Menachem & FredDokumentation: Vier Männer aus Hoffenheim werden nach sieben Jahrzehnten Freunde. Zwei davon sind die Brüder Hopp. Dietmar Hopp ist bekannt als Gründer von SAP und Fußball-Macher vom TSG 1899 Hoffenheim. Die beiden anderen sind die jüdischen Brüder Mayer, die Vater Emil Hopp vor siebzig Jahren aus ihrem Haus geworfen hat. Für die Dreharbeiten zum Film "Menachem & Fred" sind sie sich in Hoffenheim wieder begegnet - und zur Überraschung, nicht zuletzt ihrer eigenen Familien, Freunde geworden
Inhalt * "Menachem & Fred" ist Familiengeschichte und gleichzeitig „Heimatfilm“. Auf der einen Seite gibt es die Familie Mayer, die in den 30er Jahren aus ihrer Heimat vertrieben wurde; auf der anderen sind die Hopps – Gründerfamilie des SAP-Konzerns, Förderer des örtlichen Fußballwunders TSG 1899 Hoffenheim und Nachkommen eines Hoffenheimer SA-Mannes – ihrem Vater. MENACHEM & FRED erzählt die außergewöhnliche Geschichte der Wiederbegegnung der jüdischen Brüder deutscher Herkunft, Menachem Mayer und Fred Raymes, die den Holocaust in einem französischen Waisenhaus überlebten, und deren Wege sich nach dem Krieg trennten.
Beide entschieden sich für diametral entgegen gesetzte Wege des (Über) Lebens – während Fred seine jüdisch-deutsche Herkunft verheimlichte und Amerikaner wurde, fand Menachem ein national-religiöses Leben als orthodoxer Jude in Israel. Viele Jahre leugnete der eine die Existenz des jeweils Anderen, bis die Briefe, die ihnen die Eltern aus dem Lager ins Waisenhaus geschrieben hatten, sie wieder zusammenbrachten. Die Vergangenheit reicht in die Gegenwart - der Film zeigt auch die Geschichte der Versöhnung mit den Nachkommen des SA-Mannes, der sie aus ihrem Haus gejagt hat.
Der Film "Menachem & Fred" beleuchtet diese Versöhnung auf sehr menschliche Art und Weise aus vielerlei Perspektiven.
# Originaltitel: Menachem & Fred
# Kinostart: 01.10.2009
# Filmlänge: 91 Min.
# Jahr: 2009
# Genre: Dokumentation
# Land: Israel, Deutschland
# Verleih: Filmlichter
# Regie: Ronit Kertsner, Ofra Tevet
# Buch: Ofra Tevet
# Kamera: Klaus Sturm
# Musik: Zbigniew Preisner
# Darsteller: Dr. Menachem Mayer, Frederick Raymes, Dietmar Hopp, Emil Hopp
Quelle: Spielfilm.de
Out of HoffenheimVon Ze'ev Avrahami
Der Film
"Menachem and Fred" erzählt von der Vertreibung zweier Brüder aus Deutschland. Jahrzehnte nach dem Holocaust fuhren sie nach Hoffenheim zurück, wo der Vater des SAP-Milliardärs Dietmar Hopp SA-Truppführer war
Bis zum Morgen des 10. November 1938 leben die Mayers - die Mutter Hausfrau, der Vater Kaufmann, die Söhne Manfred, 9, und Heinz, 6, - in Hoffenheim ein fast normales Leben. Dann und wann werden die Brüder von Kindern aus dem Dorf angepöbelt, mitunter werden auch die Namen derer, die mit ihnen, den Juden, Kontakt haben, per Anschlag öffentlich gemacht. Doch die Familie fühlt sich sicher - immerhin hat der Vater im Ersten Weltkrieg gedient und ist mit einem Orden ausgezeichnet worden.
Am Morgen nach der "Kristallnacht" jedoch stürmen SA-Männer ihr Haus, werfen die Familie hinaus, schmeißen ihre Möbel auf die Straße und zerstören die nahe gelegene Synagoge. Angeführt werden sie von Emil Hopp, der nur drei Jahre zuvor Manfred Mayers Lehrer in der ersten Klasse gewesen ist.
