Willkommen im Abstiegskampf

Nach 22 Spieltagen und dem fünften sieglosen Spiel ohne eigenes Tor muss eine blutleere Frankfurter Eintracht den Blick endgültig nach unten richten.


Selten hat man die Frankfurter Fußballspieler an diesem schwarzen Nachmittag so schnell und entschlossen gesehen wie nach dem finalen Pfiff tief unten im Bauch der Arena. Da walzten sie mit gesenkten Köpfen und leeren Blicken in die Kabine, einer nach dem anderen. Zuvor waren sie von den eigenen Fans beim Gang in die Kurve aus- und im wahrsten Wortsinn zurückgepfiffen worden. Nur zwei Spieler trauten sich: der älteste, Oka Nikolov, und der kleinste, Benjamin Köhler. Alle anderen trollten sich.

„Was soll ich jetzt sagen?“, stammelte Köhler. „Die ganze Rederei bringt doch nichts. Wir müssen schleunigst aus der Misere rauskommen, um nicht nach ganz unten durchgereicht zu werden. Die Rückrunde ist totale Scheiße.“ Drastisch ausgedrückt, aber im Kern ist dem nur wenig hinzuzufügen. Auch Klubchef Heribert Bruchhagen hieb, in gemäßigteren Worten, in diese Kerbe: „Wir müssen einräumen, dass uns Leverkusen in allen Belangen überlegen war. Wir hatten nichts entgegenzusetzen und sind überhaupt nicht ins Spiel gekommen.“ Der Vorstandsvorsitzende, sichtlich mitgenommen und entnervt, sieht die Eintracht in einer „Krisenphase. Davon muss man sprechen, wenn man in fünf Spielen nicht einmal gewonnen hat“.

Deutliche Warnsignale

Tatsächlich sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache, es sind die Zahlen eines potenziellen Absteigers: Sechste Niederlage im elften Heimspiel, zu Hause nur neun Tore erzielt, so wenige wie kein anderer Klub, die wenigsten Tore in der Liga gemacht (24), mit Abstand schlechteste Rückrundenelf (ein Punkt), in zehn von 22 Spielen kein Tor geschossen, ein Treffer in den letzten sieben, null Tore in den vergangenen fünf Spielen, nur noch vier Punkte Vorsprung bis zum Relegationsplatz. Das sind Warnsignale, die nicht zu übersehen sind. Die Eintracht kann sich glücklich schätzen, wenigstens in der Vorrunde schon 26 Punkte aufs eigene Konto gebracht zu haben – und dass am Tabellenende Mönchengladbach und Stuttgart ebenfalls nicht auf Touren kommen. Der Trend ist dennoch besorgniserregend. Im Grunde hat am Samstagnachmittag ab 16.02 Uhr der Abstiegskampf begonnen – da nämlich hatte der Leverkusener Renato Augusto das 2:0 erzielt. Den Ernst der Lage scheinen sie in Frankfurt immerhin erkannt zu haben. „Wir müssen die Augen offenhalten, wir müssen aufstehen und uns dagegenstemmen“, fordert Trainer Michael Skibbe. „Wichtig ist jetzt, dass die Mannschaft richtig fest und eng zusammensteht.“

Die Eintracht will ihre schlimme Krise mit Ruhe und Gelassenheit überstehen. So wie früher. „In der Vergangenheit hat uns immer ausgezeichnet, dass wir uns in Krisenphasen nicht nervös haben machen lassen. Die Mannschaft wird sich verbessern und die nötigen Ergebnisse erzielen“, sagt Bruchhagen. Dafür spricht im Augenblick nichts: Gegen Bayer Leverkusen war die Eintracht in der ersten Halbzeit auf völlig verlorenem Posten, da löste sich die Mannschaft fast auf. Sie spielte wie ein Absteiger – leblos, ideenlos, mutlos. Die Frankfurter standen nur Spalier in diesem Schauerspiel, kamen gegen einen sehr guten Kontrahenten immer einen Schritt zu spät. „Wir wollten aggressiv sein und dagegenhalten. Das hat genau zwei Minuten geklappt. Danach sind wir nur noch zurückgewichen, haben nur noch reagiert und waren mit dem 0:2 zur Pause noch gut bedient. Es hätte auch 3:0 oder 4:0 stehen können“, senkte Trainer Michael Skibbe den Daumen.

