Bundesliga

Widerstand gegen den gläsernen Profi



Sprints, zurückgelegte Kilometer, Durchschnittsgeschwindigkeiten - all diese Informationen bekommen Fußballfans schon während der Bundesligaspiele im Netz. Die Transparenz stößt bei vielen Vereinen auf große Skepsis.

Früher war alles noch einfach. Franz Beckenbauer sagte zu seinen Spielern: "Geht's raus und spuilt's Fußball." Samstagabends zeigte die "Sportschau" drei Bundesligaspiele - und die Anzahl der Torschüsse, Fouls und Eckbälle waren so ziemlich die einzigen Statistiken, die während der Partien geführt wurden.

Heute ist das anders. Fußball ist komplex geworden. Noch während eines Bundesligaspiels kann sich ein Fan im Internet durch die Laufwege der einzelnen Spieler klicken. Zurückgelegte Strecken auf dem Platz werden erfasst, und auch über Sprintgeschwindigkeiten in der Offensive und Defensive der einzelnen Profis gibt es Zahlenmaterial. Was bis zu Beginn dieser Saison den Clubs vorbehalten war, ist jetzt für die breite Öffentlichkeit zugänglich geworden. Die Firma Impire liefert die Daten und macht den Profi zum gläsernen Objekt fürs Publikum. "Die Fans haben jetzt denselben Einblick wie die Trainer", sagt Datenhändler Mario Hanus von Impire und ist begeistert.

Die Transparenz aber birgt Tücken. Bei vielen Bundesligaclubs hat sich Widerstand geregt - auch beim VfB Stuttgart. "Die Öffentlichkeit sieht meist nur die nackten Zahlen, etwa die Distanz, die ein Spieler während eines Spiels zurückgelegt hat", sagt VfB-Co-Trainer Eddy Sözer. "Die Zahl ist aber nur die halbe Wahrheit." Man müsse auch die Taktik und die Spielphilosophie berücksichtigen. "Wenn ein Spieler weniger gelaufen ist als die anderen, heißt das ja nicht, dass er fauler ist", sagt Sözer.

Wenn etwa ein Stürmer die taktische Vorgabe hat, den Gegner bei dessen Ballbesitz erst ab der Mittellinie anzugreifen, läuft er automatisch weniger, als wenn er ihn schon permanent am gegnerischen Strafraum attackieren muss. Andreas Rettig, Manager des FC Augsburg, hat ein anschauliches Beispiel parat: "Manchmal reicht einem cleveren Spieler doch ein einziger Schritt, um einen Passweg zuzustellen." Deshalb sei er noch lange nicht faul. "Der gläserne Profi ist oft nur halbgläsern, weil zu den Zahlen immer die taktischen Hintergründe fehlen", sagt Rettig. Wie ist die Mannschaft taktisch eingestellt? Greift sie erst ab der Mittellinie an? Sollen sich Außenverteidiger oft nach vorne einschalten? Muss der Stürmer tief in der eigenen Hälfte verteidigen oder nicht? Solche Informationen haben nur die Spieler und die Trainer. Die Fans, die die Daten schon während dem Spiel im Internet abrufen können, haben sie nicht. Sie haben nur die Zahlen. "Man muss bei Statistiken immer den Zusammenhang sehen", sagt Sözer, "wenn ein Stürmer den Auftrag hat, sich in der Offensive vornehmlich im gegnerischen Strafraum aufzuhalten, läuft er weniger und hat die Vorgaben des Trainerteams optimal umgesetzt. Der Fan sieht vielleicht nur die geringe Laufleistung und denkt sich dann, dass der Profi keine gute Einstellung hatte."

Was in so einem Fall passieren kann, musste der Kölner Stürmer Lukas Podolski erfahren. Er lief am ersten Spieltag nur 8,9 Kilometer. Schnell waren dann Geschichten vom "lauffaulsten Spieler des Spieltags" im Umlauf. Das senkt das Ansehen der Profis, das senkt den Marktwert - klar, dass sich da bei Spielern und Vereinen Widerstand regt.

Dem Hamburger SV etwa kann man ja zurzeit vieles unterstellen - dass der Tabellenletzte am ersten Spieltag beim spielstarken deutschen Meister Borussia Dortmund aber defensiv kompakt in der eigenen Hälfte stehen wollte und deshalb insgesamt zehn Kilometer weniger lief als die Borussen, ist nachvollziehbar. Die schwache Leistung des HSV wurde dann nur auf die geringere Laufdistanz reduziert. Dass ein Innenverteidiger normal weniger Vollsprints in der Offensive hinlegt als ein Außenverteidiger, der sich nach vorne einschaltet, liegt auf der Hand. Wer aber nur die nackten Zahlen liest und die Spieler vergleicht, könnte dann jedoch denken , dass der Innenverteidiger konditionell schwächer ist.

Die Bundesliga-Manager bildeten eine Arbeitsgruppe zu dem heiklen Thema, es regte sich Protest - doch später lenkten sie ein. Die Deutsche Fußball-Liga (DFL) durfte die Daten weiter auf ihrer Internetseite veröffentlichen. "Spieldaten bilden einen Mehrwert für die Öffentlichkeit", sagt DFL-Geschäftsführer Holger Hieronymus.

Auch für die Clubs bieten die Statistiken einen Mehrwert. Co-Trainer Eddy Sözer sagt, dass das Trainerteam des VfB die Zahlen differenziert auswertet. "Für uns sind diese Informationen, etwa über Strecken im Sprint oder die Laufdistanz, wichtig - aber wir müssen das immer abgleichen mit dem, was wir vom Spieler eingefordert haben."

Quelle: Stuttgarter Nachrichten


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