Bobic arbeitet an der Mannschaft für die nächste Saison – und weckt nicht nur Begeisterung.
Wenn es seine Zeit zulässt, klettert Bruno Labbadia ganz gern mal in den Flieger, um zu schauen, was andernorts so gespielt wird. Meistens kehrt der Trainer des VfB Stuttgart einigermaßen ernüchtert wieder zurück. „Spieler, die für uns interessant sind“, sagt der Coach mit Bedauern, „sind für den Verein nicht erschwinglich.“ Ein brauchbarer Defensivkünstler zum Beispiel kostet gut und gern sieben Millionen Euro. „Und bei den meisten, die uns angeboten werden“, sagt Labbadia, „bin ich selbst bei dieser Summe noch nicht mal sicher, ob sie wirklich stärker wären, als diejenigen, die wir haben.“
Das ist die eine Seite dieses Geschäfts, die andere ist: Besserung ist so schnell nicht in Sicht. Der VfB Stuttgart hat zwar vor und während dieser Saison Großverdiener wie Ciprian Marica und Pawel Pogrebnjak abgegeben, Torhüter Bernd Leno und Christian Träsch für zusammen 15 Millionen Euro verkauft, aber in der Jahresbilanz 2012 droht unverändert die Schieflage. Die Abschreibungen aus den Groß-Transfers nach der Meisterschaft drücken weiter aufs Ergebnis. Und aus dem Sponsoring ist eher wenig Hilfe zu erwarten. Die Verhandlungen mit dem neuen Hauptsponsor sind dem Vernehmen nach zwar so gut wie abgeschlossen, aber die Einnahmen daraus liegen nach Recherchen unserer Zeitung deutlich unter den Erwartungen – und in etwa im Bereich dessen, was Gazi (Molkereiprodukte) zuletzt für den Namenszug auf der Brust zahlte: jährlich rund sechs Millionen Euro. Und die Kunde, wonach Gazi – zu geringeren Konditionen – weiter den Doppelpass mit dem VfB spielen will, schränkt Firmenchef Eduardo Garcia kopfschüttelnd ein: „Es hat darüber noch keine Gespräche gegeben.“
Delpierre vor dem Wechsel
Was bedeutet: Wenn die VfB-Bosse auf der Jagd nach der schwarzen Null weiter so unerbittlich bleiben, müssen Labbadia und Manager Fredi Bobic hoffen, dass ihnen vor der nächsten Spielzeit noch der eine oder andere Spieler zuläuft. Bescheidene Aussichten auf eine Saison, in der die Mannschaft in Weiß und Rot wahrscheinlich wieder auf der internationalen Bühne steht. „Dabei ist doch jedem Geschäftsmann klar, dass man manchmal auch kurzfristig in Vorleistung gehen muss, um mittel- oder langfristig Erfolg zu haben“, sagt ein VfB-Aufsichtsratsmitglied, das öffentlich nicht genannt werden will: „Denn wir sind zu sechst, und meine Meinung ist im Gremium nicht mehrheitsfähig.“
Weil der Verein für Bewegungsspiele noch nie zu den Clubs gehörte, die das Risiko lieben, richten sich die Blicke deshalb auf das, was der VfB noch hat. Innenverteidiger Matthieu Delpierre zum Beispiel, der nach der Meisterschaft 2007 zu den Topverdienern aufstieg (rund drei Millionen Euro). Sein Vertrag läuft am Saisonende aus, Fredi Bobic hat ihm schon vor Wochen signalisiert: „Tut mir leid, Matthieu. Bei uns geht es für dich nicht weiter.“ Voraussichtlich wechselt der Franzose zu 1899 Hoffenheim. Was die Kosten für die Lizenzspieler zwar weiter senkt, für Transfers aber keine neuen Spielräume eröffnet. Ganz ähnlich liegt der Fall bei Khalid Boulahrouz, der bei einer eventuellen Vertragsverlängerung auf rund 40 Prozent seines Gehalts (rund 3,5 Millionen Euro) verzichten müsste. „Ich bin nicht geizig“, sagt der Niederländer. Naiv ist er allerdings auch nicht. In der kommenden Woche führt sein Berater erste Gespräche, aber die Chancen auf eine Einigung liegen bei 10 Prozent. Ersetzen soll den „Kannibalen“ auf der Position des Rechtsverteidigers Timothy Chandler (1. FC Nürnberg), doch der US-Nationalspieler ist unter drei bis vier Millionen Euro wohl nicht zu haben.
Den Vertrag mit Linksverteidiger Arthur Boka will Fredi Bobic gern verlängern. „Er ist ein guter Junge, der seinen Job prima macht“, sagt der Manager. Der Mann von der Elfenbeinküste verdient knapp eine Million Euro per annum. Mehr als bisher wird ihm der VfB aber nicht anbieten können.
Sparen ja, aber nicht den Kader schwächen
Wie viel genau, wird Fredi Bobic womöglich schon in dieser Woche erfahren, wenn eine Vorstandssitzung die andere jagt. Gemütliche Schunkelrunden sind nicht zu erwarten. In jeder Gesprächsrunde wird der Manager mit ernster Miene darauf hinweisen, dass der Verein jetzt nicht den Fehler machen dürfe, mit Rücksicht auf die schwarze Null, die Substanz des Kaders zu schwächen. Und eventuelle Transfererlöse, daran lässt der ehemalige VfB-Stürmer keine Zweifel, müssen wieder in die Mannschaft investiert werden. Womöglich baut er auch gegen Verlockungen vor, die manchen Kassenwart die sportlichen Ziele vergessen lassen könnten. Ein Wechsel von Serdar Tasci (Vertrag bis 2014) zum Beispiel könnte über eine festgeschriebene Ablösesumme bis zu 13 Millionen Euro bringen, ein Wechsel von Cacau (2013) drei bis vier Millionen, von Zdravko Kuzmanovic (2013) drei bis fünf Millionen, von Christian Gentner (2013) drei bis vier Millionen, von Cristian Molinaro (2014) zwei bis drei Millionen.
Bobic sieht dagegen die Perspektive. Er ist sicher: „Da wächst ein Team zusammen, das uns noch viel Freude machen wird.“ Und der Trainer ergänzt: „Mir wäre es am liebsten, wir könnten mit der Mannschaft aus dieser Saison mehr oder weniger unverändert weitermachen.“ Zuzüglich der Talente aus dem eigenen Stall und Daniel Didavi. Die VfB-Leihgabe soll nach Möglichkeit vom 1. FC Nürnberg zurückkehren.
Für diese Wünsche hat Bruno Labbadia gute Argumente: Erst jetzt, gegen Ende der Saison, zeigt der VfB Stuttgart wieder den Fußball, nach dem die Fans seit Jahren gieren: Frech, forsch, offensiv und erfolgreich. „Das war ein weiter Weg. Die Jungs und das Trainerteam haben ausdauernd und intensiv an dieser Art zu spielen gearbeitet“, sagt Fredi Bobic. Mit anderen Worten: Es wäre eine Sünde, diese Mannschaft jetzt ohne Not zu schwächen.
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