Brennen für den HSV
Die Ultras zündeln gerne. Ihrem geliebten Verein ist die Hingabe zu viel. Deutlich zu viel.

Wenn eine Hamburger Boulevard-Zeitung vom "Krieg der Ultras" berichtet, dann, so könnte man vermuten, ist im Fan-Milieu ordentlich was los. Blaue Augen, blaue Flecke, und am Ende hat der Manni womöglich den Olli gehauen. Diesmal allerdings geht es um Geld. Eine Fangruppe des HSV benimmt sich seit Längerem noch ein bisschen schlechter, als es unter organisierten Fußballfans üblich ist, und weil sie das in den Stadien tut und während der Punkt- und Pokalspiele, muss der HSV dafür Strafe zahlen.

Fast 200.000 Euro für das Abbrennen von verbotenem Feuerwerk, im Fan-Jargon "Pyro" genannt, sind in den vergangenen zwei Jahren zusammengekommen, zahlbar an den Deutschen Fußballbund. Damit liegt der HSV ziemlich weit vorne in der Bundesliga. Und in der laufenden Saison könnten die Strafen noch deutlich höher ausfallen.

Nun sind solche Summen im Profifußball der Ersten Bundesliga Petitessen. Ärgerlicher ist aus Sicht des Vereins, dass seine Fans den Schaden für den HSV nicht nur in Kauf nehmen, sondern damit kokettieren. Die Strafzahlungen an den Deutschen Fußballbund verwandelt jener in Spenden für gemeinnützige Zwecke – aus Sicht der Fans ist das eine Ermutigung. "Mit dem Zünden von Pyro unterstützt ihr direkt den guten Zweck. Hübsche Pyroshows und Gutes tun", hieß es kürzlich in einer Stadion-Zeitung der HSV-Ultras.

Und der "Krieg"? Die Fan-Kultur hat ihre eigenen Normen, und diese betreffen auch Regelverstöße. Krawall als solcher wird nicht grundsätzlich abgelehnt, bestimmte Regelverletzungen im eigenen Stadion allerdings gelten aus unerfindlichen Gründen als Tabubruch. Weshalb es einige Fans des HSV tief getroffen hat, dass andere Fans kürzlich vor Anpfiff des Spiels gegen Herta BSC Berlin taten, was sie sonst auch zu tun pflegen, nämlich ein paar rote Fackeln anzünden, die ein paar düstere Wolken über das Stadion ziehen lassen.

Das eigene Stadion vollräuchern? Ein Tabu, so was macht man nicht. Pyrotechnik schmuggelt man nur auswärts rein und zündelt ordentlich, gerade bei Rivalen – das ist die einhellige Meinung im Netz.

Die Täter sind eine Gruppe, die sich die "Verschollenen" nennt, und weil Englisch cooler ist, verwenden sie es natürlich: die "Castaways". Die "Verschollenen" sind ein Überbleibsel der "Auserwählten" ("Chosen Few"), die in der Nordkurve den Ton angaben, bis der HSV seine Fußballabteilung im Sommer 2015 in eine Aktiengesellschaft ausgliederte. Die "Auserwählten" hielten die Auflösung der eigenen Gruppe für eine angemessene Reaktion, woraufhin natürlich eine Neugründung erforderlich wurde. Seither gibt es die "Verschollenen".

Es ist nicht leicht zu ergründen, was die "Verschollenen" treibt, weil sie aus verständlichen Gründen die Öffentlichkeit scheuen. Im Zweifel geht es um Kommerz im Profifußball und um Repressionsmaßnahmen gegen Fans, im Fan-Jargon: "um Politik". Für Schlagzeilen sorgten Schlägereien mit Fans des FC St. Pauli. Einige "Verschollene" veranstalteten danach einen "Sonntagsspaziergang" auf der Reeperbahn, um den Stadtrivalen zu provozieren. Die Polizei nahm die HSVler aber schnell in Gewahrsam. Und beim Auswärtsspiel gegen RB Leipzig kam es zu heftigen Zusammenstößen zwischen Ordnern und Fans, nachdem "Verschollene" wie üblich ihre bengalischen Fackeln angezündet hatten.

Daheim im eigenen Stadion allerdings machen sich die "Verschollenen" neuerdings sogar die Mühe, die eigenen Aktionen zu begründen. Zum Feuerwerk vor heimischer Kulisse entrollten sie Transparente: "Gegen willkürliche Haus- und Stadionverbote" stand auf einem, ein anderes forderte den Rücktritt des Stadion-Managers.

