Jahn-Coach Brand versucht die Hessen unter Druck zu setzen

Regensburg. Wie die Rituale sich doch gleichen: „Der Jahn will neun Punkte aus den nächsten drei Partien holen“, erklärt Wehen-Wiesbadens Trainer Marc Kienle die Ausgangssituation, „denn er muss eine Serie starten, wenn die letzte Chance genutzt werden soll. Aber wir wollen dort auch erfolgreich sein und die Partie gewinnen.“ So sieht’s aus, keiner will verlieren, aber der SSV muss am Samstag, 14 Uhr, noch um einiges mehr liefern, wenn nicht schon der Osterhase das Abstiegsbrieflein liefern soll.

Den Hessen, die sich seit dem Abstieg aus der Zweiten Bundesliga 2008/9 als Geheimfavorit für den Wiederaufstieg feiern lassen, fehlen immer in den entscheidenden Momenten die nötigen Ostereier, um ganz vorne mitzuspielen. Momentan krebsen sie mit 45 Punkten als Tabellenachter sieben Punkte hinter Relegationsplatzinhaber Duisburg auf dem 8. Platz herum. Sieben Punkte Rückstand wäre für die Regensburger freilich schon ein Schritt nach vorne – fehlen dem SSV doch bereits alle Neune zum rettenden Ufer.
Symbolfigur Kotzke nicht fit

Der Gast aus dem Äpplewoi-Ländle kann bis auf einen Mann personell aus dem Vollen schöpfen – nicht dabei ist freilich gerade die Symbolfigur für die Oberpfälzer Krise: Abgang Jonatan Kotzke, als Mittelfeldkampfschwein Garant für eine damals noch einigermaßen stabile Jahn-Defensive, versucht einmal mehr, sich nach einer schweren Verletzung über Spiele in der U21 an die erste Mannschaft heranzukämpfen.

Kotzke war von allen Verlusten – Jim-Patrick Müller, Abdenour Amachaibou und Mario Neunaber – in der Post-Stratos-Ära derjenige Spieler, den Sportchef Christian Keller nach eigenem Beteuern am ehesten halten hatte wollen. Das Angebot, das er ihm unterbereitet habe, hätte aber nicht ausgereicht. Nach heutiger Sicht wäre selbst eine deutliche Aufstockung noch ein Sparmodell gewesen im Vergleich zu den Investitionen nach der Winterpause.

Sinkiewicz‘ Auferstehung

Immerhin, auch bei Jahn Regensburg lichtet sich das Lazarett: Fabian Trettenbach ist definitiv noch außen vor und bei Adli Lachheb bleibt abzuwarten, ob er seine Adduktorenverletzung bis Samstag auskurieren kann. Hoffnungsvollste Auferstehung feiert dagegen Regensburgs wichtigste Defensivstütze: „Lukas hat eine Halbzeit gegen Ried gespielt“, freut sich Jahn-Coach Christian Brand über Sinkiewicz‘ Comeback. „Er trainiert seit zwei Wochen beschwerdefrei und macht einen guten Eindruck auf mich.“

Brand sieht den großen Deutsch-Polen auf der 6, „weil er ein Spieler ist, der den Ball immer haben möchte und so viel Selbstvertrauen und Ruhe hat, konstruktiv nach vorne zu spielen“. Sinkiewicz finde im Spiel eine gute Mischung zwischen offensivem und defensivem Denken. „Der Lukas tut uns natürlich auch mit seiner Erfahrung extrem gut.“ Ebenfalls zurück ist Abwehrturm Markus Palionis, der sich wohl neben Grégory Lorenzi in die Innenverteidigung einreihen wird.
Testspielsieg bei Österreichs 6.

