Ein Jahr nach dem Flugzeugabsturz
Klassenerhalt: Chapecoense schafft das Wunder

Kleiner Verein, großes Wunder - Chapecoense schafft ein Jahr nach dem Flugzeugabsturz den Klassenerhalt.

Aus Chapecó berichtet Jörg Wolfrum

Wenn das mal keine Wertung ist: Ähnlich wichtig wie die Meisterschaft 2011 in Frankreich mit Lille "und genauso emotional wie damals" sei nun in Brasilien der Klassenerhalt mit AF Chapecoense. So jubelte Tulio de Melo am Donnerstagnacht, nachdem er mit seinem Siegtreffer zum 2:1 für Chapecoense im Kellerduell gegen Vitoria aus Bahia den Verbleib des Teams aus der Stadt Chapeco in der 1. Liga sichergestellt hatte.

Präsident Plinio David de Nes Filho sprach nach dem unter sintflutartigen Regenfällen ausgetragenen Spiel gar von einem "Ausrufezeichen für ganz Brasilien. Wir haben allen Widrigkeiten getrotzt". Er widmete den Erfolg umgehend auch den verunglückten Kollegen.

Denn fast genau ein Jahr nach dem Flugzeugabsturz vom 29. November 2016, bei dem 71 Menschen starben, darunter fast die gesamte Mannschaft und der Betreuerstab sowie zahlreiche Funktionäre von Chapecoense, hat der kleine Verein aus dem Süden Brasiliens damit so etwas wie ein großes Wunder geschafft.

Drei Spieltage vor Schluss ist "Chape" gerettet

Drei Spieltage vor Saisonende kann "Chape", wie die Fans den Verein rufen, bei nun 47 Punkten nicht mehr absteigen. Zwar haben Vitoria und Ponte Preta jeweils 39 Zähler, beide Teams treffen jedoch am vorletzten Spieltag aufeinander. Damit ist Chapecoense auch mathematisch nicht mehr abzufangen.

Die Kameradschaft hier ist phänomenal. Allerdings mussten wir uns manchmal auch klarmachen, dass es letztlich um Punkte geht.
Tulio de Melo


"Der Zusammenhalt in dieser Truppe ist riesengroß", erklärte Siegtorschütze de Melo, der nur Minuten vor seinem Kopfball-Treffer eingewechselt worden war, den Erfolg. Der 32-jährige Angreifer war 2015 aus Valladolid gekommen, im Unglücksjahr jedoch für Sport Recife am Ball gewesen. Erst im Januar 2017 hatte ihn die neue Chapecoense-Führung zurückgeholt: "Die Kameradschaft hier ist phänomenal. Allerdings mussten wir uns manchmal auch klarmachen, dass es letztlich um Punkte geht."

Vor einem Jahr: 71 von 77 Insassen sterben

Von denen hat Chapecoense, das durch den Sieg gegen Vitoria sogar auf Tabellenrang zehn kletterte und damit aktuell sogar noch vor den Ex-Meistern FC Sao Paulo, Atletico Mineiro oder Fluminense steht, nun so viele gesammelt, dass auf der Zielgeraden gar noch die internationalen Plätze erreicht werden können. "Das ist nun eindeutig unser Ziel", sagte Trainer Gilson Kleina am Abend in der Arena Condá, in der im Dezember vergangenen Jahres noch dutzendfach die Särge der verunglückten Spieler, Betreuer und Funktionäre aufgebahrt waren.Zur Erinnerung: Ende November 2016 war ein von Chapecoense gechartertes Flugzeug der bolivianischen Airline Lamia auf dem Weg zum Finalhinspiel um die Copa Sudamericana gegen Atletico Nacional in Kolumbien abgestürzt. 71 von 77 Menschen an Bord starben - neben 19 Profis auch der damalige Trainer Caio Junior.

Minute 71: "Vaaaamos, vamos Chapeeee" - Auch Ex-Trainer Vagner Mancini gerührt

Statt aber den Verein nach der Tragödie aufzulösen, entschloss sich bei Chapecoense zum Jahreswechsel ein verbliebener Rest an Funktionären, praktisch von Null anzufangen und eine neue Mannschaft zusammenzustellen. Im Dutzend wurden Spieler von anderen Klubs ausgeliehen - einen ersten Erfolg gab es im Frühjahr mit der Titelverteidigung der Regionalmeisterschaft von Santa Catarina. Die erfolgte noch unter Neuaufbau-Trainer Vagner Mancini, der im weiteren Verlauf der Saison nach einer Niederlagenserie entlassen wurde. Unter dem erst seit Oktober amtierenden Coach Kleina, bereits dem dritten Trainer im Jahr 2017 (hinzu kommt ein Interimscoach), gab es zuletzt sieben Spiele ohne Niederlage, darunter vier Siege. Der letzte nun gegen Vitoria mit dessen neuem Trainer: eben jenem Vagner Mancini. Der vergoss am Donnerstag Tränen der Rührung in der Arena Conda, in der die Fans ob der 71 Todesopfer in der 71. Minute mittlerweile schon traditionell "Vaaaamos, vamos Chapeeee" skandierten. Nun steht fest: Gesungen und gespielt wird auch fortan im Oberhaus. "Wir gehören weiter zu Brasiliens Elite", jubelte Trainer Kleina.

Überlebende Spieler:

Nur drei Spieler überlebten den Absturz am 29. November 2016: Ersatztorhüter Jakson Follmann musste nach einer Unterschenkelamputation seine Karriere beenden. Der mittlerweile 25-Jährige ist jedoch täglich bei der neu zusammengestellten Mannschaft, sieht sich selbst als eine "Art Botschafter", ist mit seiner leutseligen Art aber vor allem auch für das Innenleben des Teams wichtig.

Innenverteidiger Helio Neto arbeitet noch an seinem Comeback, nach Vereinsangaben hat der beim Absturz vielfach verletzte 32-Jährige eine Knieverletzung noch nicht überwunden.

Außenverteidiger Alan Ruschel indes gab im Sommer beim Gastspiel Chapecoenses beim FC Barcelona (0:5) bereits sein Comeback, seinen ersten Pflichtspieleinsatz von Beginn an hatte er im September in der Copa Sudamericana. Beim gegen Vitoria gesicherten Klassenerhalt kam der 28-Jährige jedoch nicht zum Einsatz.

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