„Von 60 Toren hat Westermann gefühlt 30 verschuldet“

Ex-Profi Paul Scharner teilt gegen das Fußballsystem aus. Junge Spieler würden von den Klubs zu konformistischen Menschen geformt. Auch sein früherer HSV-Kollege Westermann bekommt sein Fett weg.

Aus seiner Zeit in der Bundesliga ist Paul Scharner vor allem deshalb in Erinnerung geblieben, weil er als Profi nicht in einem dicken Auto, sondern auf dem Fahrrad zum Training erschien und ein Mann klarer Worte war. Jene Eigenschaft hat sich der Österreicher auch nach seinem Karriereende bewahrt und nun zu einem Rundumschlag gegen die Entwicklungen im Fußball ausgeholt.

In einem Interview mit dem Wettanbieter bwin kritisiert der 37-Jährige, dass Querdenker von der Sorte eines Scharner heute komplett fehlen würden, weil das Ausbildungssystem so etwas nicht mehr zulasse.

„In den ganzen Akademien wird auf die individuelle Förderung gepfiffen. In Österreich werden Spieler so erzogen, dass sie nicht dagegensprechen, wenn der Trainer etwas sagt, dass sie pflegeleicht sind und dass man sie überall hinschieben kann“, so Scharner. „Das Resultat ist, dass die Spieler sich nie auf eigene Beine stellen und auch im Bedarfsfall nicht auf den Putz hauen und ihre Meinung sagen, geschweige denn außergewöhnliche Leistungen in schwierigen Momenten und Situationen bringen können.“

„80 Prozent der Fußballer lassen sich scheiden“

Während der Karriere, meint der 40-malige Nationalspieler, „leben die Spieler definitiv in einer Parallelwelt. Man muss sich nur Statistiken zu Ex-Fußballern ansehen. In England lassen sich 80 Prozent der Fußballer nach der Karriere scheiden. Das ist ja irre. Und das nächste Problem ist der Verdienst. Zuerst baut man sich ein Leben auf, das sich ein Normalsterblicher nie leisten kann und das nur aus Luxus besteht. Und dann ist das regelmäßige Einkommen plötzlich weg. Das kann einen ganz blöd erwischen, wenn man nicht vorbereitet ist.“

Diese Beobachtungen habe er auf all seinen Stationen gemacht: bei Austria Wien, in Salzburg und Bergen/Norwegen, bei Wigan Athletic und West Bromwich Albion in der Premier League sowie beim HSV.

Bei seinem nur kurzen Bundesliga-Engagement 2012 in Hamburg mit gerade einmal vier Pflichtspielen ist dem ehemaligen Verteidiger noch etwas anderes aufgestoßen: Mitspieler Heiko Westermann. Der Ex-Kapitän habe beim HSV eine riesige Lobby gehabt, was Scharner kaum verstehen konnte: „Ich glaube, ich hatte noch nie einen Mitspieler, der so viele Tore verschuldet hat wie er und trotzdem immer gesetzt war. Von den 60 Toren, die wir bekommen haben, hat er gefühlt 30 verschuldet. Da gibt es ein interessantes Video, das gerade im Netz kursiert. Ich glaube das heißt ‚Slapstick Westermann‘ oder so ähnlich“, erzählt Scharner.



Westermann (33) spielt mittlerweile bei Ajax Amsterdam, Viertelfinalgegner des FC Schalke 04 in der Europa League am 13. und 20. April. Der frühere deutsche Nationalspieler kommt bei Ajax allerdings nicht über eine Statistenrolle hinaus.

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