit erreichst du im Fußball nichts. Deswegen kann man auch keine Mannschaft zusammenkaufen, um Champions League-Sieger zu werden. Das muss zusammenwachsen.“

Am Samstag gegen Stuttgart steht Ihr letztes Bundesliga-Spiel auf dem Programm. Danach werden Sie zum achten Mal die Meisterschale in den Händen halten. Wie emotional wird dieser Tag für Sie?
Heynckes: „Das kann ich im Moment noch nicht abschätzen. Eigentlich bin ich sehr nüchtern und gelassen, auf der anderen Seite aber auch ein emotionaler Mensch, wenn es um meine Mannschaft und mein Trainerteam geht. Diese acht Monate waren ja so nicht geplant, sondern sind ein Zusatzkapitel zu meiner Biographie, wenn auch ein sehr außergewöhnliches. Mit 72 Jahren noch einmal einen europäischen Spitzenklub wie den FC Bayern zu übernehmen, alles umzukrempeln und in die Erfolgsspur zurückzukommen – ich vermag es nicht zu sagen, wie emotional das für mich wird.“

Glauben Sie, dass Ihnen der Abschied von der Trainerbank nun leichter fällt als 2013, weil es eben „nur“ der Epilog Ihrer Karriere war?
Heynckes: „Natürlich fällt mir der Abschied von meiner Mannschaft und meinem Funktionsteam nicht leicht. Es war für mich die helle Freude, jeden Tag an die Säbener Straße zu kommen, weil wir täglich so eine tolle Atmosphäre haben. Aber ich bin realistisch genug zu wissen, dass meine Kräfte nicht endlos sind. Ich hoffe, dass ich noch einige Jahre vor mir habe und diese mit meiner Familie genießen kann. Darauf freue ich mich. Und daher fällt es mir leicht, den Job aufzugeben.“

Besenrein oder sogar doch luxussaniert – in welchem Zustand übergeben Sie den FC Bayern nun an Ihren Nachfolger Niko Kovac?
Heynckes: „Man hat ja gesehen, wie wir zuletzt Fußball gespielt haben, beispielsweise in Madrid oder auf nationaler Ebene im Pokal-Halbfinale in Leverkusen. Es war in dieser Saison sehr wichtig, jungen Spielern wieder eine Perspektive zu geben. Dass auch der Verein sieht, dass etwas nachkommt mit Potenzial für die absolute Spitzenklasse. Ich denke schon, dass mein Trainerteam und ich maßgeblichen Anteil daran hatten, dass die Mannschaft wieder gut funktioniert, ein klares System hat, Moral und Disziplin vorhanden sind. Das ist für meinen Nachfolger sicherlich alles nicht von Nachteil.“

Herr Heynckes, unsere letzte Frage: Worauf freuen Sie sich zuhause jetzt am meisten?
Heynckes: „Vor allem einfach auf den Umstand, wieder zuhause zu sein. Bei meiner Frau, meiner Familie und meinen Tieren. Ich möchte wieder zur Ruhe kommen und den Kopf frei haben für Dinge, die mir Spaß machen: Bücher lesen, Sport treiben, mit Freunden telefonieren, ins Restaurant oder Theater gehen. Und auch mal wieder Fußball ganz gemütlich als Fan schauen und nicht als Mittel zum Zweck. Das ist alles zu kurz gekommen – und eigentlich absurd, dass man acht Monate in der Traumstadt München wohnt und kein gesellschaftliches Leben hat. Aber ich war abends in meinem Hotelzimmer oft einfach nur müde von dem Arbeitspensum. Ich freue mich darauf, wieder in den normalen Alltag einzutauchen.“


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