Zum Tode Alan Rickmans: König der Szenendiebe

Die Wirkung seiner Stimme bezeichneten Fans als "Ohrgasmus", dabei war der britische Schauspieler Alan Rickman am besten, wenn er nur sein Gesicht sprechen ließ. Nachruf auf einen feinsinnigen Komödianten, der als Schurke berühmt wurde.

Alan Rickman war schon über 40 Jahre alt, als er Hollywood eroberte wie seine Filmfigur Hans Gruber das Hochhaus der Nakatomi-Corporation in "Stirb langsam" (1988). Was für ein Auftritt! In einer Szene steht Gruber mit dem Japaner Takagi, dessen Firmensitz der Terrorist soeben mit einer Bande deutscher Gangster unter seine Kontrolle gebracht hat, im Fahrstuhl. "Nice suit" - "schöner Anzug" -, so startet Gruber einen Versuch, Small Talk zu machen: Warum nicht auch bei einer Geiselnahme Gentleman bleiben?
Takagi starrt den Gangster nur wütend an, und was sich daraufhin in dessen Gesicht abzeichnet ist ein so großartiges Spiel aus Amüsement, Bosheit und echtem Stilbewusstsein, dass noch heute, fast 30 Jahre später, in zahlreichen Trauerbekundungen in sozialen Medien sofort der Name Hans Gruber fällt.

Klar, in erster Linie wurde Bruce Willis mit "Stirb langsam" zum Blockbuster-Star. Aber Rickman, der Brite, schuf mit seinem allerersten Hollywood-Auftritt gleich einen Schurkenklassiker.

Aufmerksam geworden waren einige US-Produzenten auf Rickman durch seine Rolle als Vicomte de Valmont in einer Broadway-Inszenierung von "Gefährliche Liebschaften". Rickman reiste an die Westküste, war aber skeptisch: "Action, so was wollte ich eigentlich nicht machen", sagte er 2015 im Interview mit der "Berliner Morgenpost". "Aber dann hat man mir erklärt, du bist erst zwei Tage in L.A. und kriegst so etwas angeboten!"

Hans Grubers böse Brillanz führte Rickman in direkter Konsequenz zu einer der bekanntesten Schurkenfiguren der Popkultur-Geschichte: In Kevin Reynolds launiger Neuverfilmung von "Robin Hood - König der Diebe" spielte er 1991 einen cholerischen Sheriff von Nottingham, der ständig sehr köstlich und mit glühendem Wutblick zwischen Nervenzusammenbruch und kühler Grausamkeit changierte. Der damalige Kassenmagnet und Hollywood-Beau Kevin Costner spielte die Hauptrolle, aber Rickman war der heimliche Star des Blockbusters. Zur Belohnung wurde er mit dem britischen Filmpreis Bafta ausgezeichnet, für die beste männliche Nebenrolle.

Diese Stimme!

Danach wäre der Weg für eine große Karriere eigentlich frei gewesen, zumal Rickman wenig später in Ang Lees Austen-Adaption "Sinn und Sinnlichkeit" auch sein romantisches Potential ausspielen konnte. Doch damals waren britische Mimen noch nicht so beliebt wie heute, und Rickman, immer bescheiden und im Dienst der Kunst, entschied sich erst einmal dafür, selbst Regie zu führen. 1997 inszenierte er mit seiner "Sinn und Sinnlichkeit"-Partnerin Emma Thompson in der Hauptrolle das stille Frauendrama "The Winter Guest".

Im Kino blieb er der signifikante Nebendarsteller, der immer wieder anderen die Show stahl, ob als indignierter Alien-Darsteller in der Star-Trek-Parodie "Galaxy Quest" oder als süffisante Stimme Gottes in Kevin Smiths "Dogma". Überhaupt: Diese sonore und warme näselnde, immer bis zur absoluten Arroganz exakt akzentuierende Stimme! Rickmans Lesung eines Shakespeare-Sonetts, die auch auf YouTube kursiert, verleitete eine Userin zu dem Kommentar, von Rickmans Stimme bekomme sie einen "Ohrgasmus".

Auch Kollegen, darunter Kevin Spacey und Benedict Cumberbatch, machten sich immer wieder einen Spaß daraus, Rickman zu imitieren. Er selbst sagte 2011 der "SZ", seine Stimme sei am Theater stets ein Problem gewesen: "Sie ist sehr leise und sitzt an einem schwierigen Platz (…) Es gibt da wohl irgendeinen funktionalen Defekt." Einer seiner Schauspiellehrer hätte einmal gesagt, sie käme aus einem Abflussrohr, "dem unteren Ende".

Im Kino, so Rickman, sei er besser aufgehoben. Auch wenn man nichts sage, fange die Kamera immer eine Emotion ein, so lange man das Richtige dabei denke.

Wohl auch aus dieser Erkenntnis heraus generierte Rickman sein Talent, kleine wie große Rollen mit hinreißenden, aber nie übertriebenen Grimassen sowie dramaturgisch klug gesetzten Pausen in unvergessliche Auftritte zu verwandeln. Dazu gehörte natürlich auch sein hinreißend als Gothic-Rockstar ausstaffierter Professor Severus Snape in den "Harry Potter"-Filmen: eine dämonische Schreckensfigur, die man dennoch sofort ins Herz schloss.

Schicksalhaftes Stipendium

So wurde aus dem ehemaligen Grafikdesignstudenten und "Spätzünder" (Interview mit der "Gala", 2006) am Ende doch noch ein Weltstar, der immer davon träumte, seine Wohnung in eine Kunstgalerie zu verwandeln. Geboren wurde Alan Rickman 1946 in ärmlichen Verhältnissen im Londoner Stadtteil Hammersmith, sein Vater, ein Fabrikarbeiter, starb, als Alan acht Jahre alt war. Seine Mutter nähte Autositze, um ihn und seine vier Geschwister zu ernähren.
Der Aufstieg aus der Arbeiterklasse schien auch Rickman im undurchlässigen Klassensystem Großbritanniens zunächst verwehrt. Ein Stipendium sicherte dem schon damals begeisterten Hobbymaler jedoch einen Platz auf der edlen Latymer Upper School, wo er schließlich Schauspielunterricht nehmen konnte und Zugang zu ersten Bühnenauftritten bekam. Dem Stipendium verdanke er "alles", sagte Rickman der "SZ", sein Weg zum Erfolg blieb trotzdem beschwerlich.

Aus dieser Lebenserfahrung schöpfte Rickman vielleicht die Ernsthaftigkeit, mit der die "Shakespeare-Version von Jack Nicholson" ("Süddeutsche Zeitung") selbst grobschlächtigste Rollen in feinsinnige, tragikomische Charakter-Dramolette verwandeln konnte: Der beste Clown ist immer der, der auch die tiefe Trauer gut kennt. Alan Rickman erlag am Donnerstag im Alter von 69 Jahren einem Krebsleiden.

spiegel.de


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