Martin Harnik

Ein Strahlemann wird zum Grübler



Wer Martin Harnik (24) in die Augen schaut, der bekommt schnell einen Eindruck von seiner Befindlichkeit. Der Blick ist leer. Er sucht oft das Weite, draußen, irgendwo auf dem Trainingsplatz des VfB, wo die Mitspieler noch die Bälle einsammeln. Irgendwie verkrampft wirkt der junge Mann, der einem da gegenübersitzt – und den man eigentlich ganz anders kennt. Als lockeren Typen, der immer mal einen kessen Spruch parat hat. Als aufgeschlossenen Zeitgenossen, bei dem die Augen nach einem Flachs gerne mal leuchten. Doch jetzt ist von dieser Lockerheit nicht mehr so viel übrig geblieben. „Geht so“, sagt Harnik auf die Frage, wie es ihm geht – und richtet seinen Blick wieder nach draußen, ins Weite.

Für seine schlechte Laune hat der Außenstürmer des VfB einen guten Grund – er steckt in der Krise. In den vergangenen beiden Spielen gegen den FC Schalke (1:3) und Borussia Mönchengladbach (0:3) wechselte ihn Trainer Bruno Labbadia nach schwacher Leistung aus. Man könnte also fast meinen, dass das Formtief des Martin Harnik so etwas wie ein Sinnbild für die Krise des ganzen Teams ist, das seit sechs Bundesligaspielen auf einen Sieg wartet. Doch beim Österreicher ist die Problematik vielschichtiger. Und da lohnt es sich, genauer hinzuschauen.

Denn dass Martin Harnik beim VfB eine Formkrise durchlebt, passiert ja nicht zum ersten Mal. Der Stürmer ist ein sensibler Typ, der sich viele Gedanken um sich und seine Leistungen macht – manchmal zu viele. Das war schon zu Beginn der Saison so, als er nach starkem ersten Spiel gegen den FC Schalke (3:0) in ein Leistungsloch fiel. „Ich muss lernen, lockerer zu werden“, sagte er damals. Dasselbe sagt er jetzt wieder. Er sagt auch, dass es sich nicht lohne, sich zu sehr einen Kopf zu machen. „Lionel Messi hat auch schon schlecht gespielt – nur nicht so oft.“

Harnik setzt sich selbst unter Druck

Harnik, der 2010 von Zweitligist Fortuna Düsseldorf zum VfB Stuttgart wechselte, will sich also keinen Kopf mehr machen. Ob ihm das gelingt, ist fraglich. Denn da ist ja nicht nur das Kopfproblem, das es schon einige Male gegeben hat – es kommt jetzt noch eine weitere Komponente hinzu. Harnik verlängerte seinen Vertrag im Winter bis 2016 . Zudem wählten ihn die Kollegen neu in den Mannschaftsrat. All das bedeutet mehr Verantwortung, die Belastung ist höher. „Martin ist in der Hierarchie nach oben gerückt – damit wächst der Druck auf ihn“, sagt Bruno Labbadia. Harnik selbst betont, dass ihm die Vertragsverlängerung mehr Sicherheit gebe. Auf dem Platz beeinflusse ihn das gar nicht. Doch zu sehen war davon eben noch nichts. Im Gegenteil – der Stürmer wirkt gehemmt.

Es soll ja durchaus Spieler geben, die eine Vertragsverlängerung zusätzlich motiviert. Weil sie das Vertrauen spüren. Wenn es sportlich aber nicht läuft, bringt das nichts. Die gestiegene Verantwortung kann leistungshemmend wirken – erst recht, wenn man wie Harnik eher sensibel ist. Manager Fredi Bobic sagt, „dass sich Martin vielleicht zu sehr unter Druck setzt. Er muss wieder zu seiner Leichtigkeit zurückfinden.“ Das dürfte nicht einfach werden. Denn der Strahlemann von einst ist zum Grübler geworden.

Einer, der wissen muss, wie man sich aus Wellentälern herausarbeitet, ist Andreas Buck (44). Von 1990 bis 1997 kickte er bei den Roten. Wie Harnik berackerte er meist die rechte Außenbahn – und wie Harnik war auch Buck ein Spieler, der sich eher mal zu viel als zu wenig Gedanken machte . „Du solltest einfach drauflos spielen – aber das ist einfacher gesagt als getan, das weiß ich aus eigener Erfahrung.“ Intelligente Spieler, die sich viele Gedanken machen, haben es laut Buck oft viel schwerer. „Auf dem Fußballplatz solltest du gar nicht viel nachdenken, das ist das Beste.“ Was für Martin Harnik jetzt das Beste wäre? „Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen komisch – aber ein Bänderriss im Sprunggelenk käme jetzt wie gerufen. Da weißt du, dass du vier Wochen weg vom Fenster bist und hast nicht täglich diesen negativen Druck im Training . Da kannst du dir mal in aller Ruhe deine Gedanken machen – und dann wieder befreit voll angreifen.“

Hilbert: „Locker bleiben und Gas geben“

Weil sich Harnik beim nächsten Treppensteigen aber wohl kaum mit Absicht den Fuß vertreten wird, hat Buck noch eine andere Lösung parat – und zwar für Trainer Bruno Labbadia. „Wenn sich ein Spieler zu sehr einen Kopf macht, ist er dem Trainer dankbar, wenn er ihn mal für ein, zwei Partien draußen lässt.“ Das würde ein Profi zwar niemals zugeben. „Aber insgeheim würde er es genießen, mal durchschnaufen zu dürfen.“

Erfahrung mit der Situation von Martin Harnik hat auch Roberto Hilbert (27), Mitglied des Meisterteams von 2007 und von 2006 bis 2010 für die Roten am Ball. Wie Harnik startete Hilbert in seiner ersten Saison auf derselben Position auf Rechtsaußen durch. Er überzeugte nach seinem Wechsel von der SpVgg Greuther Fürth auf Anhieb und wurde sogar deutscher Meister. Doch es folgten wie bei Harnik einige Wellentäler – und negative Äußerungen seiner Trainer. „Ein Trainer muss da immer ein bisschen Pädagoge sein. Er muss viel mit dem Spieler reden – und er sollte ihn in der Öffentlichkeit stärken“, meint Hilbert. Wenn Labbdia wie jetzt vom Druck spricht, der bei Harnik wachse, sei das nicht gerade förderlich.

Was Martin Harnik jetzt tun sollte? „Locker bleiben, Gas geben und sich nicht von Äußerlichkeiten unter Druck setzen lassen, nicht zu sensibel sein.“ Hilbert, der sich mittlerweile bei Besiktas Istanbul einen Stammplatz erkämpft hat, sagt, dass er das auch erst lernen musste. „Das ist ein Reifeprozess“ betont er. Martin Harnik steht er noch bevor.

Quelle: Stuttgarter Nachrichten


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