Bundesliga

Sehnsucht nach der Magie des Spiels



Das Geschäft mit dem Fußball lebt unter anderem davon, dass es seinen Kostgängern unentwegt Stoff für anregende Gespräche liefert. So betrachtet befindet sich der VfB Stuttgart derzeit in einer schwierigen Situation. Die Mannschaft steht nach dem Triumph gegen den SC Freiburg mit 29 Zählern auf Rang acht der Tabelle, weshalb sie nach menschlichem Ermessen nicht mehr um den Klassenverbleib fürchten muss. Wenn kein Wunder geschieht, dann wird sie auch mit dem Wettstreit um internationale Starterplätze so viel zu tun haben wie der Trollinger mit dem Riesling. „Ich schiele nicht“, sagte Fredi Bobic nach Spielschluss, „weder nach oben noch nach unten.“ Womit der Manager wohl kaum seine ungestörte Sehfähigkeit belegen wollte.

In solchen Zeiten sportlicher Unaufgeregtheit richten sich die Blicke gern auf die Details der allwöchentlichen Darbietung – und diesbezüglich bietet der Verein für Bewegungsspiele mehr Gesprächsstoff, als ihm lieb sein kann. Denn die unstillbare Sehnsucht der Fans nach der Magie des Spiels vermögen die Zauberer vom Cannstatter Wasen nach wie vor nur ansatzweise zu bedienen.

So verrückt kann Fußball sein

Bruno Labbadia fordert von den Kritikern des holprigen VfB-Spiels nach neun Toren in zwei Heimspielen zwar, „die Kirche im Dorf zu lassen“, aber gegen das Tabellenschlusslicht wechselten Finesse und Tristesse derart schnell, dass den 46 000 Zuschauern in der Mercedes-Benz-Arena der Atem stockte. Als hätte er sich zum Vorturner dieser permanenten Auf- und Abbewegung gemacht, krönte Rechtsverteidiger Khalid Boulahrouz seine schwache Leistung in der Defensive mit dem Treffer zum 3:1 – als er einen Kopfball von Vedad Ibisevic mit dem Rücken ins Tor verlängerte. Kurz zuvor hatte Freiburgs Jan Rosenthal nur den Pfosten des VfB-Gehäuses getroffen. „Dieses Spiel“, sagte der Trainer und stieß die Luft aus beiden Wangen, „war ein Spiegelbild der ganzen Saison.“

So verrückt kann Fußball sein. Weil sich das Glück aber nicht dauerhaft verpflichten lässt, stellt sich unverändert die Frage, wie lange der VfB die Langmut seiner Fans noch strapazieren will. Denn auf Siege scheint die Pleite so unabänderlich zu folgen wie das Amen auf das Vaterunser. Dabei nimmt der Coach seine Spieler nach eigener Aussage fast täglich ins Gebet. Trainingsformen, um Ball- und Passsicherheit oder die Spielkon­trolle zu forcieren, zählen ebenso zu den Standards der Trainingsarbeit wie das Verhalten bei Eckstößen des Gegners. Trotzdem führte jeder Eckball des SC Freiburg zu Schweißausbrüchen auf der Galerie – und einer zum 1:2-Anschlusstreffer der Gäste. „Leistungskonstanz und spielerische Stabilität müssen sich entwickeln, wir können uns das nicht backen“, sagte der Coach zum x-ten Mal, verdrehte im selben Augenblick die Augen. Er ahnte: Eigentlich will das kein Mensch mehr hören.

Trotzdem tut er gut daran, immer mal wieder darauf hinzuweisen, dass er nicht in dem Bundesliga-Land arbeitet, in dem Milch und Honig fließen. In der vergangenen Saison hätte der achte Rang zum gleichen Zeitpunkt wohl Jubelstürme ausgelöst. „Wir haben den Mund nie zu voll genommen und schon vor der Saison darauf hingewiesen, dass es Leistungsschwankungen geben kann“, ruft der Trainer in Erinnerung . Gleichwohl er zugibt: „Wir könnten sechs, acht Punkte mehr auf dem Konto haben.“ Dann säße der VfB Stuttgart dicht vor den Fleischtöpfen des internationalen Geschäfts, und niemand würde darüber sinnieren, ob die leisen Zweifel an der Strategie von Trainer und Manager womöglich berechtigt sind.

Über dem Cannstatter Wasen sammelt sich Unzufriedenheit

Ihren Ursprung haben sie in Erwartungshaltungen, die dem Reich der Träume entspringen. Und die gehören zum VfB wie der rote Brustring aufs Trikot. Viele Trainer sind daran schon zerbrochen. Pläne waren in der Vergangenheit meist das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben standen. Denn schon bei der kleinsten Betriebsstörung hat sich niemand mehr an die Gebrauchsanweisung gehalten, die Kontinuität und Weitsicht garantieren sollte. Und verlangte nicht jeder, der es gut mit dem VfB meinte, dass nach den Trainer-Orgien der vergangenen Jahre endlich mal ein Coach die Chance bekommen sollte, etwas aufzubauen?

Seit Wochen sammelt sich über dem Cannstatter Wasen wieder die Unzufriedenheit wie Wasser in einer dunklen Regenwolke. Bobic knurrt: „Wer eine Trainerdiskussion beginnen will, kann das tun. Ich werde mich nicht daran beteiligen.“ Labbadia bekennt sich ohne Wenn und Aber zu den „Bedingungen, die wir hier vorfinden“. Zum Stuttgarter Weg. Er sagt aber auch: „Ich kann nicht zaubern.“ Doch genau das scheint man von ihm zu verlangen.

Quelle: Stuttgarter Nachrichten


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