„Abstieg könnte große Chance für einen Neustart sein“

Der HSV steht vor dem Abstieg in die Zweite Liga. Im Interview spricht Unternehmensberater wie Utz Brömmekamp über Fußball, Geld, starke Männer, die der HSV nun dringend braucht und was zu tun ist.

Wer wissen will, wie dramatisch schlecht es um den Hamburger SV steht, muss entweder auf die Tabelle oder an die Börse schauen. Platz 17 in der Liga, das ist nicht mal mehr ungewöhnlich für einen Klub, der seit Ende November 2017 nicht mehr gewonnen hat. Der Wert der HSV-Aktie rauschte in derselben Zeit ebenfalls in den Keller: Am Montag war ein Anteil nur noch 73 Euro wert – so wenig wie noch nie. Der HSV ist nicht nur auf dem Platz ein Sanierungsfall.

Mit Bernd Hoffmann als neu gewähltem Vereinsvorsitzenden soll nun ein Fußballmanager den Klub wieder zukunftsfähig machen. In der freien Wirtschaft übernehmen diesen Job häufig externe Unternehmensberater als Sanierungsgeschäftsführer. Utz Brömmekamp, 58, ist so einer. Er ist seit 25 Jahren im Sanierungs- und Insolvenzgeschäft tätig und hat in den Jahren 2012 bis 2014 auch an der Rettung des MSV Duisburg mitgewirkt. Seit drei Jahren gehört er dem Aufsichtsrat des aktuellen Zweitligisten an.

WELT: Können Sie aus der Ferne beurteilen, wie Sie dem HSV als Unternehmensberater helfen könnten?


Utz Brömmekamp: Mir ist die Lage des Vereins ein Rätsel: Er hat einen finanzstarken Investor, einen nominal guten Kader mit gestandenen Spielern und sehr treue Fans. Ich müsste einen tieferen Einblick in den Verein bekommen, um ein Urteil fällen zu können. Alles andere wäre unseriös.

WELT: Sie kennen sich mit Krisen in mittelständischen Unternehmen, aber auch im Fußball aus. Wie entstehen diese zumeist?

Brömmekamp: Krisen gehen oftmals auf Managementfehler zurück, die in aller Regel gar nicht vorsätzlich erfolgen. Im Fußball ist häufig ein Kompetenzgerangel zwischen Gremienvertretern zu beobachten. Es muss nicht nur zwischen Sportdirektor, Trainer und Mannschaft passen, sondern auch zwischen Vorstand, Aufsichtsrat und Gesellschaftern. Eine schlechte Atmosphäre, Druck und damit oft Angst statt Selbstvertrauen gehen nicht nur in einem Unternehmen, sondern auch in einem Verein an keinem Mitarbeiter vorbei und können auch eine Mannschaft enorm lähmen. Dazu kommt, dass es im Fußball immer wieder ein Phänomen gibt: unerklärliche Erfolgs- oder eben auch Misserfolgsspiralen auf dem Rasen, die sich schnell drehen und oft nur schwer zu stoppen sind.

WELT: Man hat das Gefühl, dass Spieler, Trainer und Funktionäre, sobald sie den HSV verlassen haben, wieder zu ihrer alten Stärke zurückkehren. Was muss sich also ändern?

Brömmekamp: Wir Unternehmensberater machen als Erstes eine Bestandsaufnahme des Unternehmens. Wir schreiben anschließend ein Konzept, formulieren Aufgaben und Maßnahmen und helfen dem Unternehmen oder dem Verein dabei, diese umzusetzen. Beim Fußball geht es meist um Kompetenzüberschreitungen. Es muss klare Strukturen geben und klar abgesteckte Aufgabenbereiche, an die sich jeder Einzelne hält.

WELT: Können Sie ein Beispiel nennen?

