Raabs ehrlichster Moment kam ganz zum Schluss

Das war's: "TV Total" ist Fernsehgeschichte. Eine letzte Sendung ohne große Höhepunkte. Doch zum Ende kam noch etwas, das es in 16 Jahren vorher nie zu sehen gab.

Das ist das große Finale einer Sendung, die es geschafft hat, in 16 Jahren Fernsehgeschichte zu schreiben? Irgendwie lapidar. Sie singen Volkslieder, Raab sagt danke und beinahe denkt man, och ok, dann war's das eben – und dann gibt es plötzlich etwas zu sehen, das Raab so vorher noch nie gezeigt hat. Aber greifen wir nicht vor; der Reihe nach.

Es beginnt mit Stand-up – warum in der letzten Sendung noch das Konzept umwerfen? Er grinst, badet sich in diesen Momenten. Blickt zurück ins Jahr 1999, als alles begann. "Als wir hier angefangen haben mit "TV Total", da war der Berliner Flughafen noch eine Baustelle." Immer wieder unterbricht er das letzte Wort seiner Pointe, weil er selbst über seine Witze lachen muss. Kritiker nannten das mal unprofessionell, weil sie nicht verstehen: diese scheinbar naive Begeisterung macht ihn aus. Ein Junge in seinem eigenen Sandkasten – jedes bunte Förmchen entlockt ihm ein debiles Grinsen.



Wie Showpraktikant Elton die Sendung prägte

Die letzte Sendung ist anders, als alle davor. Ein Rückblick. Kein buntes Best-of voller Highlights, sondern etwas überraschend eine Hommage an einen Mitarbeiter, der die Sendung vielleicht stärker mitgeprägt hat, als man das auf Anhieb vermuten würde. Elton, sein ewiger "Showpraktikant", einziger Gast und dann auch noch im etwas zu eng anliegenden Weihnachtspulli. Sie sitzen zusammen am Tisch und schauen alte Ausschnitte mit Elton. Das damalige TV-Greenhorn muss einen Moderationstext ablesen, während Raab versucht, ihn abzulenken. Mit einer Wasserpistole.

Elton müht sich ab, Raab hüpft wie ein achtjähriger Bengel feixend um ihn herum. Unfassbar blöd, überraschend lustig. Warum eigentlich, ich kann doch bis drei zählen! Stefan Raab steckt an. Sein Lachen der Seismograph, das Fieberthermometer für die Frage: Lustig oder nicht so? Ohne ihn würde man wohl häufiger zu nicht so tendieren. Stefan Raab selbst ist der Witz. Im besten Sinne des Wortes. Offenbar hat er das irgendwann erkannt und zum Beruf gemacht.

Am Ende war Stefan Raab nie privat

Diese hartnäckige Kritik von Anfang an, er sei nicht gut vorbereitet, wirke, als würde er die Witze beim Präsentieren selbst erst kennenlernen. Und wenn das stimmte? Dann würde sich erklären, warum er so herzhaft über die vermeintlich eigenen Witze lacht – eine Zutat zum Erfolgsrezept TV Total.

Jetzt Werbung, kurz mal reflektieren. Ist er anders als sonst? Sentimental wirkt er nicht, eher erleichtert. Andererseits wäre er der Letzte, der seinem Publikum einen Moment echter Emotion, die über Humor hinausgeht, gönnen würde. Oder? Am Ende war er nie privat, hat nichts preisgegeben. Wir sehen die Figur Raab, nicht den Menschen. Reicht doch auch.

Als er beim diesjährigen Comedypreis ein Abschiedslied singen sollte, wählte er den lokalen Klassiker: "Isch bin eene kölsche Jung, wat wilze maache? Isch bin eene kölsche Jung und donn jern laache." Und just wo das Lied zu sehr ins Wehmütige zu lappen drohte, steckte er sich übergroße Hasenzähne an – und sang weiter. Sich einfach mal verletzlich zeigen; er würde es nicht aushalten. Auch ein selbsternannter Bundeskaspar kennt Berufsethos.

Gags auf alles, was sich bewegt – das ist Raabs Konzept

Dann ein weiterer alter Einspieler: Elton und Raab auf einer Schönheitsfarm. Raab zieht ihm per Wachsstreifen die Haare vom Po. Elton brüllt, Raab kichert hysterisch. Vielleicht doch ganz gut, dass diese Show hier und jetzt ein würdiges Ende findet? Nein! Auch der dümmste raabsche Schabernack erscheint gerechtfertigt, weil er uns mitnimmt, immer den kurzen, ironischen Blick in die Kamera, zu uns. Und auch Trash-Comedy gibt es in gut und schlecht – das musste er selbst herausfinden, inzwischen überwiegen wohl die guten Momente. Und doch mehr Kindergeburtstag als Late-Night-Show.

Denn mit den Zutaten einer Late Night Show war sein Anspruch doch ein anderer. Kein Bemühen um ernsthafte Einordnung des Tages, gewandet in aktuelle Witze, wie es etwa Schmidt jahrelang gemacht hat, mal recht, mal schlecht. Nein, kurze Gags, auf alles, was sich bewegt, eine Band, die viel zu gut ist, um als Pausenfüller in eine Studioecke gestellt zu werden – und die jahrelang treu zur Seite stand.

Und ausgerechnet diese Show hält im Late-Night-Segment am längsten durch? Das ist erst mal eine Aussage über das Fernsehen in Deutschland, Erwartungen der Sender und Sehverhalten der Deutschen – es sagt aber auch ganz einfach, dass es immer wieder schön war, am späten Ende des Tages ein wenig gut gemachten Quatsch konsumieren zu können.

Tatsächlich – feuchte Äuglein beim Grobschlächter Raab!

Gleich ist die Sendezeit vorbei. Ob noch was kommt? Elton wischt den Boden, Raab hilft ihm und singt mit Begleitung seiner wie immer hervorragenden Studioband "That`s what friends are for". Endlich Gefühl? Romantik? Wehmut? Raab kichert: "Jetzt auch TV Total, das Musical". Er spielt mit dem Wunsch, der Erwartung der Zuschauer, die jetzt aber doch mal irgendwie etwas Trauer in den kleinen Äuglein des Grobschlächters sehen wollen. Er lässt uns gekonnt abblitzen, wie es Harald Schmidt nicht besser gekonnt hätte. Dafür nutzt Raab seine gut kaschierte Sensibilität; zu verstehen, welcher Automatismus hier erwartet wird – und ihn gleichzeitig zu brechen. Er hält das durch. Oder?

"Wir haben doch keine Zeit" – lange Zeit Raabs Lieblingsspruch und heute bewahrheitet er sich. Die Uhr tickt, die Stunde ist um. Wie gesagt: fast unmotiviert plärren sie Volkslieder runter. Dann sagt Raab danke an alle, das wars. Und dann, nach 16 Jahren "TV Total", nach lautem Geschrei, albernen Streichen, viel Musik und einigen Griffen ins Klo, dann passiert es: Raab bricht kurz die Stimme weg, seine Augen gerötet, feucht. Tränen? Er wird das abstreiten, aber wir sind ja nicht blind! Es nimmt ihn mit, es überwältigt ihn kurz. Er dreht sein Gesicht von der Kamera weg. Der letzte Moment der Sendung, er ist ihr ehrlichster. Raab ist ein Mensch! En kölsche Jung. Einer, der dem deutschen Fernsehen fehlen wird. Total!

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