Bis zur Winterpause will der Hamburger SV den Abstand auf die Nichtabstiegsplätze verkürzen. Andernfalls muss die Planung für die zweite Liga beginnen.

Es ist ziemlich lange her, dass ich nach einem Spiel auf Seiten des Hamburger SV so viele strahlende und erleichterte Gesichter gesehen habe. Wenn man das Ergebnis nicht kennen würde, hätte man sogar den Eindruck gewinnen können, als wären die Rothosen gerade als Sieger vom Platz gegangen. In Wahrheit war die TSG Hoffenheim dem Dreier zwar ein ganzes Stück näher als der HSV, der von Glück sprechen konnte, dass die Stürmer Wagner und Kramaric nicht ihren besten Tag erwischt hatten. Positiv stimmten Einstellung und Ausstrahlung dennoch. Das sah sogar der Gegner so.

"Das war die schlechteste Leistung von uns in dieser Saison. Wir haben gegen den Letzten gespielt, da muss es unser Anspruch sein, zu gewinnen. Allerdings muss ich sagen, dass der HSV es super gemacht hat. Sie haben trotz ihrer Situation sehr mutig gespielt. Respekt", sagte Sandro Wagner, Torschütze zum 1:1, nach Abpfiff in der Mixed Zone. Warme und wohltuende Worte, die aber nicht darüber hinwegtäuschen dürfen, dass der HSV, wenn es halbwegs normal läuft, mit 2:4 oder 2:5 nach Hause fährt, weil defensiv im Moment sehr wenig zueinander passt. Nichtsdestotrotz hat Markus Gisdols mutiges, weil offensives Verteidigen zumindest für einen Punkt gesorgt, der wichtig für die Psyche ist.

HSV spielte nicht wie ein Tabellenletzter

Und in der Tat wirkt es nach diesem 2:2 bei der ungeschlagenen TSG Hoffenheim so, als sei das Momentum vor dem Nordderby gegen Werder Bremen auf Hamburger Seite. Bis zur Winterpause sollen es laut Aufsichtsratschef Karl Gernandt ja noch mindestens zwölf Punkte werden, wie wir in der vergangenen Woche aus einem vertraulichen Hintergrundgespräch zwischen großen Medienmachern der Stadt und Vertretern des HSV, darunter auch e.V.-Präsident Jens Meier und die beiden Presseverantwortlichen Till Müller und Christian Pletz, in dem Gernandt um eine Schonfrist bis zum Derby bat, erfahren durften.

Wird dieses Minimalziel verfehlt, muss der HSV wohl alle Kräfte zur Planung der ersten Zweitligasaison der Geschichte bündeln, so Gernandt sinngemäß. Diese Ansage versetzt den gesamten HSV in eine ziemlich absurde Situation. Denn Kritiker der Vereinsführung sind quasi gezwungen, auf ein Scheitern der Mannschaft zu hoffen, da sportlicher Erfolg das Überleben von Vereinsboss Dietmar Beiersdorfer sichern würde. Und dass es mit ihm langfristig nicht mehr weiter gehen kann, ist mittlerweile eine sehr verbreitete Meinung. Weitere Niederlagen hingegen würden die Chance auf den Klassenerhalt zunichte machen. Wenn man es gut mit dem HSV meint, kann man also nicht auf Niederlagen hoffen. Auf Siege aber auch nicht.

Warum Beiersdorfers Überleben überhaupt an kurzfristige sportliche Ergebnisse gekoppelt ist, verstehe ich allerdings nicht. Denn der Aufsichtsrat müsste einzig die Gesamtentwicklung der letzten zweieinhalb Jahre in seine Bewertung und spätere Entscheidung einfließen lassen. Und genau an dieser Stelle wird klar, welch großen Anteil die Kontrolleure beziehungsweise der Chefkontrolleur Gernandt an der Dauerkrise haben. Das dürfte auch erklären, warum es in den letzten zwei, drei Wochen zu einigen Veränderungen in der Führungsetage gekommen ist. Gernandt will Beiersdorfer offenbar den Rücken stärken und initiiert deshalb eine Erneuerung seines näheren Umfeldes. Fakt ist, dass Beiersdorfer von Anfang an nicht mit Mediendirektor Jörn Wolf und Marketingvorstand Joachim Hilke zusammenarbeiten wollte, die beide kürzlich ihren Ausstieg verkündeten.

