Nervenschlacht auf dem Domshof
8500 Fans litten, fieberten und feierten beim Public Viewing vor der großen Videowand
Von Volker Junck

Bremen-Mitte. Kurz vor 22 Uhr, als die goldenen Ziffern der Domuhr im letzten Schein der Abendsonne funkelten, da war es vollbracht. Da hatte Werder Bremen den goldenen Pokal errungen, dank des goldenen Tores von Özil zum 1:0 gegen Leverkusen. 8500 Fans auf dem Domshof fielen sich in die Arme, die meisten völlig fertig von einem Finale, das einfach nicht enden wollte.

32 Minuten können verdammt lang werden. Die ziehen sich wie Kaugummi hin, wenn es seit der 58. Minute durch Özils Treffer nur 1:0 steht und das Spiel immer wieder kippen kann. Und dann erst diese vier Minuten in der Nachspielzeit, als der Schiedsrichter einfach nicht abpfeifen wollte. Immer wieder rissen die 8500 vor der großen Videowand auf dem Domshof die Arme in die Höhe und dachten, es sei der erlösende Schlusspfiff, bis der Mann an der Pfeife endlich ein Einsehen hatte und Werder den Triumph gönnte.

"Ich habe zweimal Bier ins Kreuz gekriegt", freute sich Marko aus Osterholz. Das erste Mal beim 1:0 und das zweite Nassdann nach dem Schlusspfiff. Das Hemd mit dem scheidenden Diego hintendrauf wird nicht gewaschen als ewige Erinnerung an diesen Berliner Fußballkrimi und zugleich den persönlichen Liebling. Eric Mayer mit Pizarros Namenszug auf dem grün-weißen Trikot hofft noch immer, dass er denn schlitzorigen Stürmer im Werderstadion wiedersieht. Doch gestern Abend zählte erst einmal diese unsagbare Glück über das grandiose Saisonfinale. Ende gut, alles gut.

Dabei hatte es zur Halbzeit ja noch gar nicht so doll ausgesehen. "Werder spielt besser, aber ich fürchte, wir fangen uns noch einen ein", orakelten die Schwestern Stefanie und Saskia aus Edewecht. Für zwei zierliche Mädchen aus - man höre und staune - Stuttgart stand indessen fest, dass Werder das Ding nach Hause schaukelt. Lisa und Conze ("der VfL Stuttgart ist voll eklig") sind mit dem Wochenendeticket zwölf Stunden unterwegs gewesen, um diesen Triumph ihres LiLieblingsvereins zu erleben. Andere wie Patrick und Heiko aus Verden hatten es nicht so weit und nur eine andere Sorge: "Bloß keine Verlängerung mit Elfmeterschießen. Dann verpassen wir den letzten Zug."

Die Last hat ihnen das mit Herzblut fightende Werder-Team abgenommen. Auch für die Polizei war es ein angenehmer Abend. Bis Spielbeginn standen zwar immer noch Schlangen an den Absperrgittern zum Domshof, doch alles lief recht friedlich ab. Die Tonnen an den Zugängen füllten sich mit Bierflaschen, draußen sammelten sich einige Schnapsflaschen, doch Schnapsleichen wurden nicht gesichtet. "Alles im Griff, " lautete die Zwischenbilanz eines Polizeiführers vor der langen Nacht der Pokalfeiern. Unmittelbar nach Spielende begann sie mit hupenden Autokorsos.

Doch bis dahin: Was hatten die Fans auf dem Domshof nicht alles zu erleiden! Die Fast-Tore von Frings & Co in der ersten Hälfte, die ewigen Abseitspfiffe des Refere`s gegen Werder, die stets von tausenden Gegenpfiffen begleitet wurden. Dann das Anrennen der Leverkusener mit einigen Chancen zum Ausgleich. "Ich halte das nicht mehr aus", war immer wieder von nervenschwachen Zuschauern des Spektakels zu hören, die bei jedem Bayer-Angriff die Hände vors Gesicht schlugen. Wenn sie wieder hinschauten, hatte Naldo gerade souverän geklärt oder jemand anderes den Ball weggedroschen.

"Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin," lautete für Zehntausende schon am Freitag oder gestern die Parole. Hörte man sich auf dem Domshof um, so war einiges Bedauern zu hören. "Ich wäre ja so gern hingefahren, aber keine Kohle. . .". Vanessa und Kim haben, wie viele andere auch, keine Tickets mehr bekommen. Nun wurden sie wenigstens mit einer Riesenfete in Bremen belohnt.

Mit ihren grün-weißen Kronen der "Pokaljäger" zogen sie den ganzen Abend singend und fahenschwenkend durch die Stadt. Es war eine Erleichterung zu verspüren, die weit über das normale fußballerischer Emotion Maß hinausging: Werder bleibt international und hat es auch noch den Hamburgern gezeigt, die bei einer Niederlage in Berlin letzten Endes die lachenden Verlierer aus den vier Vergleichen mit Bremen gewesen wären. Sso konnten sie zum Abschied auch noch singen: "Diego, wir lieben Dich".


Zitat Atatürk: "Friede im Lande, Friede auf der Welt"