Bundesliga

Nach oben - aber nicht um jeden Preis



"Der neue VfB - Steilpass in die Zukunft", lautete das Motto beim Treffpunkt Foyer unserer Zeitung. Sportdirektor Fredi Bobic und Stürmer Martin Harnik diskutierten vor 650 Gästen die Perspektiven der Roten und machten vor allem eines deutlich: Dass vieles möglich ist - aber überhaupt nichts sicher.

Wenn es um die Zukunft geht, dann ist es ja nicht das Schlechteste, in selbige zu schauen. Einen Blick wagen, ganz ohne Glaskugel, nur den Gedanken freien Lauf lassen. Also: "Wenn wir in zwei Jahren wieder eine solche Veranstaltung organisieren", fragt Sport-Ressortleiter Gunter Barner, "welche Schlagzeile dürfen wir dann hier an die Wand werfen?"

Fredi Bobic legt die Hand ans Kinn und beginnt zu sinnieren, gut eineinhalb Meter weiter links ist einer schneller als der Sportdirektor des VfB Stuttgart - und beweist noch ein letztes Mal an diesem Abend seine Schlagfertigkeit. Martin Harnik, der Stürmer der Roten, setzt sein schelmisches Grinsen auf, schaut listig in die Runde - und formuliert die Headline: "Martin Harnik endlich produktiv."

Der diplomatische Fredi Bobic

Ein Witz, den der österreichische Nationalspieler nicht nur reißt, weil er gern scherzt. Sondern weil er ganz gut passt zu den Themen dieses Abends, die einerseits ihn, den Kicker und seine Effizienz betrafen. Zum anderen, und vor allem, aber auch die Perspektiven eines Clubs, der in den vergangenen Jahren einen Stammplatz in der Achterbahn hatte - den einen oder anderen Looping inklusive. "Beim VfB", sagt Fredi Bobic nachdenklich, "ist so viel passiert."

Im Grunde ist es ja genau diese Tatsache, die überhaupt dazu führte, dass der Mann, der in Cannstatt aufwuchs, für die Blauen und die Roten stürmte, dann die Fußballwelt erkundete und auch Europameister wurde, zurückgekehrt ist. "Eine Ehre", sei der Job als Sportdirektor, sagt Bobic, aber auch "eine große Verantwortung". Das spürt er jeden Tag - und auch an diesem Abend im Foyer der L-Bank in der Stuttgarter City, wo sich der frühere Nationalstürmer austoben darf. Aber was heißt schon austoben?

Der VfB, damit hält Fredi Bobic vor den rund 650 Gästen nicht hinterm Berg, steckt in gewissen Zwängen. Und Bobic muss sie lösen, so gut es geht. Muss eine Kunst beherrschen, die widersprüchlicher nicht sein könnte. Bobic muss Gas geben, vorankommen und weiterentwickeln - mit dem Fuß auf der Bremse.

Wer genau hinschaut, sieht ihm diesen Zwiespalt an. Merkt, dass der Bobic von heute nicht mehr so sein kann wie der Bobic von früher. Der Emotionale, der Aufbrausende, der sich von seinen Gefühlen hat lenken lassen. Nun sitzt da einer, der das diplomatische Geschick erlernt hat und es praktiziert, wann immer es notwendig ist - also fast immer.

Die Mannschaft nach vorne bringen soll er, möglichst schnell, am besten in die Spitzengruppe der Liga. Auch Bobic selbst will die Gunst der Stunde nutzen. Der VfB, der vergangene Saison nur knapp dem Abstieg entrann, rangiert auf Platz vier, der Sportdirektor will sich "oben festklammern", am liebsten auch am Ende der Runde "im oberen Drittel" stehen. Was bedeuten würde: Platz sechs, internationales Geschäft. Aber andererseits sagt er auch: "Wir bauen keine Traumschlösser. Wir müssen die Ansprüche runterschrauben." Der Zwänge wegen.

"Wir müssen wirtschaftlich einiges aufarbeiten", sagt Bobic und spricht unangenehme Wahrheiten an: "Wir müssen einige Löcher schließen." Also führt er, ja führt der ganze Verein, ein Leben im Zwiespalt. Nicht nur beim Thema Finanzen.

Die Torhüterfrage, zum Beispiel, erhitzt die Gemüter. Sven Ulreich "hält phänomenal", findet Bobic und erntet Kopfnicken im Publikum. Im Winter aber kehrt Bernd Leno aus Leverkusen zurück. Bobic ruft den Konkurrenzkampf aus, weiß aber auch, dass es "selten gut funktioniert", wenn sich zwei gleichstarke Torhüter kabbeln.

Harnik will produktiver werden

Die jungen Spieler - noch so ein Thema. Der Trainer, Bruno Labbadia, soll sie einbauen. Sagen die Fans, sagen manche Medien - und sagt im Grunde auch Fredi Bobic. Aber auch hier zuckt der Gasfuß eher Richtung Bremspedal. "Geduld" fordert er ein, "wir müssen ihnen Zeit geben", mahnt er, und "ganz genau hinschauen" müsse man, wen man schon eintauchen lassen kann ins Stahlbad Bundesliga. Wer nicht nur spielerisches Talent mitbringt, sondern auch die mentale Verfassung. Wer schon so weit ist wie ein Martin Harnik.

Es sind nicht die Hauptthemen, mit denen sich ein Stürmer beschäftigt, wenn es um Finanzen und Zukunftsperspektiven geht. "Ich versuche, das Sportliche abzudecken", sagt der 24 Jahre alte Angreifer. Andererseits ist Harnik keiner, der gedankenverloren durchs Fußballerleben stolpert. Er ist einer, der reflektiert. Seine Lage, die des Vereins, das Leben an sich. So sorgt er an der Seite von Bobic und Sport-Ressortleiter Barner nicht nur für erheiternde Momente, nicht nur für gute Laune und viele Lacher. Harnik kann auch ernst sein und beschreibt den mitunter steinigen Weg vom Talent zum gestandenen Profi. "Das ist nicht einfach", sagt der in Hamburg aufgewachsene Österreicher, der sich einst bei Werder Bremen nicht durchsetzen konnte, über den Umweg Fortuna Düsseldorf beim VfB aber den Durchbruch geschafft hat. Nun kennt er die Liga, er kennt die Roten, und er sagt über seinen Verein: "Ich glaube, der VfB geht den richtigen Weg."

Übersetzt würde das heißen: Auf die Jungen bauen, sie aber nicht verheizen. Vorankommen, aber nicht um jeden Preis. Und: kontinuierlich arbeiten. An Fredi Bobic soll all das nicht scheitern. Locker "noch zehn Jahre" kann er sich vorstellen, als VfB-Sportdirektor zu arbeiten. Mit Labbadia will er ein Team formen, und die vielen Veränderungen, die er angestoßen hat, sollen greifen. In der Zukunft - weil es anders gar nicht funktioniert. Von Aktionismus hält der 39-Jährige nämlich so viel wie von einem Überfall der L-Bank, um die Kasse zu füllen. Und so ist dieser Abend, der die Zukunft des VfB beschreiben soll, einer mit vielen Ansätzen, mit logischen Ideen und verheißungsvollen Perspektiven. Und trotz aller Zwiespälte einer mit klaren Zielen.

Martin Harnik jedenfalls will produktiver werden. Für den VfB gilt nichts anderes.

Quelle: Stuttgarter Nachrichten


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