„Der HSV leidet an Arroganz und Überheblichkeit“

Olaf Kortmann ist zwar Ehrenmitglied des HSV, aber ein großer Kritiker des Klubs. Der frühere Volleyball-Bundestrainer erklärt, warum die Hanseaten wieder nicht in die Zweite Liga absteigen werden.

Olaf Kortmann, 61, ist ein Erfolgsmensch. Als Volleyballtrainer führte er die Männer-Teams vom Hamburger SV und SC Charlottenburg sowie die Frauen-Mannschaft des USC Münster zur Deutschen Meisterschaft. Der Hamburger coachte die Nationalmannschaft und Beachvolleyball-Teams, die bei Olympischen Spielen aufschlugen. Heute beschäftigt er sich mit dem mentalen Coaching von Spitzensportlern, darunter auch Fußballer des HSV. Beim abstiegsbedrohten Bundesliga-Klub ist er seit drei Jahrzehnten auch Ehrenmitglied.

Die Welt: Herr Kortmann, können Sie sich den HSV noch anschauen?

Olaf Kortmann: Natürlich, schon weil der Trainer und das Umfeld besser sind als das, was vorher beim HSV auf dem Lohnzetteln stand.

Die Welt: Gleichwohl betitelte der Berater von Johan Djourou Trainer Markus Gisdol als „feigen Drecksack“, weil er ohne Erklärung den Spieler aus dem Kader geworfen hatte.

Kortmann: Als Trainer muss man nicht beliebt sein. Dass er jetzt Spieler aussortiert, mag von außen unfair und ungerecht erscheinen. Aber darum geht es ja nicht. Die Mannschaft muss eine verschworene Einheit sein, wo jeder bereit ist, sein letztes Hemd dem anderen zu geben. Die anderen Spieler werden dadurch noch mehr zusammenrücken. Du brauchst Bauernopfer, um die eigene Position und die der Mannschaft zu stärken. Gisdol will die Kräfte bündeln. Sein Ziel ist nun mal nicht Fairness, sondern der Klassenerhalt.

Die Welt: Als erhoffter Heilsbringer erwies sich der Trainer bislang aber noch nicht.

Kortmann: Er kann nichts dafür, was in den Jahren vorher passiert ist. Und er kam ja auch erst, als Beiersdorfer (entlassener Vorstandschef, d. Red.) die Mannschaft schon zusammengekauft hatte. Ich finde die Art und Weise, wie so eine Mannschaft zusammengestellt wird, auch nicht in Ordnung, aber man kann die jetzige Mannschaft mit der aus der vergangenen Saison nicht mehr vergleichen. Sie ist personell anders aufgestellt, deshalb gibt es in der jetzigen Mannschaft auch noch keinen roten Faden. Die gesamte Verteidigung war total schlecht eingekauft. Mit den Winterverpflichtungen von Walace und Papadopoulos hat man jetzt Defensivspieler, die dreimal so gut sind wie die, die bisher dort herumgelaufen sind.

Die Welt: Trotzdem hagelte es zuletzt drei Niederlagen, wobei das 1:2 daheim gegen Darmstadt und das 0:4 in Augsburg besonders peinlich waren.

Kortmann: Dafür gibt es auch keine Entschuldigungen, obwohl es ja einige Verletzte gibt. In diesen Spielen hatte die Mannschaft ein großes mentales Problem. Gegen Darmstadt hat Gisdol den Fehler gemacht, die Darmstädter starkzureden. Das macht man nicht, man redet seine eigenen Leute stark, aber nicht den Gegner. Außerdem hatte die Mannschaft nach mehreren guten Spielen angefangen aufzuatmen und sagte sich, wir sind ja gut, wir haben es geschafft. Dann folgt erst der Schock gegen Darmstadt und schließlich der völlige Zusammenbruch in Augsburg. Neben dem Pech, dass mit Müller und Kostić zwei wichtige Spieler in Augsburg fehlten, kam eine gewisse Überheblichkeit und Arroganz hinzu, die den Hamburgern gemein ist. Was mir auch auf den Geist geht, das dauernde Gejubel, wenn mal zwei, drei Spiele gut liefen. Mehr Bescheidenheit und Zurückhaltung täten der Mannschaft gut.

