Dschungelcamp - Tag 6 Der Schmetterling macht die Flatter

Giuliana hat genug von anatomischen Verhören und Ziggi-Entzugsgejammer: Sie packt zusammen und geht. Der Zuschauer ginge gerne mit. Nur: wohin?

Von Anja Rützel

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Es war kein schöner Tag. Erst verbreitete sich auf Twitter die Nachricht, dass Simon Shelton Barnes gestorben war, der Balletttänzer, der Tinky Winky, das feinsinnigste Teletubbie von allen (lila), gespielt hatte. Am frühen Abend erfuhr man, dass Mark E. Smith, verehrter Kauzkönig und Sänger von The Fall, nicht mehr lebt. Und dann packte schließlich noch Giuliana im Camp ihre Sachen und ging, dieses okapihafte Tränentierchen - dabei hätte man gerade ihr eigentlich als Einziger von Herzen den Sieg gegönnt.

"Das blöde Gelaber steht mir bis zur Kimme", hatte Matthias zuvor gezetert, in tief empfundener Solidarität hatte man ihm dafür vor dem Fernseher ein paar müde Zeitlupenklatscher gespendet und ihm dann weiter zugehört, wie er noch mal seine Dschungelprüfung vom Vortag aufwärmte, namentlich die "formatierten Bohnen", die es doch bitte als Spitzenwitz auf die Speisekarte der einen oder anderen Informatiker-Mensa schaffen sollen, damit von diesem Camp überhaupt etwas für die mittelfristige Ewigkeit bleibt.

Im Gegensatz von Giuliana, die von Herzen genug hatte und völlig undramatisch, reflektiert und sichtbar erleichtert scheinbar aus dem Nichts verkündete, den Dschungel verlassen zu wollen. Die Heldinnenreise, die sie im Camp noch hätte hinlegen können, war schon vorgezeichnet wie in einem dieser verstörenden Ausmalbücher für Erwachsene, aber nein: Der Schmetterling macht die Flatter. Vorher entschuldigte sie sich noch schwerst angefasst bei Daniele dafür, dass er auch wegen ihres Regelverstoßes (unerlaubtes Barfußlaufen im Camp) ohne Zigaretten darben kann. "Passiert", raunzte er grammatiksparsam zurück.

War das der Auslöser oder doch etwas ganz anderes? Giuliana jedenfalls zählte ihre Pfründe, die sie noch nicht leichtfertig verschleudert hatte: "Ich hab ja hier noch nicht so viel hergegeben, ich habe nicht viel von mir erzählt, nur zwei Sachen, ich habe noch Gesprächsstoff, ich kann noch viel machen", bilanzierte sie - erste Abgezocktheitsschrammen (vermaledeites Natascha-Coaching!) in ihrer gutmütigen, glatten Unbedarftheit. Dann stellte sie sich vor die versammelte Mannschaft und erklärte klar und fest, sie könne schlicht nicht mehr: "Ich habe hier so viel Zeit um nachzudenken, das schmeißt mich so in meine Vergangenheit zurück, in der ich nicht so schöne Sachen erlebt habe."

Herzzerreißend, wie sie sich dann ihren Fächer vors Gesicht hält, damit man ihre Tränen nicht sieht, und sofort wünscht man dem wunden Menschlein, dass es bald in Ruhe lernen kann, ein kleines bisschen besser mit sich klarzukommen. "Sie war die kleine Große, ich dachte, ihr kann gar nichts etwas anhaben, und ich habe nicht geahnt, dass sie so traurig ist", weinte Tina im Dschungeltelefon.

Filme, die man mit der müden Truppe hurtig abdrehen könnte

Die Trauer im Camp wich bald wieder dem üblichen Raunz-Umgangston. "Ich bin hier echt im falschen Film", schnappte Matthias. "Ein Hollywoodfilm ist das nicht", erkannte Ansgar scharfsinnig und sachlich völlig richtig. Ein paar Streifen fallen einem aber schon ein, die man mit der müden Truppe hurtig abdrehen könnte:


Ein aus dem Gedächtnis nacherzähltes Mooshammer-Biopic mit Matthias in der Hauptrolle - man müsste nur schnell noch seine Malteserhunde Joys von Rosenholz und Quanto Amore of White Magic einfliegen, damit die sich die Rolle der Daisy teilen können.
Oder die Sozialverzweiflungskomödie "Wie werden wir ihn los - in 14 Tagen?". In der Hauptrolle Sydney, der mit seinem Ich-gehe-nein-ich-bleibe-ich-gebe-euch-morgen-Bescheid-Hü-und-Hott inzwischen wirklich unfassbar nervt. Wäre es nicht schön, wenn er heute wie jeden Tag seinen nahenden Abgang ankündigen würde, und keiner ihn mehr aufhielte? Sondern nur beiläufig "Jo, tschaui!" murmeln würde?
Letzte Filmidee schließlich, falls die anderen Ideen floppen: Dann halt doch "Spartabusen", ein frivolkomödiantischer Sandalenfilm. Wäre auch recht günstig, denn mit diesen eigenartigen zahnbelagsfarbenen Gewändern wären die Frauen des Camps bereits top eingekleidet (und das Titellied wäre natürlich "Theme from Sparta FC" von The Fall).

Wichtig wäre nur, Tina in allen drei Optionen eine ausreichend große Rolle ins Drehbuch zu schreiben, denn gestern entdeckte sie überraschend ihre ulkige Seite. Als Natascha im Camp eine möglicherweise unerlaubte Wäscheaufhängung befestigt, und die anderen neue Repressalien fürchten, droppt Tina den Satz des Tages: "Wir kriegen eine Kollektivstrafe: Keiner darf mehr kacken."

Wie jeden Tag musste Matthias dann noch seine Dschungelprüfung ableisten, und inzwischen muss man sich wirklich aufrichtig fragen, welchen Unterhaltungsgewinn die Anrufer aus dieser täglichen Stumpfroutine ziehen - abgesehen von nachtragender Abstrafung für sein Gezeter aus den ersten beiden Tagen.

Absolut gelassen und abgeklärt sammelte er in schwindelnder Höhe ohne übertriebenen Ehrgeiz gerade so viel Sterne aus einem wurmgefluteten Raumschiff, dass die anderen damit halbwegs zufrieden sein dürften, und sprang am Ende wirklich tollkühn und ohne zu zaudern in die Tiefe, um die letzten vier Sterne zu kassieren. Sechs waren es am Ende insgesamt. Natürlich muss er auch an Tag 7 wieder ran, allerdings im Zweierpack mit Daniele. Warum nicht mal einen der anderen Bewohner schicken, von denen außer halbgarer Sprüche nichts kommt? Wie wäre es mal mit David? Oder Ansgar?

"Aufgeben ist ein bisschen wie sterben", räsonierte der zu Giulianas Abgang: "Und wer will schon sterben?" Fast, Ansgar, fast: Abschied ist ein bisschen wie sterben.

Tschüs Simon, tschüs Mark. Und pass auf deine Geschichten auf, Giuliana.


Quelle: https://www.spiegel.de