Weser-Kurier 31.01.2008

Mit Risiken und Nebenwirkungen


Werder spielt in Dortmund Werder-typisch - bis auf das Toreschießen / Diegos Denkfehler im Elfmeter-Roulette

Von Olaf Dorow

DORTMUND. Diego versteckte sich nicht. Er stellte sich mitten in das Frage-Gewitter der Reporter. Er sei sehr traurig, sagte er. Er werde schlecht schlafen. Aber er wäre noch viel trauriger, wenn er sich versteckt hätte. Hat er aber nicht. "Nein, ich habe Verantwortung übernommen", sagte er. Er schoss zwei Elfmeter in drei Minuten. Da es mit dem zweiten schief ging, flog Werder in Dortmund aus dem Pokal.

Man kann das Aus mit dieser Szene aus der 85. Minute begründen, als Marc Ziegler Diegos Strafstoß entschärfte. Zu greifen bekommt man das Pokalaus damit zwar nicht. Ein Elfmeterdrama sollte man trotzdem ausführlich besprechen. Zumal es in diesem Fall einen ungewöhnlichen Anlauf nahm. Diego saß fast 70 Minuten lang auf der Bremer Bank. Das kam bis Dienstag so oft vor wie Tore von Carlos Alberto vorgekommen waren. "Der Trainer meinte, ich hätte erst eine Halbzeit in Split gespielt dieses Jahr", berichtete Diego, der wegen Leistenbeschwerden den Januar weitgehend in einer südamerikanischen Physiotherapie verbracht hatte.

Weil in Dortmund die Möglichkeit einer Verlängerung bestand, hätte ihn Schaaf erst so spät gebracht. Am Sonntag in der Liga könnte ihn der Trainer dann ruhig von Beginn an bringen, er wäre dann bei hundertprozentiger Fitness angekommen. Hätte er in Dortmund vielleicht besser am Anfang statt am Ende gespielt? "Tja", sagt achselzuckend Sportdirektor Klaus Allofs, "mit dem Wissen, dass es so 1:2 ausgeht, hätte ich dann mal die andere Variante ausprobieren wollen."Als Diego zum zweiten Elfmeter anlief, beging er einen Denkfehler. "Ich dachte, Ziegler würde wieder in die gleiche Ecke springen wie beim ersten Mal. Also hab’ ich die andere Ecke gewählt", antwortete Diego im Frage-Gewitter. Ziegler hätte aber eine bessere Idee gehabt. Man fühlte sich ein wenig an Schnick-Schnack-Schnuck oder Roulette erinnert, und als Diego dann gefragt wurde, ob er auch am Sonntag gegen Bochum im Falle des Falles zum Elfmeterpunkt schreiten würde, verstärkte sich das Gefühl. Ja, sagte Diego. Er hoffe aber, dass es nur einen Elfmeter geben würde. Sonst würde sein Kopf so rauchen.

So endete die Elfmeterdrama-Aufarbeitung in einem befreiend wirkenden Geschmunzel. Das passte zu dem allgemeinen Tenor, den die Werderaner ihrem Pokalaus gegeben hatten. Thomas Schaaf hatte "sehr viel Gutes" gesehen und einen guten Start in die Rückrunde. Spielerisch habe man "einen Riesenschritt nach vorn gemacht", sagte Verteidiger Per Mertesacker. Nach schwachen Testspielen zeigte in Dortmund immerhin eine Mannschaft ohne Frings, Fritz, Sanogo und weitgehend Diego recht ansehnlichen Fußball. Auch wenn es ein wenig übertrieben klang, als Torwart Tim Wiese kommentierte: "Wir waren drei, vier Klassen besser als die."

Werder war besser. So schmerzte die Niederlage einerseits nicht ganz so arg - und andererseits umso mehr. "Wir hätten vier, fünf Tore machen müssen", fand Aaron Hunt. "Ich hätte wenigsten eine Chance nutzen müssen", kritisierte sich Ivan Klasnic selbst. Der Mann mit dem Beinamen "Killer" spielte ganz so, wie es Per Mertesacker bündig zusammenfasste: "Uns fehlte der Killerinstinkt."

Zusätzlich fehlte die Fehlerlosigkeit in der Defensive. Beim ersten Gegentor wäre Torschütze Federico ungehindert durchgelaufen, mäkelte Klaus Allofs. Per Mertesacker dachte in der Mixed-Zone laut und ausführlich über Risiken und Nebenwirkungen der Werder-Philosophie nach. Vielleicht müsste man sich auch mal zurückziehen, "sich fallen- und die andern kommen lassen". Bei einem Spielstand von 0:1 als letzter Feldspieler permanent an der Mittellinie zu stehen, sei eben gefährlich. "Wir sind keine Perfektionisten. Dass wir alles verhindern können, ist eine Utopie", schloss der Nationalspieler sein Taktik-Referat.

Thomas Schaaf steht seit gefühlten 88 und realen 8,8 Jahren für diesen Stil. In seiner Dortmund-Aufarbeitung lobte er sehr, "wie die Mannschaft immer das Heft in die Hand genommen hat". Sich einzuigeln (so wie Borussia Dortmund), hält er für keine gute Idee. "Wenn’s schief geht, fragt doch dann jeder, wieso wir nicht mehr gemacht hätten", sagt Schaaf.Im Grunde steckte in diesem Pokalabend ganz viel Werder-Typisches drin. Hinten kann, nun ja, immer mal was passieren. Weswegen vorne viele Tore her müssen. Ein verwandelter Elfmeter reicht dann oft nicht. Spiele werden vorn, Titel hinten gewonnen, heißt es. Von drei Chancen auf einen Titel hat Werder jetzt nur noch zwei. "Hauptsache, wir holen einen", sagte Allofs. Leichter ist es seit Dienstagnacht nicht geworden.