„Jetzt läuft es so, wie es soll“

Bernd Legien arbeitet an einem professionellen Suchsystem für Profis, um das Team der Eintracht zu verstärken. Künftig soll der Klub beim immer härter werdenden Wettbewerb um Talente mehr agieren als reagieren.



- Sie sind schwerer zu erreichen als der Kapitän, Trainer oder Aufsichtsratsvorsitzende der Eintracht. Warum?

Ich bin oft unterwegs. Und meine Funktion ist es ja auch nicht, jeden Tag in der Öffentlichkeit zu stehen, sondern Hintergrundarbeit zu leisten.

- Entspricht das Ihrem Charakter?

Ja. Heribert Bruchhagen, unser Vorstandsvorsitzender, sagt öfter, jeder Mensch sieht sich gerne mal in der ersten Reihe – an der These ist schon was Wahres dran. Für meine Arbeit ist das aber nicht ausschlaggebend. Es gibt keinen meiner Bundesliga-Kollegen aus den Scouting-Abteilungen, die regelmäßig in den Zeitungen stehen.

- Sie sagen „wir: Wer gehört zu Ihrem Team?

In unserem Ressort sind es sieben Mitarbeiter. Ich bin der Leiter.

- Deckt sich die Zahl mit Ihren Vorstellungen?

Fakt ist: Wir brauchen uns nicht zu verstecken. Im Vergleich mit Mitbewerbern ist es eine ordentliche Anzahl an Kollegen. Es ist nicht ausschlaggebend, ob die Abteilungen beim FC Bayern oder RB Leipzig größer sind. Wichtig ist, das wir ausreichend Personal haben, um unsere Aufgaben und unsere Ziele erreichen zu können.

- Welchen Zustand haben Sie beim Antritt im vergangenen Oktober vorgefunden?

Alle Mitarbeiter sind sehr engagiert und langjährige Eintrachtler. Ich habe sie in den zurückliegenden Monaten ein bisschen an die Hand genommen.

- Gab es vorher keine Struktur?

In welche Richtung es gehen sollte, war früher wohl nicht immer eindeutig. Das haben wir erkannt und geändert. Jetzt läuft es so, wie Scouting aus meiner Sicht funktionieren soll.

- Und das wäre konkret?

Scouting besteht aus unterschiedlichen Aspekten: Es gibt welches für die erste Mannschaft und für den Nachwuchs, dazu Gegner- und Videoanalysen. Das sind komplexe Themen. Wild durch die Gegend herumschwirren bringt da nichts. Es muss koordiniert sein, wir müssen nach einem genauen Anforderungsprofil vorgehen, und uns muss klar sein, welche Spieler der Trainer in seinem Aufgebot haben will. Dieser Suchauftrag steht im Mittelpunkt. Beispiel: Der Coach sagt, er möchte einen rechten Verteidiger. Dann haben wir mehrere Kriterien, die wir berücksichtigen: Altersstruktur, Preiskategorien, Leistungsniveau sowie die Mentalität. Wir suchen aber nicht nur nach speziellen Anforderungsprofilen. Und wir haben nicht nur den deutschen Raum, unseren Kernbereich, im Blick, sondern auch das Ausland.

- Nennen Sie bitte ein Beispiel.

Es gibt mittlerweile jemanden, der für uns speziell den belgischen Markt analysiert und uns über alle Kandidaten dort permanent auf dem Laufenden hält. Das gab es in der Vergangenheit in diesem Umfang nicht. Der Wettbewerb ist aber härter geworden. Wir müssen immer vorbereitet sein, schneller sein als die anderen, um auf alle Eventualitäten reagieren zu können.

- Hatte die Eintracht dieses Netzwerk schon, oder haben Sie es mitgebracht?