Auf Umwegen ließ sich dazu das Folgende in Erfahrung bringen: Die Fans fühlen sich vom HSV ungerecht behandelt, nun protestieren sie.

Der HSV fühlt sich von den eigenen Fans ungerecht behandelt

Worum geht es? Um Stadionverbote. Im Gegensatz zum Hausverbot, das nur ein einzelnes Stadion betrifft und für Allerweltsdelikte wie Bierbecherwerfen und Ins-Treppenhaus-Pinkeln verhängt wird, ist das Stadionverbot für den Fußballfan die Höchststrafe. Es gilt für alle Stadien der Liga und wird in Fällen ausgesprochen, die auch die Polizei interessieren: Schlägereien, Sachbeschädigung, verbotenes Feuerwerk.

Allerdings agieren die Täter gewöhnlich vermummt, weshalb die Ermittlungen der Polizei selten zu Anklagen führen. Der HSV aber, so klagen angeblich die "Verschollenen", nehme es mit der Beweislast weniger genau als die Staatsanwaltschaft und halte an Stadionverboten fest, auch wenn die Ermittlungsverfahren längst eingestellt seien. Das sei sehr ungerecht.

Anfrage bei Kurt Krägel, dem Stadion-Manager des HSV, dessen Rücktritt die Fans fordern: Kann es sein, dass der Verein Verbote verhängt, ohne die Schuld des Bestraften gerichtsfest beweisen zu können? Krägel widerspricht: Zum einen sei der Verein mit Stadionverboten im vergangenen Jahr sparsam umgegangen. Und zum anderen würden solche Verbote nach Freisprüchen vor Gericht oder ergebnislosen Ermittlungen umgehend aufgehoben. "Wir prüfen solche Verfahren sehr genau", sagt Krägel. Zudem habe jeder Betroffene die Chance, sich zu den Vorwürfen zu äußern, bevor ein Verbot erteilt werde.

Mit anderen Worten: Der HSV fühlt sich von den eigenen Fans ebenfalls ungerecht behandelt.

Das Feuerwerk im eigenen Stadion allerdings hat nun auch andere HSV-Fans gegen die "Verschollenen" aufgebracht, sogar Fans aus dem Ultra-Milieu. Die Anhänger der Gruppe "Poptown" gelten für Ultra-Verhältnisse als ultraumgänglich, im Fanblock auf der Tribüne stellen sie die Vorsänger. Mit ihnen könne man sogar reden, heißt es beim HSV. Nach dem Spiel gegen Hertha kritisierten viele "Poptown"-Mitglieder das Feuerwerk der "Verschollenen".

So viel zum Kern der Nachricht vom "Krieg" der Ultra-Fans. Viel ist offenbar nicht dran.

Sogar aus Sicht der "Verschollenen", denen es sonst ja nicht fernliegt, die eigenen Aktivitäten mit für Außenstehende kaum nachvollziehbaren Bedeutungen aufzuladen, ist die Formulierung "Krieg" leicht übertrieben. Bei einem zufälligen Treffen sagte ein "Verschollener" zum angeblichen Fan-Krieg: "Das entspringt dem Reich der Fantasie." Natürlich sei man im Ultra-Lager nicht immer einer Meinung. Aber: "Wir organisieren weiterhin Choreografien und Partys zusammen." Choreografien, das sind im Fan-Jargon die während der Spiele mit farbigen Fahnen, Transparenten und anderen Hilfsmitteln kollektiv produzierten Bühnenbilder auf den Tribünen der Stadien.

Tatsächlich hat sich die Lage inzwischen beruhigt, einstweilen jedenfalls. Beim vergangenen Heimspiel gegen Mönchengladbach gab es keine Vorfälle auf der Tribüne, und erstaunlicherweise blieb sogar auswärts gegen Frankfurt am Wochenende alles ruhig.

Muss man sich als Fan der Fan-Kultur womöglich Sorgen machen?

Die Gespräche mit den Ultras liefen weiter, heißt es vage aus dem Verein. Es ist die Stunde der Diplomatie, in einer Saison, in der es der HSV seit dem zweiten Spieltag nicht mehr über den 15. Tabellenplatz hinausgeschafft hat, können sich die Hamburger nicht auch noch Konflikte mit den eigenen Anhängern leisten.

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