Renato Augusto – "Ich gehe erst mit einem Titel"

Leverkusens Brasilianer Renato Augusto genießt das Leben in Deutschland. Er hat sich an die Pünktlichkeit gewöhnt und schwärmt von Bastian Schweinsteiger.

Seit Jahren gilt Bayer Leverkusen für Brasilianer als erste Adresse, wenn sie nach Europa kommen. Jorginho, Juan, Lucio oder Emerson – sie alle starteten ihre große Karriere bei der Werkself. Renato Augusto, 23, könnte der Nächste sein. Seit 2008 kickt der offensive Mittelfeldspieler bei Bayer. Er besticht dort durch gute Ideen im Spielaufbau und präzise Pässe. In Mainz will er mit seinem Team heute Platz zwei in der Bundesliga verteidigen.

Welt am Sonntag: Wie sehen Sie die Chancen gegen Mainz?

Renato Augusto: Wir wollen natürlich gewinnen. Aber Mainz hat den Vorteil, dass sie nur samstags spielen. Wir hatten am Donnerstag wieder ein schweres Spiel in der Europa League. So etwas strengt an.

Welt am Sonntag: Hat Leverkusen noch eine Chance, Dortmund einzuholen?

Renato Augusto: Wir müssen realistisch sein. Der Rückstand ist einfach zu groß. Dortmund ist sehr gut und verliert kaum ein Spiel. Wir müssen hier alles daran setzen, Platz zwei zu verteidigen. Denn damit wären wir in der Champions League. Und das wäre für uns ein sehr großer Erfolg.

Welt am Sonntag: Sie sind seit zweieinhalb Jahren in Deutschland und haben noch nie ausführlich über sich gesprochen. Fühlen Sie sich denn wohl hier?

Renato Augusto: Ja. Es hat mir zu Beginn geholfen, dass ich in eine sehr junge Mannschaft gekommen bin und gleich relativ viele Spiele machen durfte. Das war nicht selbstverständlich. Bayer hat sich sehr um mich gekümmert und mir das Eingewöhnen leicht gemacht. Ich hatte beispielsweise ein Jahr lang einen Übersetzer für mich. Was das alles betrifft, ist Bayer schon etwas Besonderes. Das haben mir auch Gespräche mit anderen brasilianischen Spielern bestätigt, die diese Erfahrung der Fürsorge nicht gemacht haben.

Welt am Sonntag: Gab es weitere Hilfe?

Renato Augusto: Ja. Ich habe eine brasilianische Putzfrau, die schon vorher bei Juan und Ze Roberto gearbeitet hat. Sie hat mir viele Tipps gegeben. Weil sie versteht, wie die meisten Sachen für Brasilianer in Deutschland funktionieren. Ich habe ihr am Anfang gesagt, dass sie mir jeden Tag Reis mit Bohnen und geröstetem Maniokmehl anrichten soll. Es ist typisch brasilianisch. Ich liebe das – und esse das heute immer noch jeden Tag. Ich bin ja außerdem nicht allein hier und habe immer mal wieder Freunde aus Brasilien zu Besuch. Derzeit leben zwei mit in meiner Wohnung in Köln. Damit helfen sie mir und ich umgekehrt ihnen, weil sie so mal in Deutschland sein können.

Welt am Sonntag: Sprechen Sie eigentlich Deutsch?

Renato Augusto: (lacht). Ich verstehe die Sprache gut, aber es fällt mir schwer Deutsch zu sprechen. Doch ich bin auf jeden Fall besser als Arturo Vidal (Chilene, d. Red.), der länger in Deutschland ist als ich und überhaupt nichts versteht.

Welt am Sonntag: Was machen Sie in Ihrer Freizeit?

Renato Augusto: Ich höre gern Sambamusik. Dann spiele ich ab und zu in einer Halle in Köln Footvolley. In Brasilien spielen das Tausende am Strand. Wenn es die Zeit erlaubt, lade ich auch mal Freunde zu mir und wir machen Barbecue auf dem Balkon.

Welt am Sonntag: Vermissen Sie Brasilien manchmal?

Renato Augusto: Klar. Aber die Sehnsucht ist nicht mehr so groß wie in meinem ersten Jahr in Deutschland. Damals wäre ich nach jedem Training am liebsten nach Brasilien geflogen. Doch mittlerweile fühle ich mich sehr wohl. Trotzdem versuche ich, mindestens zweimal im Jahr nach Brasilien zu fliegen. Auch meiner Mutter zuliebe.

Welt am Sonntag: Fußball ist sowohl in Deutschland als auch in Brasilien sehr populär. Die Medien berichten sehr viel darüber. Gibt es dennoch Unterschiede?

Renato Augusto: Bei Flamengo Rio de Janeiro, wo ich zuvor gespielt habe, waren täglich bis zu 20 Journalisten beim Training. Da war immer was los. In Leverkusen kommen vielleicht mal ein, zwei Journalisten vorbei. Es ist total ruhig. Allerdings hat sich das in den vergangenen Monaten auch etwas verändert. Seitdem Michael Ballack hier ist, kommen die Journalisten und wollen wissen, was mit Ballack ist.

Welt am Sonntag: Wie erleben Sie die Bayer-Fans?