Wir sind gerade dabei, dieses Netzwerk auszuweiten. Gemeinsam mit Sportdirektor Bruno Hübner und Trainer Thomas Schaaf definieren wir die Märkte, die für Eintracht Frankfurt die besten sind. Zum Beispiel: Spanien gehört in Europa eher nicht dazu, weil es vom Kostenniveau zu hoch liegt, aber viele andere Länder haben wir jetzt ständig im Fokus. Wir haben die Mentalität ein Stück weit geändert: Wir warten nicht ab. Agieren statt reagieren ist die Devise. So sind wir jederzeit handlungsfähig.

- Sind diese Gedanken für Ihre Mitarbeiter neu?

Teils, teils – weil der Prozess jetzt strukturierter abläuft.

- Das bedeutet, aktuell, kurz vor dem Ende der Saison ist für Sie im Hinblick auf die kommende Runde die stressigste Phase des Jahres?

Nein. Wir planen 365 Tage im Jahr. Die sportliche Leitung und ich tauschen uns wöchentlich aus, klären sämtliche Fragen zu allen relevanten Personen und Positionen.

- Besitzt die Eintracht auch eine Datenbank?

Seit Juli 2014 besitzen wir einen Vertrag mit „Scout7“. Das ist einer der weltweit größten Anbieter. Wir füllen die Programme jetzt eigenständig mit Einträgen und Namen. Bei diesen Computerprogrammen ist immer das Problem, welche Fakten und Bewertungen zugrunde liegen. Beim Scouting kommt es nicht nur darauf an, den Spieler zu finden, auf den vorher noch keiner gekommen ist. Es kann auch derjenige der Richtige sein, den man schon länger kennt – bei dem man aber jetzt den aktuellen Leistungszustand überprüft.

- Die Eintracht ließ in der Vergangenheit Spieler, die vor ihrer Haustüre, beim FSV oder den Kickers, groß in Erscheinung getreten waren, links liegen. Zum Beispiel André Hahn, der vom OFC über Augsburg in Mönchengladbach landete und dort mittlerweile zum Nationalspieler aufstieg. Schenken Sie jetzt der unmittelbaren Umgebung einen größeren Stellenwert?

Das ist unsere primäre Hausaufgabe. In Frankfurt, der Rhein-Main-Region und Hessen sollten wir alle Spieler kennen und einschätzen können. Wenn sie dann nicht genommen werden, ist es ein Beschluss, der dann nichts mit dem Scouting zu tun hat, sondern den Vorstand, Management und Trainer verantworten. Bei Hahn ist der Fall aus meiner Sicht jedoch anders gelagert: Den haben wir während meiner Zeit beim HSV weggeschickt, weil wir uns sicher waren, der packt es nicht! Bei ihm war es letztlich keine Frage des Talents, sondern der Mentalität. Hahn hat sich gegen alle Erwartungen im zweiten Anlauf durchgebissen.

- Wie arbeiten Sie mit dem Leistungszentrum am Riederwald zusammen: Auch dort werden junge Talente ausgebildet, kommt es nicht zu Überschneidungen?

Wir stimmen uns eng ab, es gibt mehr und mehr gemeinsame Termine. Ein 16-Jähriger, der uns in der Hessenauswahl auffällt, ist künftig in unserer Datenbank drin. Dann lässt sich sein Weg verfolgen, und wir wissen, wenn er 18 oder 19 ist, ob er womöglich ein passender Kandidat für unsere Profis wäre. Wir werden bei der Eintracht an einem Strang ziehen.

- In Ingolstadt hieß es nach Ihrer Verabschiedung, Sie hätten keinen Transfer getätigt, der ein Flop gewesen wäre. Waren das warme Worte auf der Abschiedsfeier oder entsprach es den Tatsachen?

Das klang gut. Das können wir ruhig so stehen lassen (lacht)

- Und wie wird es bei der Eintracht laufen, haben Sie schon ein Gespür nach einem halbem Jahr?

Es wird auch mal kein Treffer dabei sein. In den Kopf der Spieler kann man nicht reinschauen. Es gibt Spieler, die funktionieren bei anderen Vereinen, und nach dem Wechsel klappt es dann nicht mehr so, wie es sich alle gedacht hatten.

