Adler Sturzflug

Sieben Rückrundenspiele ohne ein einziges Tor - die Bilanz von Eintracht Frankfurt 2011 ist desaströs. Der Trainer kämpft um seine Autorität, Schlüsselspieler planen ihren Abgang. Das Team ist Opfer des eigenen Hinrundenerfolgs geworden.

Der 18. Dezember 2010 war ein Feiertag in Frankfurt. Die Eintracht hatte zum Hinrundenende geschafft, was bisher keinem anderen Team gelungen war: ein Heimsieg gegen den Tabellenführer Borussia Dortmund. Theofanis Gekas hatte wieder einmal getroffen, zum 14. Mal in dieser Spielzeit, der Grieche führte souverän die Torjägerliste der gesamten Liga an. Die Eintracht ging als Siebter der Tabelle in die Winterpause, nur drei Punkte hinter Bayern München.

An diesem Tag nahm das Unglück seinen Anfang.

Der Sieg gegen den Spitzenreiter war Abschluss einer Hinrunde, wie sie die Eintracht sehr lange nicht gespielt hatte: Offensiv und effektiv gleichermaßen, schön anzusehen und erfolgreich. Für die Mannschaft und für das Umfeld aber letztlich fatal. Die "Frankfurter Rundschau" hat diesen Sieg im Nachhinein als "süßes Gift" bezeichnet. Das Team, der Trainer Michael Skibbe - sie alle haben sich letztlich überschätzt.

Das rächt sich in der Rückrunde. Sieben Spiele hat die Eintracht absolviert, sie hat einen einzigen Punkt geholt, sie hat kein einziges Tor geschossen. Dazu ist sie nur ein paar Tage nach dem Triumph über Dortmund im Pokal beim Zweitligisten Alemannia Aachen ausgeschieden. Vereinshistoriker haben sich auf die Suche gemacht, ob eine solche Pleite-Serie in der 111-jährigen Geschichte des Traditionsclubs schon einmal vorgekommen ist. Sie sind nicht fündig geworden. Der stolze Eintracht-Adler, Symbol des Vereins, ist abgestürzt.

"Trainerwechsel würde nichts bringen", sagt der Trainer

Am Sonntag gegen den VfB Stuttgart, einen Club, dem es noch schlechter geht als der Eintracht, hat Frankfurt fast 75 Minuten in Überzahl gespielt. Die Elf hat 30 Mal aufs Tor geschossen. Das ist ein Wert, den auch Spitzenteams nur selten erreichen. Das Endergebnis: 0:2. "Ich denke, wer die Leistung gesehen hat, der hat auch gesehen, dass ein Trainerwechsel nichts bringen würde." Das sagt der Trainer.

Michael Skibbe hat noch nie unter mangelndem Selbstbewusstsein gelitten. Der 45-Jährige ist einer, der die Öffentlichkeit sucht, gerne kommuniziert, sich aber auch gerne reden hört. In Dortmund, als Assistenzcoach beim DFB oder in Leverkusen hat er sich mit dieser Art nicht nur Freunde geschaffen. Zu oft klafften Anspruch und Realität bei den von ihm trainierten Teams auseinander. Auch in Frankfurt ist Skibbe im Vorjahr angeeckt, vorzugsweise bei Vorstandschef Heribert Bruchhagen. Der Konflikt Skibbe-Bruchhagen war in der vorherigen Spielzeit wochenlang Dauerthema in den Frankfurter Medien. Das Team jedoch war damit aus dem Fokus der Öffentlichkeit herausgenommen und hatte die Chance, in Ruhe an sich zu arbeiten. Die Erwartungshaltung war für Frankfurter Verhältnisse sensationell niedrig. Beste Bedingungen, um zu reifen.

Die Erfolge dieser Hinrunde kamen jedoch zu früh, unvermittelt wurde im klassisch überhitzten Frankfurter Fanmilieu wieder von der Europa League schwadroniert. Trainer und Spieler hörten das gerne. Die notorischen Warnungen des Vorstandschefs verhallten dagegen. Bruchhagen sieht seit seinem Amtsantritt vor acht Jahren eine seiner Hauptaufgaben darin, die sportlichen Ansprüche der Eintracht bestmöglich zu dämpfen. Bei Skibbes Vorgänger Friedhelm Funkel hatte er dabei wenig Mühe. Funkel strahlte als Eintracht-Coach geradezu das Gegenteil von Ambition aus, entsprechend mittelmäßig gab sich die Mannschaft.

Fall Amanatidis hat Autorität gekostet

Skibbe ist ein anderes Kaliber. Einer, der maximalen Erfolg anstrebt. Und dabei auch dazu neigt, die eigenen Fähigkeiten und die seines Teams zu überschätzen. Zudem hat der Trainer aktuell genug damit zu tun, seine Autorität wiederherzustellen. Den früheren Mannschaftskapitän Ioannis Amanatidis hatte Skibbe erst vor zwei Wochen mit Verve suspendiert, hatte diese Maßnahme aber bereits wenige Tage später zurückgenommen - nicht zuletzt aufgrund sanften Drucks von Bruchhagen,wie es heißt. Der Vorstandschef war in Sorge, dass einer der teuersten Spieler, zudem eine der Identifikationsfiguren im Verein, sang und klanglos auf der Tribüne verschwindet.

Skibbes Ansehen in der Mannschaft hat das nicht gut getan. Das Team entwickelt Fliehkräfte. Kapitän Patrick Ochs stand im Winter dicht vor dem Wechsel nach Schalke, Mittelfeldmann Pirmin Schwegler, auch ein Schlüsselspieler Skibbes, hat eine Vertragsverlängerung abgelehnt. Die wichtigsten Akteure scheinen mit ihren Gedanken nicht mehr zu hundert Prozent bei der Eintracht zu sein.

Ein Trainingslager soll jetzt helfen, die Balance zwischen Team und Trainer wiederherzustellen. Schon in der Vorwoche versuchte man es mit einem gemeinsamen Abendessen, mit Fußballgucken im Mannschaftskreis - gebracht hat der Ringelpitz aber nichts.

Skibbe ist unter Druck. Am Samstag wartet mit dem 1. FC Kaiserslautern der nächste Krisenclub auf die Eintracht. Allen rund um den Riederwald dürfte klar sein: Wenn gegen Lautern verloren wird, greifen die Mechanismen der Branche. Die Unruhe unter den Fans ist groß, wenn der Unmut der Eintracht-Ultras ausbricht, wird es ungemütlich. "Gegen Kaiserslautern geht es um alles", hat Präsident Peter Fischer die Vorlage fürs Wochenende geliefert. "Ich werde die Treffer in dieser Woche herbeireden", hat der Trainer angekündigt. Reden - das zumindest war bei Skibbe ja noch nie das Problem.

Quelle: Spiegel Online