Der nächste Gegner in der Liga: SV Darmstadt 98

Wunder gibt es ja bekanntlich auch im Fußball immer wieder. In Darmstadt scheint das allerdings anders zu sein: Da ist das Wunder schon längst keine Schlagzeile mehr, sondern der Titel der kompletten Zeitung! Ein unglaublicher Erfolg jagt seit zwei Jahren den nächsten. Seither schreiben die Lilien ihr ganz eigenes, das vielleicht modernste Märchen unseres Sports. Und seit dieser Saison geht die Geschichte in der Bundesliga weiter.

33 Jahre nach dem bis dato letzten Spiel in der Beletage feierten die 98er die Rückkehr, die wohl niemand mehr für möglich gehalten hatte. Dabei war der Verein 2013 noch mausetot, nach dem bitteren und tränenreichen Drittligaabstieg bereiteten sich alle auf den Neuanfang in der Regionalliga vor. Rückkehr in den Profifußball? Mehr als ungewiss! Doch dann kam die Nachricht vom Lizenzentzug des OFC. Ausgerechnet der Lokalrivale aus Offenbach machte mit seinem Zwangsabstieg wieder einen Platz frei in der Dritten Liga, die Darmstädter rückten nach.

Mit einem Bein in der Regionalliga

Und das Team von Dirk Schuster spielte befreit auf, vielleicht auch mit dem Gedanken, nicht mehr viel zu verlieren zu haben. Am Ende stand Rang drei zu Buche: also Relegation gegen Bielefeld. Als wäre das nicht schon Wunder genug, setzten sich die Darmstädter auch noch sensationell durch. 1:3 im Hinspiel, 3:1 im Rückspiel. In der Verlängerung ging die Arminia in Führung, doch in der Nachspielzeit der Nachspielzeit knallte der alte Elton da Costa den Ball ins Tor. Bumm. Aufstieg!

„Es gibt einen Fußballgott“, strahlte Coach Schuster nach der Partie. Was er in diesem Jahr aus der Mannschaft gemacht hatte, sorgte für großes Staunen bei der Konkurrenz. Niemand hatte Darmstadt auf dem Zettel, und nun das. Das Märchen war komplett? Nicht so schnell, der Hauptakt sollte ja erst noch folgen. Mit dem kleinsten Etat und dem Kern der Aufstiegsmannschaft spielten sich die Lilien auch in Liga zwei in den Vordergrund.

„Mentalität schlägt Qualität“, ist das Credo von Dirk Schuster und so präsentierte sich der Aufsteiger Woche für Woche. So wie Schuster früher selbst ein brettharter Verteidiger gewesen war, ließ er auch spielen. Große Namen sind am Böllenfalltor Fehlanzeige, an Kampfgeist und Charakter mangelt es dem Team dafür nicht. Typen gibt es ohne Ende! Aytac Sulu zum Beispiel. Der Gladiator haut sich in jeden Zweikampf, als ob es sein letzter wäre. Den Captain kennt man eigentlich nur noch mit Gesichtsmaske oder Turban, einmal hat er sich nach einem Ellbogencheck sogar den wackelnden Zahn auf dem Platz selbst gezogen und weitergespielt. Oder Marco Sailer, in Anlehnung an den österreichischen Skifahrer nur Toni genannt. Der Stürmer mit dem 25-Zentimeter-Bart verkörpert seit fast einem Jahr das alte Motto: „Wer rasiert, verliert!“ Irgendwie passend, denn die Darmstädter eilten tatsächlich von Sieg zu Sieg und bald glaubten sogar die Experten an das bisher dickste Kapitel der Erfolgsgeschichte.

Das Märchen vom Aufstieg

Am letzten Spieltag brachen dann alle Dämme. Tobias Kempe, Sohn des früheren Bundesliga-Profis Thomas Kempe, zirkelte gegen St. Pauli einen Freistoß ins Tor und machte damit die Rückkehr ins Oberhaus perfekt. Fürth, Braunschweig, Paderborn – Alle Überraschungen der letzten Jahre kann man getrost ad acta legen, Darmstadts Aufstieg toppte alles. Damit hatte wahrlich niemand gerechnet. Überall stürmten nun die Fans auf den Rasen, schnitten die Tornetze auseinander, feierten mit ihren Helden. Nicht weniger als das sind die Darmstädter Spieler. Eben die Jungs, die das Fußballmärchen haben Wirklichkeit werden lassen.

Dabei sucht man im Kader der 98er einen Topstar vergeblich. Vielmehr ist die Mannschaft ein Club der Gescheiterten – ohne Despektion gemeint. Genau daraus hat Dirk Schuster nämlich eine Qualität gemacht. Spieler wie Dominik Stroh-Engel, Jan Rosenthal, Florian Jungwirth, Sandro Wagner, Konstantin Rausch, Luca Caldirola und Co. haben ja bekanntermaßen ihre Stärken, diese zuletzt aber nicht mehr ausleben können. In Darmstadt haben sie nun ein neues Zuhause gefunden.

Der Bölle bebt

„Selbstdarsteller haben bei uns keine Chance“, erklärt Schuster: „Als Ensemble von Diven würden wir untergehen.“ So blüht auch jemand wie Marcel Heller noch mal auf. „Schnell, schneller, Marcel Heller“, feiern die Fans in Darmstadt den Flügelflitzer, und der machte seinem Song am ersten Spieltag alle Ehre. 60 Meter sprintete er gegen Hannover mit dem Ball und vollstreckte dann eiskalt. Es war das erste Bundesliga-Tor nach 12.131 Tagen für Darmstadt. Willkommen, liebe Romantik des Fußballs! Klar, dass der Bölle wie zu besten 80er-Jahre-Zeiten bebte. Gäbe es ein Dach im Stadion, es wäre beim Jubelsturm vermutlich weggeflogen. Am Ende hieß es 2:2, der erste Punkt wurde schon fast gefeiert wie die Aufstiege in den Jahren zuvor.

Und auch in den Wochen danach überzeugten die Lilien: 1:1 auf Schalke, 0:0 gegen Hoffenheim. Noch ist Darmstadt ohne Niederlage, Coach Schuster überrascht das nicht: „Wir sind mit einigen Teams auf Augenhöhe und haben eine reelle Chance auf den Klassenerhalt.“ Er muss es wissen, denn mit Wundern kennt er sich aus. Das Märchen geht also weiter.

Quelle: Bayer04.de