Änderungen in der Führungsetage

Letzterer ist nach mittlerweile fünf Jahren beim HSV erstmals öffentlich als eine Art Chef-Intrigant und Strippenzieher enttarnt worden - ausgerechnet von den Medien, zu denen er immer ein sehr enges Vertrauensverhältnis gepflegt hat. Die Bild-Zeitung berichtete, Hilke habe innerhalb des Vereins Stimmung gegen Beiersdorfer und Finanzchef Frank Wettstein gemacht, woraufhin diese sich beim Aufsichtsrat beschwerten. Beiersdorfer und Wettstein waren jedoch nicht Hilkes erste, sondern seine letzten Opfer. Schon bei der Demontage von Frank Arnesen vor mehreren Jahren hat Hilke eine äußerst zentrale Rolle eingenommen, um Klaus-Michael Kühnes Wunsch, Rafael van der Vaart zu verpflichten, möglich zu machen.

Seine Illoyalität gegenüber Vorstandskollegen dokumentierte er zudem auf der Mitgliederversammlung im Januar 2014, als er sich deutlich in Richtung HSVPlus, dem Ausgliederungskonzept, das er von Innen heraus antrieb, bekannte, während der damalige Vorstandsvorsitzende Carl-Edgar Jarchow völlig überrascht war von diesem sehr gewagten Vorstoß. Wenige Monate später, als der damalige Aufsichtsrat mit Felix Magath verhandelte, hätte es ihn sogar den Kopf gekostet. Denn eine von Magaths Bedingungen war, nicht mit Hilke zusammenarbeiten zu wollen. In der Szene hatte sich sein Stil nämlich längst herum gesprochen. Gut, dass dieses Kapitel beim HSV bald endet. Schlecht, dass es so lange gedauert hat.

HSV stand zwei Mal vor dem Konkurs

Wie es nach den jüngsten Veränderungen weiter geht, ist bisher nicht bekannt. Seit Tagen jedoch wabert um den HSV herum das Gerücht, dass das neue Führungsteam bereits fest und für den Fall der Fälle bereit stehen würde. Gründe für einen Austausch des Führungsteams gäbe es genügend, einige davon lieferte Beiersdorfer in einem emotionalen Sky-Interview vor dem Spiel sogar selbst, als er davon sprach, zwei Mal den Konkurs des HSV abgewendet zu haben. Dass diese Situationen erstens nicht allein von irgendwelchen Vorgängern verursacht worden sind, sondern ganz besonders vom aktuellen Vorstand, beweisen doch die exorbitanten Ausgaben der letzten zweieinhalb Jahre, die in keinem Verhältnis zu den Einnahmen und zum sportlichen Abschneiden stehen.

Und zweitens ist es nicht allein das Verdienst des Vorstandes, dass der HSV vor dem Konkurs bewahrt wurde, sondern in erster Linie Klaus-Michael Kühne zu verdanken, ohne den es höchstwahrscheinlich extrem düster ausgesehen hätte. Finanzielle Umstrukturierungsmaßnahmen wie das Platzieren einer neuen Anleihe in Höhe von etwa 40 Millionen Euro, die Probleme nur in die Zukunft verschiebt, sie aber nicht dauerhaft löst - das konnte tatsächlich auch Beiersdorfers Vorgänger Carl-Edgar Jarchow schon. Insofern betrachte ich diese Verteidigungsrede an dieser Stelle als ein Eigentor, stelle aber gleichzeitig fest, dass mir ein Beiersdorfer, der provoziert wird und sich aufregt, deutlich besser gefällt, als ein nachdenklicher und defensiver Vorstandsvorsitzender.

https://www.goal.com/de/news/1025/kolumne/2016/11/22/29763142/jovanovs-hsv-das-12-punkte-ultimatum


Was ist das für 1 Deppenhaufen?


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