Die Welt: Vor der Saison träumten der vor fünf Monaten geschasste Vorstandschef Dietmar Beiersdorfer und Mäzen Klaus-Michael Kühne noch von einem neuen HSV, der sich auch in Europa wieder etabliert.

Kortmann: Das waren Spinnereien, das konnte keiner ernst nehmen. Es müssen sowieso in den nächsten Jahren kleinere Brötchen gebacken werden. Das muss man dem Zuschauer deutlich machen. Es kann nicht darum gehen, oben mitzuspielen, sondern es muss darum gehen, gute Jugendspieler aus unserem Jugendinternat hervorzubringen und auch gute Spieler aus dem Umfeld zu holen. Schließlich geht es auch entscheidend darum, sich endlich finanziell zu konsolidieren.

Die Welt: Der Trainer ist neu, der Sportchef ist neu, im Vorstand sitzen neue Gesichter, der Mannschaftskapitän ist neu, trotzdem fehlt es der Mannschaft an Kontinuität. Das muss Sie doch als treuer HSV-Anhänger und -Kritiker unheimlich nerven.

Kortmann: Natürlich. Jetzt müssen wir aber erst einmal sehen, dass wir die Saison einigermaßen über die Runden kriegen. Ich denke, Heribert Bruchhagen als Beiersdorf-Nachfolger macht im Hintergrund einen guten Job. Er sorgt für mehr Ruhe. Durch ihn ist der HSV auch kein Skandalverein mehr. Ein Leistungsverein ist er aber auch noch längst nicht. Ich bin gespannt, was der Trainer an neuen Spielern für die nächste Saison holt. Ob Gisdol ein Spitzentrainer für die nächsten Jahre ist, lässt sich schwer sagen. Er ist aber der beste Trainer, den der HSV in den letzten Jahren gehabt hat - fachlich, psychologisch und auch menschlich, weil er nicht beratungsresistent ist.

Die Welt: Von Herrn Kühne, der im Hintergrund mit seinen Millionen die Fäden zieht, war lange nichts zu hören. Er soll am Herz erkrankt sein?

Kortmann: Das weiß ich nicht. Ich weiß aber, dass er ein Gisdol-Fan ist, weshalb er auch stillhält, da er gesehen hat, dass, so ein Zitat von Herrn Kühne, „die Spieler, die ich geholt habe, Einfluss auf das Geschehen haben. Ein Papadopoulos, ein Walace haben die Mannschaft verstärkt.“ Ich finde, es ist ein gutes Zeichen, dass er sich in der Öffentlichkeit zurückhält.

Die Welt: Wäre es nicht gut, wenn der HSV endlich mal absteigen würde?

Kortmann: Wofür soll das gut sein? Es ist ein Irrglaube zu denken, wenn eine Mannschaft absteigt, dass sie sich konsolidieren kann. Das kann vielleicht in einer Kleinstadt passieren, aber nicht in einer großen Stadt. Der HSV hat so viele Schulden, dass er die in der Zweiten Liga niemals abtragen könnte. Ich glaube, dass mit dem jetzigen Vorstand und Trainer in der nächsten Saison andere Maßstäbe gesetzt werden können. Die haben aus den Fehlern der letzten Jahren gelernt.

Die Welt: Also steigt der HSV wieder nicht ab?

Kortmann: Wir werden es wieder schaffen. Dafür sind der Trainer und die Mannschaft zu gut. Wer bei RB Leipzig 3:0 gewinnt, geht nicht runter. Darmstadt und Ingolstadt steigen ab. In der Relegation setzt sich der Bundesligist durch, weil der einfach besser ist als jeder Drittplatzierte aus der Zweiten Liga. Ich tippe, dass Wolfsburg in die Relegation muss.


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