Der Furchtlose zieht in den nächsten Kampf

Eintracht-Kapitän Chris muss nach seiner Bandscheibenoperation wieder den beschwerlichen Weg durch die Reha gehen: „Ich komme wieder“, zeigt er sich gewohnt kämpferisch.


Wer sich in diesen Tagen mit dem maladen Berufsfußballer Chris Maicon Hening unterhält, wird von der Zuversicht des etatmäßigen Kapitäns der Frankfurter Eintracht förmlich mitgerissen. Das ist einigermaßen erstaunlich. Auf die Frage, ob er Angst um die Karriere habe, antwortet Kämpfer Chris mit einem Lachen. „Nein, nein. Wieso denn? Ich komme wieder. Das ist sicher. Ich werde kämpfen, und ich werde wieder auf dem Platz stehen.“ Er klingt entschlossen. Wild entschlossen. „Ich habe es immer geschafft. Und ich schaffe es auch jetzt wieder.“

Nun muss man die Vorgeschichte kennen, um diesen unerschütterlichen Optimismus richtig und vielleicht noch höher einschätzen zu können. Der 32-Jährige könnte nämlich einen dicken Wälzer über seine lange, lange Leidensgeschichte schreiben, es gibt wohl keine Verletzung, die er noch nicht hatte: schwere Knieblessuren, Brüche, Löcher im Kopf, Schulterbruch, Leistenoperation. Chris hat 125 Bundesligaspiele absolviert − fast jedes zweite hat er verpasst.

Am schlimmsten aber sind die stets wiederkehrenden Rückenbeschwerden, diese höllischen Schmerzen, die ihn fast um den Verstand bringen und die seine Karriere mehr als einmal gefährdet haben. Das Kreuz mit dem Kreuz. Im Mai 2006 musste er sich deshalb erstmals an der Bandscheibe operieren lassen. Er fehlte lange Zeit. Und so richtig schmerzfrei war er auch in der Folge nur selten. Und dann, im Oktober 2010, folgte nach einem harten und unglücklichen Zusammenprall mit Torwart Oka Nikolov im Auswärtsspiel in Kaiserslautern die nächste Zwangspause und die nächste böse Vorahnung. Wieder der Rücken. Chris ließ sich monatelang mit unzähligen Spritzen behandeln, er ließ nichts unversucht, holte verschiedene Ärztemeinungen ein, ließ sich im Computertomographen Spritzen direkt in die entzündeten Nerven in der Bandscheibe setzen. Er versuchte alles, um das Unvermeidbare zu vermeiden. Doch Ende Januar ging nach drei Trainingseinheiten im Kreise der Mannschaft nichts mehr. Da war absehbar, was kommen würde.

Chris entschloss sich zu einer neuerlichen Bandscheibenoperation, abermals in München bei Professor Michael Mayer. Dabei sollte ein erneuter Eingriff unter allen Umständen vermieden werden. Operationen an der Wirbelsäule sind stets mit einem hohen Risiko verbunden − für Profisportler genauso wie für „normale“ Rückenpatienten. Die OP am vergangenen Montag, dies ist das wichtigste Nachricht, ist gut verlaufen. Keine Schwierigkeiten, keine Komplikationen. Der Eingriff soll sogar weniger gravierend gewesen sein als befürchtet. „Alles okay, mir geht es gut“, sagt Chris. Er konnte direkt nach der OP schon wieder gehen, seit Freitag macht er in Frankfurt sogar schon wieder Reha: Die Muskeln werden stimuliert, Elektrotherapie steht auf dem Plan. Chris kennt das alles.

Ungewissheit bleibt

Und doch bleibt Ungewissheit. Wird er nach tatsächlich wieder Hochleistungssport treiben können? Chris zweifelt nicht. Seinen Optimismus bezieht er aus einem Gespräch mit Professor Mayer, dem Arzt seines Vertrauens. „Ich habe ihm gesagt, dass es mir egal ist, ob ich zwei, drei oder vier Monate ausfalle. Ich wollte nur wissen, ob ich wieder Fußball auf diesem hohen Niveau spielen kann.“ Die Antwort? „Er hat mir gesagt: Mit 100-prozentiger Sicherheit.“ Damit waren für den tapferen Mann aus Blumenau alle Fragen beantwortet. Die latente Furcht war gebannt.

Und doch darf man gespannt sein, welche Auswirkungen die jüngste Operation haben wird, ob er auf den Platz und tatsächlich zu alter Leistungsstärke wird zurückfinden können. Chris ist 32 Jahre alt, wenn die neue Saison beginnt, wird er fast 33 sein. Das ist für einen Profifußballer ein fortgeschrittenes Alter, für einen mit seiner Vorgeschichte erst recht. Chris, dessen Vertrag in Frankfurt 2012 ausläuft und der mit Ioannis Amanatidis zu den am besten entlohnten Eintracht-Spielern zählt, kämpft nun auch gegen die biologische Uhr. Doch das schreckt ihn nicht. Kämpfen, rackern, schuften, niemals aufstecken − das sind sowieso Eigenschaften, die ihn zu dem Spieler gemacht haben, der er heute ist. „Unverzichtbar, unersetzlich. Unser wichtigster Mann“, wie Trainer Michael Skibbe sagt.

Er erinnerte auch jüngst daran, dass in der Hinrunde der Frankfurter Höhenflug mit der Rückkehr von Chris begann − und streng genommen endete er auch mit seiner Absenz im Oktober. Chris wird in dieser Saison nicht mehr eingreifen können. Skibbe hat sich damit abgefunden, aber die Eintracht ohne Chris ist eine andere, sie hat nicht diese ungezügelte Wucht, diese Power und diese Erbarmungslosigkeit. Chris fürchtet weder Tod noch Teufel. Er geht in jeden Zweikampf, als sei es sein letzter, ihm ist es völlig egal, ob er gegen einen Bundesligaspieler oder einen Kreisligakicker antritt.

"Zweikampf-Ungeheuer"


„Er ist in den letzten fünf Jahren in Spielen gegen unterklassige Gegner viermal am Kopf getackert worden und wollte immer weiterspielen. Das sagt doch alles“, hat Trainer Skibbe mal über Chris gesagt. Und weiter: „Er ist eine Granate, ein Juwel.“ Klubchef Heribert Bruchhagen will einen besonderen Härtegrad festgestellt haben: „Er ist mit Abstand unser härtester Spieler.“ Skibbe outet sich als der vielleicht größte Chris-Fan. Nach dessen fast schon unbeschreiblichen Spiel gegen Schalke 04 im Oktober (pikanterweise Chris’ letzte Partie) hob ihn Skibbe in den Stand des furchtlosen Fußball-Kriegers: „Er ist ein Zweikampf-Ungeheuer, ein Gladiator.“ Es hört sich fast ehrfürchtig an.

Chris wird erneut den einsamen Kampf in der Reha aufnehmen. Die Ungeduld zähmen, den eisernen Willen strapazieren. Er kennt es ja. „Ich bin stark im Kopf“, sagt er. Seine Frau Bianca und sein einjähriger Sohn Enzo Maicon geben ihm Kraft, die Prüfungen des Profilebens zu bestehen. „Gott hat mir geholfen, aber Arbeit hat mir noch mehr geholfen.“ Ob er sein Spiel jemals ändern wird, ob er vielleicht auch mal zurückziehen wird? „Ich werde mich nicht ändern, dann wäre ich nur noch halb so gut. Ich komme zurück. So stark wie zuvor.“ Es klingt fast wie eine Drohung.


Quelle: FR-online

Zuletzt bearbeitet von Muschgl; 13/02/2011 12:42.