Zufrieden ist der Niedersachse an der Seitenlinie mit dem 2:1-Testspielsieg gegen Österreichs Erstligisten Jusko Ried, Tabellensechster der Tipico-Bundesliga. „Die Mannschaft war sehr griffig, auch bereit“, zieht Brand Erkenntnisse für den Abstiegskampf. „Sie war sehr strukturiert, vom Ablauf in den wichtigen Schaltstellen, im Mittelfeld, auch vorne, Marco Königs hat sich sehr gut präsentiert.“

Auch die Abwehr habe sich als recht stabil erwiesen, habe wenig zugelassen, und sehr aggressiv nach vorne gespielt. Dennoch stelle sich die Elf am Samstag nicht von selbst auf: „Also sowohl im Mittelfeld, als auch hinten rechts, als auch vorne links und auch vorne rechts kann sich noch eine ganze Menge ändern“, redet der Trainer die Zuhörer in der Pressekonferenz schwindelig. Kolya Pusch sehe er eher im Mittelfeld, Steininger sei sicher eine Option, „obwohl auch Patrick Lienhard gegen Ried ein sehr, sehr gutes Spiel gemacht hat“.
Sigurdsson wohl noch nicht auf der Höhe

So süffig der Mann in der neuen Lammfelljacke mit nach außen gekehrtem Fell – Wolf im Schafspelz oder umgekehrt? – ansonsten formuliert, wenn die Rede auf Hannes Sigurdsson kommt, wird sein Statement vage: „Wir haben relativ viele Spieler, er hat jetzt einige Male in der U23 gespielt, auch in Ried ungefähr 25, 30 Minuten – da muss man sehen, wie die verbleibenden Trainings laufen, da hat noch jeder die Chance, sich rein oder raus zu spielen.“

Man müsse halt schauen, in was für einer Verfassung der Spieler sei: „Hilft er uns aktuell weiter, ist er vor allem auch körperlich schon in so einem Zustand, dass ich sagen kann, o.k., das macht jetzt Sinn.“ Und das klingt dann wohl nicht so, als ob er dazu sein o.k. geben könne. „Und, klar, bei aller Not, die wir haben, auch an Sturmalternativen, muss ich 100 Prozent davon überzeugt sein, dass der Hannes uns hilft." Auch wenn eine andere Alternative, Daniel Franziskus, bei seinem U23-Einsatz was auf die Nase bekommen habe: „Aber das wird seinem fantastischen Aussehen nichts anhaben können, die ist nur angebrochen. Der braucht kein Nasenimplantat oder so was, das wird weitergehen für ihn.“
Statistik zum Brechstangen-Fußball

Dennoch, Sigurdsson habe ganz gut trainiert die Woche über, sei schmerzfrei, mehr oder weniger. „Und er ist, ja, einfach in Konkurrenz mit allen anderen Spielern und es gibt einfach keinen Spieler, dem ich einen Persilschein ausstelle.“ Das sei auch eine Frage der Fußballphilosophie: „Ja, ich glaube ehrlich gesagt nicht an diese Art Fußball, mit 90. Minute und Brechstange, irgendwo noch einen Ball hoch reinzuschlagen, dass man irgendwie noch auf Teufel komm raus, oder per Zufall einen Treffer erzielt.“ Gegen Erfurt habe man in der 90. ein Tor gemacht – und zwar spielerisch. „Ich glaube einfach eher daran, wenn man einen Plan hat, dass man konstruktiv zum Erfolg kommen kann, als dass man irgendwie den Ball reinschmettert vorne, wo ihn einer abfälscht.“

Das wäre dann selbst für Brand mal eine interessante Statistik: „Wie viele Bälle, die einfach so in den 16-Meter-Raum fliegen, führen tatsächlich zum Tor, weil irgendeiner zufällig im Weg steht?“ Gefühlt nicht die wenigsten – vor allem gegen Regensburg. Natürlich wolle auch Brand nicht in Ehren absteigen und prüfe alle Optionen, um ein Spiel gewinnen zu können: „Der Hannes Sigurdsson ist sicher eine Option, wenn man mit langen hohen Bällen spielen muss, wo er sich dann mit seiner Zweikampfstärke und seiner physischen Kraft reinwerfen kann. Dass er natürlich eine andere Verdrängung hat, als so ein Patrick Lienhard, ist ja klar.“ Das wäre klar, wenn man ihn drängen ließe.

Hypnotiseur Brand

Und dann ist Motivator Christian Brand wieder in seinem Element – wenn es um Psychologie geht, blüht der 3.-Liga-Novize so richtig auf. Betonte er bisher, jedes Spiel für sich zu sehen und keine Minute darüber hinaus – so versucht er es diesmal mit einem beachtlichen Dreisprung. Neun Punkte am Stück lautet die Vorgabe für eine Mannschaft, die selten genug einen Dreier am Stück abliefern konnte. Aber ja, drei Heimsiege von vier in der Rückrunde, dazu der Wellness-Erfolg bei den Oberösterreichern, damit kann man sich schon ein wenig stark reden.

