Befreiende Rückkehr der Leichtigkeit

Stefan Kießling hat beim Sieg gegen den VFB Stuttgart kräftig mitgeholfen. Und das obwohl der leidgeplagte Angreifer zuletzt nur zu Kurzeinsätzen kam. Der Stürmer hat das dem Trainer offenbar nicht krummgenommen – im Gegenteil.

LEVERKUSEN - Es geht also auch anders. Zweimal hintereinander hatte Stefan Kießling nicht zur Anfangs-Werkself gehört, ohne dass dies mit einer Blessur oder Erkrankung zu begründen gewesen wäre. Beim glanzvollen 3:0-Sieg der Leverkusener in Frankfurt war er als Einwechselspieler für sechs, beim nicht minder überzeugend herausgespielten 4:0 in Charkow für elf Minuten zum Einsatz gekommen. Doch anders als im Fall des Kollegen Michael Ballack war davon in den Medien kein allzu großes Aufhebens gemacht worden. Auch der Spieler selbst hielt sich mit Statements in eigener Sache zurück, sprach von einem vorübergehenden Formtief, aus dem er schon irgendwann wieder herausfinden würde, stellte öffentlich aber keinerlei Ansprüche oder gar Forderungen an den Trainer. Stattdessen nutzte er am Sonntagnachmittag das Jubiläum seines 200. Bundesligaspiels, um die persönliche Krise mit einem spektakulären Erfolgserlebnis für beendet zu erklären: Nämlich mit zwei Treffern beim 4:2 über den VfB Stuttgart.

Die Intensität seines Torjubels nach dem frühen 1:0 (7.) ließ erahnen, welche Zentnerlast ihm in diesem Moment vom Herzen gefallen war. Beinahe hätte er sich beim Versuch, dies vor dem Fanblock mit einem sogenannten „Diver“ zu zelebrieren, auf dem stumpfen Rasen noch eine Verletzung zugezogen. Das hätte gerade noch gefehlt in einer Saison, in der ohnehin schon einiges schiefgelaufen ist für den 27-jährigen Angreifer. So war der Franke wegen eines am vierten Spieltag gegen Nürnberg erlittenen Bänderrisses nahezu in der gesamten Hinrunde ausgefallen. „Das war der Tiefpunkt meiner Karriere“, bekannte Kießling in einem am Sonntag erschienenen Interview mit dem „Express“; und mit der langen Zwangspause erkläre sich auch der jüngste Formabfall, glaubt der Publikumsliebling, denn: „Da ist mir die Leichtigkeit abhandengekommen.“

Ein Phänomen, das Jupp Heynckes dank seiner jahrzehntelangen Erfahrung nur zu gut kennt, dies auch schon in den vergleichbaren Fällen Simon Rolfes bzw. Michael Ballack erkannt hat und seine Konsequenzen daraus gezogen hat. „Spieler mit einer solchen Krankengeschichte müssen äußerst behutsam wieder an die Mannschaft herangeführt werden“, hat der Bayer-Chefcoach in den vergangenen Wochen immer wieder (zumeist auf Fragen nach Ballack) erklärt; dazu gehöre es zwingend, die Belastung zu dosieren und den Spielern auch dann Pausen zu verordnen, wenn sie wieder einige Zeit am Trainings- und Spielbetrieb teilnähmen.

Kießling hat das dem Trainer offenbar nicht krummgenommen – im Gegenteil. „Mir hat diese Auszeit gutgetan, ich habe das wohl gebraucht. Ich musste einen Schalter im Kopf umlegen, es hat richtig klick gemacht“, erzählte der Stürmer am Sonntagabend, nicht ohne zu erwähnen, dass er die ganze Zeit über „das Vertrauen des Trainers gespürt“ habe. Heynckes wiederum wäre sicherlich froh, wenn sich knifflige Personalien dieser Art generell so rasch und weitgehend geräuschlos behandeln ließen. Im Falle Ballack jedoch wird dies ein frommer Wunsch bleiben – das bisweilen schon nervtötende Thema dürfte ihn so lange begleiten, wie beide gleichzeitig bei der Bayer 04 Fußball GmbH unter Vertrag stehen.

Aktuell stellt sich also nur die Frage: Wer von beiden bleibt länger in Leverkusen – Ballack, dessen Vertrag zwar bis 2012 läuft, der aber höchst unzufrieden mit seinem momentanen Status als Nicht-Ausnahmespieler zu sein scheint; oder Heynckes, der immer noch nicht verkündet hat, ob er seinen am Saisonende auslaufenden Kontrakt noch mal verlängert oder in den Ruhestand geht?

Die Europa-League-Partie am kommenden Donnerstag bietet jedenfalls Gelegenheit, dem wohl prominentesten Rekonvaleszenten Fußball-Deutschlands mal wieder eine ordentliche Dosis Spielpraxis zu verabreichen.

Quelle