Renato Augusto: Egal, ob wir gewinnen oder verlieren: sie sind immer korrekt zu uns. Ich habe großen Respekt vor unseren Fans. Aber manchmal vermisse ich das Warmherzige, das ich aus Brasilien kenne. Wenn du in einem vollen Maracana-Stadion in Rio spielst, dann ist das wie in einer anderen Welt. Das kann dort zu einem Erlebnis werden, das dich zu Tränen rührt. Aber es gibt natürlich auch Nachteile in Brasilien ist. Denn wenn du mal ein Spiel verlierst, kann die Stimmung schnell umkippen. Nach einer Niederlage hatte ich mal Probleme, nach Hause zu fahren. Ich musste mehr als drei Stunden warten, bis ich endlich das Stadion verlassen konnte. Einem Kollegen von mir haben sie damals mit Steinen die Scheiben seines Autos kaputt gemacht. Es gibt also auch die Kehrseite.

Welt am Sonntag: Brasilien hat seit Jahren viele, viele gute Talente. Wie haben Sie da den Durchbruch geschafft?

Renato Augusto: In Brasilien spielen sehr viele Kinder Fußball in der Halle. Ich habe das bis zu meinem 14. Lebensjahr auch gemacht. Als ich zum besten Spieler Brasiliens gewählt worden bin, haben mich Freunde überredet, es draußen auf dem Rasen mit Fußball zu probieren. Ich hatte erst keine Lust, bin dann aber zu Flamengo gewechselt. Am ersten Tag hat mich mein Trainer gefragt, welche Position ich denn spielen würde. Ich habe gesagt, dass ich das nicht weiß. Denn in der Halle waren Positionen kein Thema. Weil sowieso nur ein Platz im offensiven Mittelfeld frei war, habe ich dort angefangen zu spielen.

Welt am Sonntag: Hat Ihnen der Hallenfußball genutzt?

Renato Augusto: Ja. In der Halle geht alles ganz schnell und ich bin heute dadurch in der Lage, schnell zu agieren. Ich weiß oftmals schon bevor ich den Ball überhaupt bekomme, was ich danach mit ihm tun will. In Deutschland habe ich gelernt, was es heißt, auf dem Platz defensiv zu denken.

Welt am Sonntag: Was haben Sie hier denn noch gelernt?

Renato Augusto: (lacht). Ich weiß jetzt, was Pünktlichkeit bedeutet. In Brasilien sagen sie zwar auch, dass das Training morgen um 15 Uhr beginnt. Aber es muss nicht heißen, dass das auch so passiert. Hier in Deutschland ist Training um 10 Uhr, wenn der Trainer sagt 10 Uhr.

Welt am Sonntag: Landsleute wie Juan oder Lucio haben Leverkusen als Sprungbrett für einen Wechsel zu einem Top-Verein genutzt. Wie sieht das bei Ihnen aus?

Renato Augusto: Ich bin erst 23 und kann in Leverkusen noch viel lernen. Ich habe mit Bayer noch keinen Titel gewonnen. Das möchte ich aber. Wenn überhaupt, dann wäre es mein Wunsch, Bayer als Deutscher Meister zu verlassen. Aber ich habe keine Eile. Zumal ich mich hier wohlfühle.

Welt am Sonntag: Wer sind für Sie die besten Spieler in der Bundesliga?

Renato Augusto: Ich finde Bastian Schweinsteiger vom FC Bayern München sehr gut. Er hat zu Saisonbeginn ganz stark gespielt. Jetzt ist er etwas schwächer geworden. Aber das liegt vielleicht auch an den vielen Spielen, die er in den vergangenen Monaten absolvieren musste. Außerdem gefallen mir Didier Ya Konan von Hannover 96 und Demba Papiss Cisse vom SC Freiburg. Sie spielen wirklich sehr beeindruckend. Das sind zwei richtig gute Spieler. Arjen Robben und Franck Ribery sind natürlich auch zwei ganz hervorragende Fußballer.

Welt am Sonntag: Wie finden Sie die Bundesliga allgemein?

Renato Augusto: Ich halte die Liga für eine der attraktivsten in Europa. Jeder Verein hat hier zwei, drei richtig gute Spieler. Und was extrem auffällt, ist, dass die Bundesliga sehr ausgeglichen ist. Es ist nicht so wie in Spanien, wo einzig Real Madrid und der FC Barcelona die Liga dominieren. In Deutschland gibt es gleich mehrere Vereine, die in der Lage sind, den Titel zu gewinnen. Das macht die Bundesliga sehr interessant. Es wird hier nie langweilig. Das ist gut.

Welt am Sonntag: Sie haben im Februar Ihr Debüt in der brasilianischen Nationalelf gegeben. Welche Ziele haben Sie mit der „Selecao“?

Renato Augusto: Die Nominierung war ein ganz spezieller Moment in meinem Leben. Wir haben das Spiel in Frankreich zwar mit 0:1 verloren, aber ich hatte ein gutes Gefühl. Ich glaube, der Trainer war ganz zufrieden mit mir. Ich bin zuversichtlich, dass ich auch in Zukunft für Brasilien spielen darf. Für das Spiel Ende März gegen Schottland bin ich ja wieder eingeladen worden.

Welt am Sonntag: Sie haben das Trikot mit der Nummer 10 getragen, das früher auch Pele trug. War das eine Freude oder Last?

Renato Augusto: Es ist wirklich nicht einfach, als Brasilianer die 10 zu tragen. Aber ich habe mich gefreut. Es war eine große Ehre.

Welt am Sonntag: Die Konkurrenz in der „Selecao“ ist groß. Glauben Sie, dass Sie sich auf Dauer gegen Spieler wie etwa Kaka behaupten können.

Renato Augusto: Ja. Ich bin zwar noch ein junger Spieler, aber ich bin bereit für diesen Konkurrenzkampf. Es ist eine große Herausforderung, mich im Nationalteam zu behaupten.

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