Emil Hopp ist Vater von Dietmar Hopp, der später das Softwareunternehmen SAP aufbaut und als Milliardär verlässt; bekannt wird Dietmar Hopp, indem er den Durchmarsch der TSG Hoffenheim bis in die Erste Liga möglich macht.
Mehr als 50 Jahre nach der Vertreibung treffen die Kinder des Peinigers Emil Hopp auf Manfred und Heinz. Der Film "Menachem and Fred" zeigt den Versuch einer Versöhnung - nach Taten, nach denen es eigentlich keine größere Grausamkeit mehr geben kann. Ende 1940 wird die Familie Mayer deportiert. Nach drei Tagen Zugfahrt erreichen sie ein Arbeitslager in Südfrankreich. Die Eltern werden getrennt, die Brüder bleiben bei ihrer Mutter. Nach vier Monaten bietet eine Hilfsorganisation an, die Kinder aus dem Lager zu schmuggeln. Nur 48 Kinder schaffen es auf den Laster, der sie in ein Waisenhaus fährt - Manfred und Heinz sind dabei. Beim Abschied ermahnt der Vater sie, immer zusammenzuhalten. Manfred müsse sich um Heinz kümmern. Die Mutter schafft es nicht rechtzeitig und kann dem Laster nur noch nachwinken.
Im Waisenhaus stehlen Manfred und Heinz Lebensmittel, teils um zu überleben, teils um sie ihrem Vater zu geben, wenn er sie besuchen käme. Sie gehen zur Schule, auch wenn sie die Sprache nicht verstehen. Jeden Tag müssen sie sich gegen die französischen Kinder wehren, die sie dreckige Deutsche nennen.
Ihre Mutter schreibt ihnen regelmäßig, sie träumt von einem Wiedersehen, der Wiedervereinigung der Familie in den Vereinigten Staaten. Ihren letzten Brief schicken die Eltern im August 1942, bevor sie nach Auschwitz deportiert werden. Die Kinder erfahren von Auschwitz und den Gaskammern durch ein zufällig mitgehörtes Gespräch im Waisenhaus. Ein paar Monate später werden die Brüder zum ersten Mal getrennt und an verschiedenen Orten versteckt. Im Mai 1944 flieht Heinz erneut vor der Gestapo und verlässt sein Versteck in Toulouse. Nur zehn Tage vor der Landung der Alliierten in der Normandie erreicht er die Schweiz.
Auch nach dem Krieg bleiben die Wege der Brüder getrennt. Heinz hat es satt, von Heim zu Heim zu ziehen. Er wagt den Neuanfang in einem neuen Land. Ohne Papiere überquert er heimlich die Grenze nach Frankreich, erreicht die Jewish Agency in Paris und wird von dort nach Marseille geschickt. Ende 1948 geht er an Bord der "Independence". Ihr Ziel ist Israel.
Manfred erreicht Amerika und beschließt, sich ganz von seiner Vergangenheit - vom Judentum, seinem Bruder, seiner Sprache - zu lösen. 1952 nimmt er die amerikanische Staatsbürgerschaft an und ändert seinen Namen in Fred Raymes. Er studiert Raumfahrttechnik. Nach dem Examen geht er zur Armee und besteht darauf, auf einer Militärbasis in Alabama zu arbeiten, wo es die besten Labore für ballistische Raketen gibt. Die Verantwortung dort trägt Wernher von Braun, das Hirn des deutschen Raketenbaus im "Dritten Reich". In den Kaffeepausen hört Manfred diese Männer klagen, wie hart der Krieg doch gewesen sei; nie habe es genug Schokolade gegeben.
