William Kvist

Der Taktgeber geht in die Offensive



Er hält die Ordnung in der Defensive, er ist der verlängerte Arm von Trainer Bruno Labbadia. VfB-Mittelfeldmann William Kvist steht für taktische Disziplin und kluges Verschieben – jetzt soll er sein Repertoire erweitern.

William Kvist (27) ist ein Mann mit feinsinnigem Humor. Die Selbstironie gehört zu den großen Qualitäten des dänischen Mittelfeldspielers. Wenn es sein muss, nimmt er sich selbst gern mal auf die Schippe, ohne Rücksicht auf Verluste. Schon bei seiner Vorstellung im vergangenen Sommer sagte Kvist grinsend, dass das mit ihm und der Torgefahr ja so eine Sache sei, dafür sei er nicht der Typ. Einen Goalgetter, so Kvist, habe der VfB sicher nicht verpflichtet.

Jetzt, kurz vor Ende seiner ersten Bundesliga-Saison, zieht der Däne eine Bilanz. Und seine düsteren Prognosen haben sich bewahrheitet. Keinen einzigen Bundesligatreffer hat Kvist, der für 3,5 Millionen Euro vom FC Kopenhagen an den Neckar wechselte, geschossen. Wobei das nicht ganz stimmt – ein Eigentor hat er zustande gebracht. „Ich habe es in diesem Jahr geschafft, in der Torschützenliste bei minus zwei zu stehen“, rechnet er lachend vor, „beim VfB habe ich in dieser Saison ins eigene Netz geschossen, in der Nationalelf auch – ich hoffe, das wird ­irgendwann mal besser mit mir.“

Kvist soll einen Schritt nach vorne machen

Was der Däne als Spaß meint, könnte bald Ernst werden. Denn in seinem zweiten Bundesligajahr hat das Trainerteam um Bruno Labbadia Großes vor mit dem Mann, der eigentlich dafür da ist, als Sechser vor der Abwehr die Ordnung zu halten und den Rhythmus im Spielaufbau vorzugeben. Kvist soll einen Schritt nach vorne machen. Der Taktgeber soll in die Offensive gehen. „Die meisten Leute wissen gar nicht, wie schnell William in der Vorwärtsbewegung ist“, sagt Trainer Bruno Labbadia, „mit dem Ball am Fuß ist er sehr dynamisch, dasselbe gilt für die Zweikämpfe in der Offensive.“

Kvist soll sich öfter vors gegnerische Tor trauen – so wie er es in den vergangenen Spielen angedeutet hat. Labbadia s Augen leuchten, wenn er an eine bestimmte Szene aus der Partie bei Borussia Dortmund (4:4) denkt. Kvist wirbelte da beim Stand von 0:2 mit dem Ball am Fuß durchs Mittelfeld – und schoss aus 20 Metern an den Pfosten.

Es war so etwas wie die Initialzündung zur grandiosen Aufholjagd der Roten. „Da hat William gezeigt, welches Potenzial er in der Offensive hat“, sagt Labbadia. Solche Aktionen will der Coach öfter sehen von seinem defensiven Mittelfeldmann. Am liebsten schon an diesem Samstag im Duell beim 1. FC Köln (15.30 Uhr/Sky und Liga total). Spätestens aber zur neuen Saison. Wer mit Bruno Labbadia oder dessen Co-Trainer Eddy Sözer über die Entwicklung des dänischen Nationalspielers spricht, hört heraus, dass die beiden ihrem Neuzugang ein Jahr des Übergangs gewähren. Auch das körperliche Loch, in das Kvist vor ein paar Wochen fiel, hat die beiden kaum überrascht.

Kvist schleppte sich da oft mehr über den Platz, als dass er rannte. Er pumpte wie ein Maikäfer. Der Däne hatte sich noch nicht komplett an das Tempo und den Rhythmus in der Bundesliga gewöhnt – da fehlte die Kraft für große Offensivaktionen. Kvist war froh, in der Defensive einigermaßen sicher zu stehen. „Du musst hier viel handlungsschneller sein als in Dänemark“, sagt der Nationalspieler, „ich merke das jetzt auch, wenn ich zu Länderspielen fahre. Da profitiere ich nun davon, dass ich in der Bundesliga aktiv bin, ich bin gedanklich schneller geworden, das ist eine gute Schule.“

Die Belastungen für Geist und Körper seien in Deutschland ungleich höher als in der dänischen Liga, sagt Kvist. Oder, wie es Co-Trainer Eddy Sözer ausdrückt: „William hatte in dieser Saison gefühlt immer ein Champions-League-Spiel.“ Die körperliche Schwächephase musste also irgendwann fast kommen – doch der Vorteil war, dass die Kollegen Kvist in dieser Phase einfach mitzogen.

Und im nächsten Jahr soll Kvist angreifen

„Als er nicht so gut drauf war, hat das Team sehr gut funktioniert, so konnte William dann mit dem Rest mitschwimmen“, sagt Labbadia. Jetzt marschiert Kvist wieder vorneweg. Das körperliche Tief ist überwunden, weil Labbadia den Dänen in den vergangenen Wochen bei den Trainingseinheiten immer wieder schonte und ihm ein Regenerationsprogramm verordnete. Mittlerweile ist der Mittelfeldmann wieder bei Kräften und besticht wie zu Saisonbeginn durch seine Präsenz, die taktische Disziplin und die zupackende Spielweise.

So darf es weitergehen. Und im nächsten Jahr soll Kvist angreifen – im wahrsten Sinne des Wortes. „Wir fordern von ihm noch mehr Tempoverschärfungen im Spiel nach vorne“, sagt Co-Trainer Eddy Sözer: „Er muss noch mehr Diagonalbälle schlagen und unser Spiel noch schneller machen.“ Der Taktgeber des VfB soll die Schlagzahl erhöhen – das Jahr des Übergangs ist vorbei. Auf die Lehrzeit folgt jetzt so etwas wie die Meisterprüfung. Und dabei steht Kvist vor einem schwierigen Spagat. Er soll mehr für die Offensive machen – aber zur selben Zeit auch seine Kernaufgaben nicht vernachlässigen.

„Seine große Stärke ist das Antizipieren von gegnerischen Angriffen, das Halten der Ordnung in der Defensive, die Organisation des Teams“, sagt Bruno Labbadia. Um das umzusetzen, genügt mittlerweile ein kurzer Blickkontakt zwischen dem Coach und Kvist. Ein kurzer Zuruf, dann schreitet der Mittelfeldmann zur Tat und bringt die Mitspieler durch Kommandos wieder in die richtige Position. Wenn er jetzt obendrein noch Akzente in der Offensive setzt, wird aus ihm so etwas wie ein kompletter Mittelfeldspieler – und vielleicht sogar ein torgefährlicher.

Quelle: Stuttgarter Nachrichten


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