Die seltsame Mutlosigkeit war auch den Leverkusenern aufgefallen. Bayer-Sportdirektor Rudi Völler sagte: „Wir waren überrascht, wie passiv die Frankfurter spielten. Sie spielten, als hätten sie Angst vor uns.“ Auch Hanno Balitsch, der nach einem herrlichen Angriff das 3:0 erzielt hatte (84.), war überrascht von der Harmlosigkeit der Hessen. „Wir dachten, Frankfurt spielt so rustikal und aggressiv wie die Nürnberger letzte Woche. Aber sie wollten nichts von uns.“ Dafür fielen Frankfurter Hooligans aus der Rolle und prügelten einen Leverkusener und einen Offenbacher Fan in einer Gaststätte in Offenbach krankenhausreif.

Tatsächlich war der Auftritt der Eintracht in den ersten 45 Minuten erschreckend, ja grausam. Das lag auch daran, dass vor allem Köhler, Meier, Caio, Ochs und auch Schwegler das Spiel überhaupt nicht in den Griff bekamen, sie waren fast Totalausfälle. Gerade Köhler und Caio bekamen kein Bein auf den Boden. Schon nach 20 Minuten liefen sich Halil Altintop und Martin Fenin warm. Beide kamen erst nach der Pause zum Einsatz, weil Skibbe seine Spieler nicht demütigen wollte. „Es wäre eine herausragende Strafe für einen gewesen, dabei waren doch alle schlecht.“ Das kann man so sagen.

Lag es womöglich doch an dem Theater um Ex-Kapitän Ioannis Amanatidis, den Skibbe wegen dessen öffentlicher Aussagen auf unbestimmte Zeit suspendierte? Köhler wollte das nicht als Entschuldigung für die fade Vorstellung gelten lassen. „Das wäre eine Ausrede, mich hat das nicht belastet.“ Auch Skibbe wollte das Thema nicht hoch hängen. „Wir sind Profis genug, um das ausblenden zu können.“ Er nannte auch erstmals den Grund für den Rauswurf des Griechen. „Er hat sich in der Öffentlichkeit gegenüber Mannschaft, Trainer und Verein nicht richtig verhalten.“ Im Stadion gab es keine Amanatidis-Sprechchöre, aber bei der Namensnennung des Trainers vor dem Spiel erntete Skibbe vereinzelte Pfiffe.

Nicht alle wollten den Fall Amanatidis einfach so zu den Akten legen. Der neue Aufsichtsratschef Wilhelm Bender sah sich genötigt, erstmals in seiner Amtszeit vor die Presse zu treten. Der frühere Fraport-Chef las Skibbe und Amanatidis die Leviten: „Es wäre sicher besser gewesen, sich auf das Spiel zu konzentrieren, als in Interviewkriegen Zwietracht in die Mannschaft zu tragen. Das ist nichts, was uns voranbringt. Das belastet die Spieler.“ So deutlich hatte das bisher niemand auszusprechen gewagt. Intern ist das mangelhafte Krisenmanagement schon angemahnt worden, über den Konflikt und dessen Ende sind fast alle in den Gremien nicht glücklich. Bei der Eintracht geht die latente Angst um, dass alles aus dem Ruder läuft und dieser Abwärtstrend nicht mehr zu stoppen ist. Zumal Skibbe mit Abstiegskampf keinerlei Erfahrung hat. Der 45-Jährige bleibt betont gelassen: „Ich weiß aus Erfahrung, dass es solche Phasen gibt.“

Wenig Mutmacher

Und was bleibt nun in Frankfurt? „Wir müssen das Positive rausziehen“, sagte Torwart Oka Nikolov. Das Positive? Nun ja: Nach der Umstellung auf zwei Spitzen (Gekas und Fenin) spielte die Eintracht mit Beginn der zweiten Hälfte druckvoll und mutig nach vorne, auch Halil Altintop scheint sein Formtief überwunden zu haben (siehe weiteren Bericht auf dieser Seite). Ansonsten sind nur wenige Mutmacher in Sicht.

Zumal es nicht einfacher wird. Am Freitagabend geht es nach Nürnberg, zum Team der Stunde, dann kommt Angstgegner Stuttgart, gegen den die Eintracht zu Hause zuletzt vor zehn Jahren gewann (am 34. Spieltag, da waren die Hessen bereits abgestiegen), dann gastiert Kaiserslautern. In diesen Spielen wird sich entscheiden, wohin die Reise geht. Ob er womöglich etwas ändern werde, ist Skibbe gefragt worden, mal ein Trainingslager einstreuen etwa? „Ich bin keiner, der Aktionismus betreibt“, entgegnete er. „Aber ausschließen will ich auch nicht, dass wir das mal machen.“ Womöglich sehr bald.


Quelle: FR-online