- Müssen Sie wissen, wie Thomas Schaaf tickt? Oder sind Sie bei Ihrer Tagesarbeit so frei zu sagen: „Ich glaube, der Mannschaft fehlt der bestimmte Spieler, weil ich bereits 29 Partien in dieser Saison von ihr gesehen habe!“

Ich muss mich schon ein bisschen in den Trainer hineindenken. Natürlich diskutieren wir über Spieler. Danach legen wir die Richtung fest. Wenn man es perfekt machen wollte, müsste man jetzt eigentlich darüber nachdenken, welche Kandidaten wir im Winter oder für den übernächsten Sommer haben. So sehe ich das Scouting: Ich finde Spieler, die für uns in Frage kommen: auf allen Positionen und zu jedem Zeitpunkt.

- Überlegen Sie beim Wechsel zu einem Verein, ob Ihr Denken auch zu den Überlegungen des jeweiligen Trainers passt?

Der Wechsel nach Frankfurt hatte auch sehr viel mit meiner privaten Situation zu tun. Meine Frau kommt aus der Stadt. Und die Möglichkeit, bei der Eintracht zu arbeiten, bekommt man auch nicht jeden Tag. Beides zusammen ist für mich wie ein Sechser im Lotto.

- Ihr Engagement ist langfristig angelegt. Von welchem Zeitraum sprechen Sie?

Es dauert drei bis fünf Jahre, bis die ersten großen Talente aus der Jugend herauskommen.

- Wo fangen Sie an, zu schauen?

Es funktioniert nicht, eine Scoutingabteilung von der U 7 bis zur ersten Mannschaft aufzubauen. Beim e. V. wird viel abgedeckt über regionale Stützpunkte, die Fußballschule und Talenttraining. Aber bei der U15, wo es anfängt, ernst zu werden, sollte es bei der Zuständigkeit in Richtung Profiscouting gehen. Der Prozess sollte zusammen moderiert und organisiert werden. Unser Trainer und Sportdirektor sollten mit im Boot sein.

- Vor kurzem waren zwei Amerikaner und ein Südkoreaner zum Probetraining bei der Eintracht. Und der dritte Torwart kommt aus Aserbaidschan. Will sich die Eintracht internationaler aufstellen?

Frankfurt ist ja auch eine internationale Stadt. Aber klar ist auch, dass Deutschland der erste Markt ist und bleibt.

- Ist Ihr Geschäft verschwiegen?

Auf der Tribüne sollte man sicherlich nicht der Lautsprecher sein.

- Was zeichnet Sie als Chefscout aus?

Egal, wo ich war, ich habe immer im Team gearbeitet und Wert darauf gelegt, sich alles sagen zu können. Mich haben übrigens viele gefragt, wie es mit mir und Bernd Hölzenbein funktioniert.

- Und?

Ich weiß nicht, ob Demut das richtige Wort ist. Aber ich wäre ja schlecht beraten, wenn ich Bernd Hölzenbein mit seiner großen Erfahrung nicht nach seiner Meinung fragen würde. Ich will hier nicht mit der Dampfwalze durchfahren und alles neu machen. Ich will die Dinge im positiven Sinne verändern.

- Haben Sie schon einen Transfer vorbereitet?

Vielleicht (lacht).

- Was sollte der Anspruch der Eintracht in den kommenden Jahren sein?

Der Verein muss vorgeben, wohin er möchte. Der ganze Klub und die ganze Stadt haben ein Riesenpotential für Ziele, von denen alle träumen. Zum Beispiel das internationale Geschäft.

- Wären Sie auch ein guter Trainer?

Mein größter Erfolg als Trainer war die Vize-Kreismeisterschaft mit der E-Jugend von TSG 08 Roth, und zwar 1992. Also im Ernst: Das Trainergeschäft ist nichts für mich. Ich bin mit meiner Aufgabe sehr glücklich.



Quelle: faz