CHESTER BENNINGTON (†41)
Eine Generation verliert ihre Stimme
Jede Generation hat ihre Helden. Einer hat sich am Donnerstag entschlossen, seinem Leben ein Ende zu setzen.
Elvis starb 1977 in seinem Badezimmer, Kurt Cobain erschoss sich 1994 mit einer Schrotflinte. Chester Bennington erhängte sich 2017 in seinem Schlafzimmer.
In vielen Jahren werden wir realisieren, wen wir verloren haben. Nicht nur als Sänger. Er war die Stimme einer ganzen Generation – die Musik über das Internet konsumierte und auf der verzweifelten Suche war nach echten Stars.
Linkin Park haben mehr als 60 Millionen Fans auf Facebook. Keine Band hat mehr. Keine. Nicht Metallica. Nicht Pink Floyd. Nicht die Beatles. Sie waren die letzte neue große Welt-Rockband. Danach kam nichts Vergleichbares mehr. Jetzt ist sie ausgelöscht, einfach so. An einem Donnerstag.
2000 erschien „Hybrid Theory“ und verändert die Welt. Sie vermischten alles. Metal, Rap, Pop. Viele haben es gehasst. Es war die neue Welt. Alles war möglich. Das Album ist bis zum heutigen Tag zusammen mit „Black Ice“ von AC/DC das erfolgreichste Rock-Album seit dem Jahr 2000.
Und Chester war die Stimme dieses Meisterwerks. Sie ist verstummt.
Ich habe sie erst spät für mich entdeckt. An den großen Hits wie „In The End“ oder „One Step Closer“ kam auch ich in den frühen 2000er-Jahren nicht vorbei. Doch erst „Living Things“ aus dem Jahr 2010 sollte für mich die Sicht auf Linkin Park ändern. Songs wie „Lost In The Echo“ oder „Castle Of Glass“ versprühten eine ungeheure Melancholie, verkleidet in Pop, Rock oder auch Rap. Sie zog mich magisch an. Danach verlor ich die Band wieder aus den Augen.
Bis ich Linkin Park 2014 in Berlin erstmals
erleben durfte. Ich war weder der älteste noch der jüngste. Teenager tanzten, Ü-50-Jährige tranken Bier. Ich war verblüfft.
Ich verstand, warum diese Band so groß ist. Sie hat musikalisch alle Grenzen gesprengt und damit niemanden ausgeschlossen. Jeder fand irgendeinen Song, den er richtig geil fand. Viele finden das anbiedernd. Ich nicht.
Ich durfte Chester vor zwei Jahren kennenlernen, er spielte mit seiner Band im Stadion an der Alten Försterei. Als erste Band überhaupt. Ich war überrascht über den Menschen Chester Bennington. Nett, fröhlich, etwas schüchtern. So habe ich ihn kennengelernt, und so war er wohl auch.
Wenn ich in diesen Stunden die Einträge der befreundeten Bands lese, von Avenged Sevenfold, Slipknot oder auch Five Finger Deathpunch, dann sehe ich Chester wieder vor mir. Ein Mensch, den man mögen muss.
Es gibt Interviews, aus denen geht man mit einer Leere. Mit Gleichgültigkeit. Ich erinnere mich, wie fröhlich ich war, nachdem Chester und ich uns verabschiedeten. „Was für ein toller Kerl“, sagte ich zu mir. Ein Weltstar. So auf dem Boden geblieben.
Doch ich war auch verwundert. Denn Chester sagte im Gespräch: „Ich habe noch nie in meinem Leben Facebook genutzt.“
Dabei ist Linkin Park die größte Band der Welt auf Facebook. Doch Chester war diese Welt fremd. Er ist der Außerirdische.
Er erzählt mir den Grund: „Ich will mit den meisten Menschen von früher nichts mehr zu tun haben. Ich will sie vergessen. Es waren nicht immer gute Zeiten.“
„Ich versuche, die Menschen zu vergessen.“ Er lachte, als er diese Worte sagte. Ich lachte auch. Heute lache ich nicht mehr. Ich stelle mir jetzt vor, was er damit gemeint hat.
Erst nach dem Interview habe ich erfahren, dass er bereits 2008 in einem Interview davon sprach, als Siebenjähriger von einem älteren Jungen über mehrere Jahre hinweg missbraucht worden zu sein. Ich wusste es nicht. Meine Zeit mit der Band begann 2010. Für mich war er, auch bei unserem Treffen, ein netter, schüchterner Rockstar. Nicht mehr, nicht weniger. Wie wenig wir übereinander wissen.
Das letzte Konzert, das ich von Linkin Park erleben durfte, ist fünf Wochen her. Am 12. Juni in Berlin. Nein, es war nicht das wichtigste Konzerte meines Lebens, ihres schon gar nicht. Aber es war anders. Tiefer. Die Bühne kleiner, die Songs ruhiger. Es war das letzte Einzelkonzert von Linkin Park in Deutschland.
Es war nicht mal ein richtiges Konzert. Es war eine Show für ihren Sponsor. Mercedes Benz – denn die Band liebte schnelle Autos. Ja, Rockbands können manchmal schrecklich einfach sein. Neben meiner Freundin und mir begann ein Zuschauerblock, in dem nur Mitarbeiter von Mercedes Benz saßen. Offenbar ein Betriebsausflug. Sie tranken, machten Selfies und tanzten. Ich glaube, sie hatten keine Ahnung von der Musik. Sie haben es nicht verstanden. Vielleicht haben wir ihn alle nicht verstanden.
Aus meinem Lautsprecher läuft gerade die erste Single des letzten Albums „One More Light“: „Heavy“. Die Nummer erschien Anfang März dieses Jahres. Nein, kein Heavy Metal. Sondern tieftraurig, mit einer verführerischen Melodie. Tieftraurig und doch so Mainstream. Es ist der Soundtrack seines Lebens. Der Refrain fasst sein Leben wohl gut zusammen: „Why is everything so heavy?“ („Warum ist alles so schwer?“)
Das letzte Album klingt im Nachklang schrecklich. Songs wie „Heavy“ oder auch „Nobody Can Save Me“ bekommen eine neue Bedeutung. Musik kann so tief sein, und so ehrlich.
Aber „One More Light“ kam nicht gut an. Kein Album der Band hat sich bisher schlechter verkauft. Doch ich verliebte mich schon beim ersten Durchlauf. Ich liebe die ruhigen Töne, die tiefen. Es ist Pop. Und vielleicht war es ein Hilferuf, ich weiß es nicht.
Man sagt, kein Geld der Welt kann Glück kaufen. Ich glaube so langsam, dass es stimmt. Chester Bennington stand die Welt offen, seit fast 20 Jahren. Doch sie erfüllte nicht sein Leben. Der Erfolg konnte ihn nicht retten. Die Depressionen haben gesiegt. Leider. Wir alle wollten ihn retten, mit unserer Liebe, mit dem Jubel, dem Mitklatschen und Headbangen, auf jedem verdammten Konzert. Es ist uns nicht gelungen, es hat nicht gereicht.
Das letzte Kapitel ist „Sharp Edges“, der letzte Song auf dem letzten Album. Es ist die letzte Strophe.
We all fall down,
We
somehow,
We learn what doesn't kill us makes us stronger.
„Wir lernen, was uns nicht tötet, macht uns stärker.“
An diesem Donnerstag war er nicht mehr stark genug. Seine Kraft war zu Ende. Man lebt nur einmal. Es ist immer auch das letzte Mal.
Der Tod ist schrecklich. Seid lieb zueinander.
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