Und schließlich, was sei denn Druck überhaupt, psychologisch gesehen? „Druck ist auch eine individuelle Wahrnehmung auf bestimmte Reize von außen oder von der Öffentlichkeit oder vom Empfinden, wie man selbst mit gewissen Situationen umgeht.“ So gesehen … Jeder habe seine individuelle Herangehensweise und: „Druck, kann man auch einfach sagen, ist eine Herausforderung, wenn man in diesem Geschäft tätig ist als Spieler, wenn man sein Hobby zum Beruf machen kann, dann sind es immer wieder neue Herausforderungen, denen man sich als Profi stellen muss.“
Nichts Schöneres als Elfmeter in der 90. Minute

Und am Samstag sei jetzt eben so ein Moment, den er selber besonders reizvoll finde: „Ich mag diese nervliche Anspannung vor solchen Ereignissen. Je größer die Herausforderung ist, desto besser finde ich’s eigentlich.“ Das versuche Brand seinen Spielern zu vermitteln. „Es gibt ja nichts Schöneres als vor 90.000 Zuschauern in der 90. Minute einen Elfmeter zu schießen“, verrät er ein eigenwilliges Hobby. „Da geht es dann nur darum, schaff‘ ich das jetzt oder schaff‘ ich das nicht und wie fühle ich mich dabei und wie fühlt sich vor allem auch der Gegner.“ Quasi Fußball-Hamlet.

Und schon ist Brand beim Gegner und der – zumindest gegen Kiel – nicht sehr erfolgreichen neuen Methode des Kontrahenten-Bashings: „Wehen Wiesbaden kommt hier her und hat Druck, weil die wissen, Regensburg hat von vier Heimspielen drei gewonnen, das ist eine Mannschaft, die um die letzte mögliche Chance kämpft und spielt, den Klassenerhalt zu erreichen.“ Darauf müssten sich die Hessen erst mal einstellen. „Die können das nicht gut. Immer, wenn’s um was geht, verlieren die, immer wenn die angreifen können, verlieren die. Also, das wird sich am Samstag nicht ändern.“
Hoffen auf ein Finale gegen Köln

Für seine Mannschaft sei das eine unheimlich große Chance, einfach darauf loszuspielen, weil sie ja gar nichts mehr zu verlieren habe. Außer die Resthoffnung auf das Wunder. „Es gibt ja nichts mehr, zu verlieren“, betont Brand noch einmal mit einem Zug ins Esoterische, „wir hoffen doch nicht mehr, wir glauben“. Und wenn wir schon bei der Religion sind: „Ich glaube, dass die Chancen steigen, wenn wir Wehen-Wiesbaden schlagen, dann nimmt die Mannschaft so viel Selbstvertrauen mit zu sagen, wir haben noch ein Heimspiel gegen Osnabrück und die Möglichkeit besteht, Osnabrück zu schlagen.“

Klar, logisch, denn der Umkehrschluss laute schließlich: „Wenn wir gegen Wehen-Wiesbaden verlieren und die anderen Mannschaften gewinnen, dann brauchen wir nicht mehr lange rumerzählen, wir müssen hier und hätten da, und könnten irgendwo, dann wird’s immer schwieriger.“ Insofern habe dieses Spiel schon eine weitreichende Bedeutung: „Ich würde das sofort unterschreiben, wenn das letzte Spiel im Jahn-Stadion gegen Fortuna Köln ein Finale wäre – wenn wir das erreichen könnten, wäre es super.“

Wenn nicht, weiß man spätestens seit dem Stadtgespräch „Neues Stadion als Allheilmittel?“, dass die Verantwortlichen auch in der Regionalliga „so richtig Lust haben, das ungeheure Potenzial“, das im Jahn schlummert, doch noch zu heben. Möglichst ohne Bruch. Es ist schon merkwürdig: Da muss der Verein von der Zweiten Liga in die – faktisch alte – Bayernliga durchgereicht werden, bis man die inneren Werte der alten Fußballdame so richtig zur Geltung bringen kann.

Quelle: oberpfalznetz.de