Auch Heinz ändert seinen Namen. Er nennt sich Menachem (was auf Hebräisch "trösten" bedeutet). Er macht Karriere, heiratet, es kommen Kinder, er findet zum Judentum. So wie Fred sich in den Weltraum träumt, findet Menachem auf israelischem Boden Halt. Nur über eine Tante in London halten sie den Kontakt, nur alle sechs Monate berichten sie sich das Nötigste.
Menachem tröstet sich. Nicht einmal die berühmtesten Brüderpaare der Bibel haben in Einklang gelebt: Isaak und Ismael, Jakob und Esau, Kain und Abel.
Beider Ehefrauen jedoch - Fred wie Menachem heiraten 1956 - haben bald häufiger Kontakt. 1959 zieht Fred in eine neue Wohnung und überlässt Menachem die Briefe ihrer Mutter. Menachem legt sie in einer teuren Ledermappe ab und schiebt sie in den hintersten Winkel der untersten Schublade seines Schreibtischs.
Anfang der 70er-Jahre reisen beide, jeder für sich, nach Deutschland - und beide nehmen sich je einen Tag Zeit für einen Abstecher nach Hoffenheim. Menachem geht zu ihrem alten Haus und stellt sich als der Jude vor, der einmal hier gewohnt habe. Ein Nachbar ruft daraufhin zwei große junge Deutsche herbei, die Menachem auf Schritt und Tritt verfolgen: Der Jude soll bloß nicht für Unruhe sorgen. Menachem reist ab und schwört sich ein zweites Mal, nie mehr nach Deutschland zurückzukehren.
1974 besucht Fred zum ersten Mal seinen Bruder in Israel. Ihre in 30 Jahren der Trennung aufgestauten Ängste überwinden die beiden. Sie reisen und entdecken, wie ähnlich sich ihre Geschmäcker sind, wie sehr ihre Weltsicht sich gleicht.
Das Erziehungsministerium schickt Menachem in den 80er-Jahren nach Paris zur Jewish Agency. Er hat in eben dem Gebäude zu tun, das er vor 40 Jahren aus der Schweiz kommend erreichte. An den Wochenenden öffnet er die schöne Ledermappe mit den Briefen der Mutter. Er erfährt von seinen Eltern, sich selbst, seinem Bruder, der Vergangenheit. Er beginnt, Dokumente und Fotos zu sammeln. Er versucht, nach Deutschland zu reisen. Kaum jedoch hat er die Grenze überquert, dreht er sich zu seiner Frau um und sagt, dass sie nach Frankreich zurückmüssten, weil er jetzt unbedingt, wirklich unbedingt unter die Dusche müsse.
Alles drängt Menachem, ein Buch zu schreiben, ein Denkmal für seine Eltern, ein Vermögen, das er seinen Kindern vererben kann, bevor seine Generation verschwindet. 1998 reist er mit Fred nach Kanada. Sie schreiben einander nun Briefe. Aus dieser Korrespondenz sowie den Briefen ihrer Mutter erwächst das Buch "Aus Hoffenheim deportiert: Menachem und Fred - Der Weg zweier jüdischer Brüder".
Über Umwege erfahren die Geschwister Carola, Rüdiger und Dietmar Hopp aus Hoffenheim von diesem Buch, für das sich keine Übersetzung ins Deutsche finanzieren ließ. Sie lesen das Buch und beschließen, für seine Übersetzung aufzukommen. Ihr einzige Bitte ist, den Namen ihres Vaters aus dem Spiel zu lassen, um Schaden von gutem Dietmars Ruf abzuwenden. Doch Menachem und Fred weigern sich. Die Verbrecher sollen Namen haben - genau wie ihre Opfer.
