So schlecht steht es um den HSV wirklich

Nach dem 0:0 gegen Mainz glaubt kaum noch jemand an den Klassenerhalt. Der Abstieg wäre dramatisch für den HSV. Der Etat würde radikal gekürzt. Boss Bruchhagen verrät, wie hoch die Kürzungen ausfallen.

Nein, es macht derzeit nicht besonders viel Spaß, HSV-Fan zu sein. Der chronische Dilettantismus des eigenen Teams treibt die Anhänger in den Wahnsinn. Und sie können sich das Elend nicht mal schöntrinken. Als am Samstag Mainz ins Volksparkstadion kam und sich ein 0:0 ermauerte, servierte der HSV seinen Zuschauern nur alkoholfreies Bier. Und das ist bekanntlich in jedem Stadion der Welt so beliebt wie Gegentore.

Die Veranstalter hatten die Partie nach den Pyro-Vorfällen aus dem Bremen-Spiel zur Hochsicherheitspartie erklärt. Der Zaun vor der Nordtribüne wurde erhöht, um einen Platzsturm zu verhindern. Darauf reagierten die Ultras und zogen aus Protest aus ihrem angestammten Block im Unterring in den Oberring um, wo Sitzplatzinhaber deshalb ihre Plätze nicht beziehen konnten. Rund um das Stadion wurden vorsorglich Wasserwerfer platziert, 900 Polizeibeamte sicherten die Partie.

Es blieb zunächst ruhig. Auch, weil die Mannschaft sich gegen Mainz immerhin nach Kräften bemühte. Sven Schipplock hatte schon nach fünf Minuten eine Riesenchance, nach 22 Minuten traf Hamburgs Filip Kostic die Latte, und zwei Minuten später versenkte er den Ball. Doch der Torjubel erstarb, als Schiedsrichter Markus Schmidt den Videobeweis bemühte, der eine klare Abseitsposition erkannte und den Treffer wieder einkassierte.

Wie dünn das Hamburger Nervenkostüm ist, zeigte sich in der zweiten Halbzeit. Nach einem Rempler von Leon Balogun gegen Waldschmidt, der dem Mainzer die Gelb-Rote Karte einbrachte, gab es Elfmeter für den HSV. Doch Kostic vergab auf die denkbar kläglichste Weise, sein Schuss glich eher einer Rückgabe (62.). Eine halbe Stunde in Überzahl – doch die Hamburger wussten damit nichts anzufangen. Keine klare Torchance mehr, und so besiegelte das zwölfte sieglose Spiel in Folge wohl endgültig den Abgang des sterbenskranken Liga-Dinos.

In der Geschäftsstelle wird ohnehin seit Wochen gerechnet: Was kostet uns der Abstieg? Die Zahlen, die dabei herauskommen, sind dramatisch. Der Spieleretat, der aktuell bei rund 55 Millionen Euro liegt, müsste auf 33 Millionen zusammengeschrumpft werden. Doch wie? Alle bestehenden Verträge gelten auch für die Zweite Liga, bestätigte Vorstandschef Heribert Bruchhagen WELT AM SONNTAG. Immerhin stehen mit Dennis Diekmeier und Kapitän Gotoku Sakai bereits zwei Spieler fest, die den Verein verlassen werden. Auch die Verträge von Nicolai Müller, Aaron Hunt und Lewis Holtby laufen aus und werden im Abstiegsfall wohl kaum verlängert. Für sie gibt es zwar keine Ablöse, aber immerhin kommen so fünf Gutverdiener von der Payroll.

Aus 125 wird 90 Millionen Euro Umsatz
Doch das wird nicht langen. Fakt ist: Sollten die Hamburger wirklich erstmals in ihrer Geschichte in die Zweite Liga müssen, werden weitere empfindliche Einschnitte fällig. Allein schon, weil den Verein 115 Millionen Euro Schulden drücken. Das weiß auch Bruchhagen: „Das wäre ein harter Schnitt. Der Umsatz würde von 125 auf vielleicht 90 Millionen Euro zurückgehen, die TV-Einnahmen sinken. Das sind Begleiterscheinungen, die durch Spielerverkäufe kompensiert werden müssten“, sagt er.

Alarm schlagen will er deshalb aber nicht: „Das ist anderen Absteigern in den vergangenen Jahren auch so ergangen. Es geht jedem etablierten Verein so, wenn er in so eine Situation kommt. Aber man darf nicht vergessen: Schalke ist dreimal abgestiegen, Frankfurt viermal, Köln viermal – aber die Vereine gibt es immer noch.“

Doch es gibt auch andere Beispiele. Klubs wie der 1. FC Kaiserslautern, der VfL Bochum oder Hansa Rostock haben sich nicht mehr erholt. Allein durch die sinkenden Einnahmen aus dem Fernsehtopf entsteht im Abstiegsfall eine finanzielle Lücke. „Das wäre schon erheblich, ein Verlust von 15 bis 20 Millionen Euro“, schätzt Bruchhagen, ganz genau könne man das nicht sagen: „Das würde auch davon abhängen, auf welchem Platz wir landen – und wer aufsteigen würde. Das unterliegt einer gewissen Variabilität und stünde auch im Zusammenhang mit der Fünfjahresregel.“ Auch die Zuschauer- und Sponsoreneinnahmen würden im Abstiegsfall sinken. Von Hauptsponsor Emirates kämen statt 7,5 Millionen Euro nur noch fünf. Andere Verträge mit Geldgebern sind ähnlich gestaltet.

Präsident Hoffmann will Vereinsspitze austauschen
Zudem gilt als sicher, dass es nicht nur im Spielerbereich erhebliche Veränderungen geben wird. Der frühere Vorstandsvorsitzende Bernd Hoffmann, der gerade zum Präsidenten des Vereins und anschließend auch zum stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden gewählt wurde, will bei Abstieg die Führungsriege austauschen. Bruchhagen wäre dann wohl ebenso seinen Job los wie Sportdirektor Jens Todt und Trainer Bernd Hollerbach. Gesucht wird dem Vernehmen nach ein Sportvorstand, der den sportlichen Neuaufbau des Vereins in Angriff nehmen würde. Horst Heldt und Jörg Schmadtke sind zwei Kandidaten, die im Vereinsumfeld gespielt werden.

Auch im zweiten Glied wird wohl Personal eingespart werden müssen. Mit rund 185 Vereinsmitarbeitern bewegt sich der HSV zumindest in dieser Hinsicht in der Spitzengruppe der Liga. Hinzu kommt der Betreuerstab der Mannschaft: Medizinische Abteilung, Teammanagement, Zeugwart, Köche etc. Welche Bereiche betroffen wären, darüber herrscht aber noch Unklarheit. Vieles hängt auch von Präsident Hoffmann ab. Vorstandsboss Bruchhagen hat den Mitarbeitern dem Vernehmen nach signalisiert, dass ihre Arbeitsplätze sicher seien. Würde er gehen müssen und Hoffmann, der als knallharter Sanierer gilt, die Sache in die Hand nehmen, sehe das Ganze wohl anders aus.

Dass der HSV von der Deutschen Fußball Liga (DFL) keine Lizenz erhalten könnte, glaubt Bruchhagen nicht: „Wir haben ja noch genug Substanz im Verein. Da sehe ich keine Gefahr auf den Klub zukommen.“ Die Hanseaten haben fristgerecht zwei Anträge für die erste und zweite Liga abgegeben.

https://www.welt.de/sport/fussball/...r-HSV-kurz-vor-dem-Abstieg-wirklich.html


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