Spieler dürfen auf die Psycho-Couch



Fußball-Drittligist Hallescher FC lässt in der Nachspielzeit permanent Punkte liegen und hat zum sechsten Mal in dieser Saison eine Führung nicht über die Zeit gebracht. Karl Ebert sprach darüber mit Trainer Sven Köhler.

Herr Köhler, zum dritten Mal in vier Spielen hat Ihre Mannschaft bei den Stuttgarter Kickers ein Gegentor in der Nachspielzeit kassiert. Müssten Sie nicht stinksauer sein und anstatt des freien Tages am Donnerstag ein Straftraining ansetzen?

Köhler: Warum? Das würde doch an der Situation nichts ändern. Wir waren seit Freitag letzter Woche permanent unterwegs, sind tausende Kilometer im Bus gefahren, wo die Spieler nichts anderes gesehen haben als sich selbst. Ich finde, dass der freie Tag genau richtig kommt, damit die Jungs die Köpfe wieder frei bekommen.

Die Zeit bis zum Heimspiel am Sonnabend gegen Cottbus ist knapp. An welchen Stellschrauben können Sie als Trainer bis dahin drehen, um das Problem zu lösen?

Köhler: Ich werde im Abschlusstraining am Freitag wieder viel Zeit dazu verwenden, die Konzentration der Spieler zu schulen. Da kann es auch einmal laut werden, wenn jemand nicht mitzieht. Nur, wenn die Spieler auch im Training in jeder Minute mit höchster Aufmerksamkeit dabei sind, funktioniert das dann auch im Spiel.

Das haben Sie aber doch auch schon vorher getan. Und trotzdem häufen sich die Aussetzer.

Köhler: Ich will das Problem ja auch nicht kleinreden, zumal es bei uns in dieser Saison wirklich gehäuft auftritt. Das gefällt mir auch nicht. Wenn ich nur daran denke, wo wir stehen könnten, wenn wir die Punkte aus den Spielen, in denen wir eine Führung nicht behauptet haben, alle geholt hätten, wird mir schwindelig.

Auf Platz drei und der bedeutet Aufstiegsrelegation.

Köhler: Wir sollten die Kirche aber auch einmal im Dorf lassen. Die Partie gegen Cottbus steht aktuell vor der Tür. Und wenn ich an unseren Siegtreffer zum 2:1 dort in der Nachspielzeit denke, dann hat das Pendel auch schon zu unseren Gunsten ausgeschlagen.

Ist die Mannschaft ein Fall für die Psycho-Couch?

Köhler: Glauben Sie mir: Die Spieler beschäftigen sich sehr intensiv mit dieser unbefriedigenden Situation. Wenn ich nach dem Abpfiff in Stuttgart in die Gesichter um mich herum gesehen habe, dann stand dort pure Enttäuschung. Und wenn auf den sechs Stunden Rückfahrt im Bus niemand redet, ist das auch ein deutliches Zeichen für Niedergeschlagenheit. Ich sage sogar, dass es ein psychologisch gutes Zeichen für mich als Trainer ist, wenn die Jungs noch Stunden nach solch einem Negativerlebnis nicht ansprechbar und mit sich selbst beschäftigt sind.

Also doch die Psycho-Couch?

Köhler: Ich halte davon nichts als Teammaßnahme. Aber generell stelle ich es jedem Profi frei, sich psychologische Hilfe zu holen, wenn er das für notwendig hält.

Auch in anderen Partien der dritten Liga sind zuletzt oft späte Treffer gefallen. Ist das eine Tendenz?

Köhler: Es gibt diese Tendenz. Aber spätes Tor ist für mich nicht gleich spätes Tor. Über die Treffer gegen die Dortmunder Reserve und Rostock habe ich mich mehr geärgert, als jetzt in Stuttgart.

Woran machen Sie das fest?

Köhler: Gegen Dortmund und Rostock haben wir Punkte verschenkt, weil wir bei Standards nicht aufmerksam waren. Da sind klare Zuordnungen zu den Gegenspielern verabredet gewesen, die die Spieler nicht eingehalten haben. In Stuttgart hat uns ein gut herausgespielter Angriff einer spielstarken Truppe in der Nachspielzeit erwischt, der auch schon 20 Minuten früher hätte einschlagen können.

Haben Sie Spieler in Ihrer Mannschaft ausgemacht, die Fracksausen bekommen, wenn sie merken, dass die letzten zehn Minuten anstehen?

Köhler: Im Hinterkopf ist das sicher bei einigen drin. Deshalb haben wir zuletzt oft über die Konzentrationsmängel in der Endphase geredet. Aber ich hacke nicht ständig darauf herum. Ich versuche, nach vorn zu denken und spreche immer wieder den Vorteil des vorentscheidenden zweites Tores an. Nicht selten stellt genau das eine psychologische Befreiung dar.

Quelle: MZ