Brömmekamp: Für den sportlichen Bereich ist etwa die sportliche Leitung verantwortlich und kann auch nur dann für ihre Entscheidungen geradestehen, wenn diese unbeeinflusst von Vereinsgremien oder Sponsoren getroffen werden können. Passiert das nicht, stiftet dies Unruhe und vermittelt nach außen kein geschlossenes Bild. In einer Spielbetriebsgesellschaft hat zunächst deren Vorstand das Sagen. Ihm untersteht auch die sportliche Leitung. (Anm. der Redaktion: Im Fall vom HSV wäre das Heribert Bruchhagen als Vorsitzender der HSV AG.) Entscheidend ist letztlich aber der Wille des oder der Gesellschafter und deren Vorstand als gesetzliche Vertretung. (Anm. der Redaktion: Dies ist beim HSV Bernd Hoffmann als der soeben gewählte Vorsitzende des HSV e.V., dem Gesellschafter der AG.)

WELT: Was ist beim Sport gänzlich anders als in einem „normalen“ Unternehmen?

Brömmekamp: Die Mitglieder bestimmen die Ausrichtung des Vereins. Die Emotionen, wie sie ein Fan an jedem Samstag aufs Neue auf der Tribüne er- und durchlebt, sind mit dem, was ein Autokäufer oder ein Kunde im Supermarkt fühlt, überhaupt nicht zu vergleichen. Im Fußball geht es um Herz und tiefe Gefühle, die ein Leben lang da sind.

WELT: Bernd Hoffmann ist nach seiner knappen Wahl zum Vereinsvorsitzenden nun der Mann für die Erneuerung. Kann er das leisten?

Brömmekamp: Aus meiner fernen Sicht kann dem HSV jetzt nur ein starker Mann helfen, eine starke Führungspersönlichkeit. Ihm müssen alle zu folgen bereit sein oder aber gehen. Bernd Hoffmann ist diese Rolle zuzutrauen; die Mitglieder haben sich für ihn entschieden.

WELT: Was kann der HSV in dieser Phase falsch machen?

Brömmekamp: Die Frage ist eine andere: Was muss der Verein richtig machen? Die Ruhe bewahren, an einem Strang ziehen und mit allen, aber auch wirklich allen für das Ziel Klassenerhalt arbeiten. Dass der Verein ein Szenario auch für die Zweite Bundesliga erarbeitet und die Lizenz dafür beantragt hat, ist normal, auch und gerade weil sportlich noch nichts entschieden ist.

WELT: Wäre ein Abstieg betriebswirtschaftlich eine Katastrophe?

Brömmekamp: Fakt ist: Man kann gar nicht so schnell sparen, wie man Fernsehgelder verliert. Der MSV hat 2014 nach dem Abstieg in die Dritte Liga auf einen Schlag mehr als vier Millionen Euro eingebüßt und nur noch 700.000 statt fünf Millionen Euro erhalten. In der Bundesliga bekommt ein Klub aktuell im Mittelwert rund 55 Millionen Euro. Da fehlt eine Menge auf dem Konto. Sportlich wäre ein Abstieg zwar auf den ersten Blick eine Katastrophe, könnte aber nach den leidvollen Erfahrungen der letzten Jahre auch eine große Chance für einen Neustart sein.

WELT: Was denken Sie: Spielen Ihr MSV und der HSV in der kommenden Saison gegeneinander?


Brömmekamp: Da ich dem HSV den Klassenerhalt wünsche, müsste der MSV dafür aufsteigen. Unser erstes Ziel bleibt aber – auch wenn die Fans natürlich träumen dürfen – die 40-Punkte-Marke und damit der Klassenerhalt, auch wenn es aktuell sportlich großartig bei uns läuft. Aber wissen Sie, was das Schöne am Fußball ist und gleichzeitig das unfassbar Komplizierte für den Unternehmensberater: Du weißt nie, was am nächsten Samstag passiert.

https://www.welt.de/regionales/hamb...sse-Chance-fuer-einen-Neustart-sein.html


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