Nach dem letzten Satz des Buches jedoch, in dem es heißt, man dürfe den Kindern nicht die Schuld an den Verbrechen ihrer Eltern geben, beschließt die Familie Hopp, Verantwortung zu übernehmen. Carola Hopp, 1938 zehn Jahre alt, erinnert sich an die beiden Kinder, die sie immer aus dem Fenster ihres Hauses in der Bahnhofstraße sah. Sie seien immer gut gekleidet gewesen und hätten, anders als die anderen Kinder im Dorf, immer offen und freundlich gewirkt. Carola erinnert sich auch an die Tante der Brüder, Elsa, die den Hopps Challa-Brote verkauft habe, aus einem mit einem weißen Tuch abgedeckten Korb. Sie weiß noch, wie der Nazi, der unter ihnen wohnte, einen Wutanfall bekam, weil sie Juden ins Haus gelassen hatten. Sie weiß auch noch, wie in der "Kristallnacht" der Befehl übers Telefon kam und wie ihre Mutter, die damals schwanger war, Angst hatte, Gott werde sie für die Untaten ihres Mannes bestrafen. Sie werde ein Monster zur Welt bringen, erklärte sie der kleinen Carola.
Der Vater der Hopps musste für seine Beteiligung an der Zerstörung der Synagoge elf Wochen ins Gefängnis und fand bis zu seinem Tod 1967 nie mehr eine Stelle als Lehrer. Rüdiger Hopp erinnert sich an den einzigen Versuch des Vaters, mit ihm, dem Sohn, über die Ereignisse von damals zu sprechen. Er habe gehorchen müssen, habe der Vater gesagt, andernfalls hätte er seinen Job verloren oder wäre womöglich in ein Lager gekommen. Doch Rüdiger glaubt ihm kein Wort. Seiner Ansicht nach war der Vater ein überzeugter Nazi, der der nationalsozialistischen Propaganda jedes Wort glaubte. Ständig betrunken sei der Vater gewesen und ein normales Familienleben, erinnern sich die Hopp-Kinder, hätten sie gar nicht gekannt.
2004 treffen sich Carola und Rüdiger Hopp mit Fred und dessen Frau in Sarasota, Florida. Sie danken Fred dafür, dass er ihnen überhaupt die Hand schüttelt, und Fred bricht zusammen. Wie soll man jemanden hassen, der sich bedankt, dass man seine Hand nimmt?
2005 beginnen Fred und Menachem eine Reise in ihre Vergangenheit. Die Kamera folgt ihnen an die Schauplätze ihrer Kindheit, wo eine Bäuerin sie bittet, das Geschehene zu vergessen. Die Deutschen hätten doch auch gelitten. Fred und Menachem fahren zum Lager in Südfrankreich und finden ausgerechnet an seiner Stätte - dort, von wo aus sich ihre Mutter erkundigt hat, ob bei ihnen die Bäume blühen - einen dichten Wald, der alle Spuren der Vergangenheit getilgt hat. Sie fahren zum Waisenhaus, wo ein Junge den deutschen Kameramann fragt, warum sie die Juden ermordet hätten, und der Kameramann sagt: "Es waren nicht wir, es waren die Nazis." Sie fahren bis nach Auschwitz, gehen über die Schienen und stehen unter dem Tor. Fred sagt, dass auch Gott hier gestorben sei; Menachem sagt, dass sein Gott hier gar nicht gelebt habe.
Menachem erinnert sich. Er erinnert sich an seine Verblüffung, als der Vater bei seiner Rückkehr aus Dachau keine Schokolade mitbrachte. Er erinnert sich, wie er zum ersten Mal das Mittelmeer gesehen hat, vom Zug aus, auf dem Weg zum Lager. Er beginnt, ein Tagebuch zu führen. "Ich kann die Gefühle nicht wachrufen. Die Verdrängung war existenziell, eine Frage der geistigen Gesundheit. Ich bedaure die Überlebenden, denen es nicht gelungen ist, zu vergessen und sich von ihren emotionalen Erfahrungen zu befreien. Ich kann die Atmosphäre nicht wiederfinden. Ich danke Gott für das Vergessen."
Übersetzung aus dem Englischen: Wieland Freund
Der israelische Journalist Ze'ev Avrahami ist Korrespondent für die israelische Tageszeitung Haaretz
Quelle:welt.de
Sicherlich kein Popcorn-Kinofilm. Aber ich denke man kann sich solche Filme auch mal anschauen.
Weitere Infos zum Film
Spiegel-Online