Jahn vermasselt fast eine 4:1-Führung in zehn Minuten

Regensburg. Ein Spiel aus dem Kuriositätenkabinett: Da dominiert der Tabellenführer das Spiel bis zur 80. Minute, dem Moment, als Stadionsprecher Christian Sauerer begeistert den Zuschauerrekord für die Regionalliga Süd (!) durchgibt: 12.689 Oberpfälzer Fußballfans sehen bis dahin ein souveränes 4:1 für den SSV Jahn. Dann stellt Regensburg die Arbeit ein, Amberg schließt bis 4:3 auf. Erstes Nervenflattern, die Amberger Bank elektrisiert – dann pfeift Schiri Michael Emmer aus Sicht der Gelb-Schwarzen in der 94. Minute viel zu früh ab.

Rudelbildung um den Schiedsrichter: Da schnuppert der FCA an der Wende und dann das dicke Ende. Sekunden zuvor konnte man FCA-Präsident Helmut Schweiger und Trainer Timo Rost beobachten, wie sie unter Strom an der Seitenlinie Aufstellung nehmen – der Club-Boss reibt sich nervös die Hände auf dem Sprung zum Spurt, um den potenziellen Schützen des erhofften Ausgleichs in seinen Armen zu erdrücken.

Moralischer Sieg

Dann ist Feierabend – für die Jahn-Fans sowieso, 18 Punkte aus 6 Spielen, da sieht man schon mal über so einen Wackler hinweg. Und nach der ersten Enttäuschung auch beim FCA-Anhang. Die Gelb-Schwarzen werden in der Nordkurve frenetisch gefeiert – für den moralischen Sieg, den Favoriten noch ins Wanken gebracht zu haben. Und auch wenn die stolze Serie von 30 unbesiegten Spielen in Folge riss – in einem Punkt blieben sich beide Mannschaften treu: 7 Tore, 3 aufs Konto der Amberger (15:11), 4 auf das der Regensburger (18:6), das festigt die Position der besten Sturmreihen.

Die Gäste aus Kanada und Indien sind schwer beeindruckt: Was für ein Stadion für die Regionalliga! Fantastische Atmosphäre, und gleich zu Beginn ein flottes Spiel: „Ich habe seit der Zweiten Liga kein Spiel mehr gesehen“, sagt Auswanderer Christian Hölderl. „Das sieht nach richtig gutem Fußball aus.“

Video-Schwächen in Theorie und Praxis

Christian Brand lässt wie angekündigt die Startformation vom Augsburg-Spiel gelten, und schon nach dem ersten gelungenen Spielzug der Gastgeber zappelt der Ball im Netz: Jann George kurbelt über die rechte Seite an, steckt auf Uwe Hesse durch – der trotz der Proteste von FCA-Keeper Matthias Götz nicht im Abseits steht und regelkonform zum 1:0 einschiebt (5.).

Ambergs Trainer hatte sich unter der Woche beim Videostudium der Regensburger viereckige Augen geholt, um die Schwächen des Tabellenführers aufzudecken: Und beinahe nutzt Oliver Gorgiev nach einem Pass von Marco Wiedmann eine Nachlässigkeit der Rot-Weißen – da kann die Nummer 5 seelenruhig durch die Jahn-Abwehr marschieren, ehe Markus Palionis Schluss macht mit lustig (8.). Die Achillessehne hat Rost in der Theorie wohl erkannt, aber in die Praxis umsetzen können seine Jungs diese Erkenntnis zu spät – offensichtlich blockiert die beeindruckende Kulisse die Gäste aus Oberpfalz Mitte zunächst doch mehr als erwartet.

Ende von Ziereis‘ Mini-Flaute

Wenn sich der SSV nicht gerade eine Blöße in der Hintermannschaft gibt, bringt er die Gästeabwehr mit schnellen, präzisen Diagonalpässen in Verlegenheit. Hein macht das Spiel schnell, Hesse übernimmt, Marvin Knoll knallt den Ball Volley an die Latte (10.). Und erneute wirbeln Hesse und Hein die Amberger Defensive durcheinander – Regensburgs Nummer 17 kann nur mit unfairen Mitteln gestoppt werden. Marvin Knolls Freistoß von rechts scheint zu weit zu segeln, Hesse bringt ihn per Kopf vom zweiten Pfosten in die Mitte und Markus Ziereis nützt die Vorlage zur Beendigung seiner Mini-Flaute – 2:0 (18.).

Es ist die Ruhe vor dem Sturm: Die schwüle Hitze lastet drückend auf den Spielern. Natürlich überlassen die Gastgeber bei diesem Spielstand gerne den Herausforderern ein wenig die Initiative. Doch Gelb-Schwarz tut sich schwer, hier selbst das Spiel zu machen. Das hoch stehende, dicht gestaffelte Mittelfeld ist kaum zu überwinden – die Pässe landen entweder beim Gegner oder wiederholt im Abseits, wie Sebastian Haucks Ausbruchsversuch (22.).

Pressing im Mittelfeld

Der Jahn beschränkt sich in dieser Phase auf Nadelstiche, bleibt aber mit Tempogegenstößen gefährlicher als die Gäste – George mit Seitenwechsel auf Hesse, der Ziereis sucht. Die 11 zieht vom 16er ab, Götz rettet zur Ecke (27.). Das Pressing im Mittelfeld behagt dem FCA gar nicht, Ballverlust, wieder bekommt Ziereis die Kugel und setzt sie knapp neben den linken Torpfosten (28.).

Im zentralen Mittelfeld versucht Kolja Pusch mit aggressivem Forechecking das Spiel an sich zu reißen, spielt George links in Szene, kein schlechter Pass, aber Ziereis kann die Kugel nicht mehr drücken. (38.). Das sieht jetzt fast schon nach Frust aus: erneuter Amberger Ballverlust, Ex-Jahn-Spieler Tobi Wiesner grätscht Oli Hein weg – erste Gelbe vor der Pause (43.).

Lange Schlangen, trockene Schnitzel

Die Pause haben sich die 22 Akteure verdient – eine Trinkpause sah Schiri Emmer nicht für nötig an, dabei haben selbst die sitzenden Fans schon vom Zuschauen eine trockene Kehle. Nichts wie zum Getränkestand. Doch wer glaubt, in Nullkommanichts ein Wasser, eine Apfelschorle oder ein Bier in Händen zu halten, täuscht sich. Lange Schlangen vor den Containern. Unmut bei den Wartenden. Und dann das: Die Anlage ist ausgefallen, es gibt nur noch Wasser. Und auch mit dem kulinarischen Angebot können sich viele Gäste nicht anfreunden – „das Schnitzel liegt trocken in der Semmel, da kann ich mich gleich wieder in die Schlange stellen, um das runterzuspülen“, sagt Matthias Müller.

Chris, der Gast aus Kanada versteht die Strategie der Catering-Firma nicht: „Man kann doch nicht mit den paar Ständen 12.000 Zuschauer versorgen – warum schicken die nicht Leute los mit Getränkebechern, dann verkaufen die das Dreifache.“ Angst vor zu hohen Personalkosten? „Ach was, dann müsste am Oktoberfest auch Selbstbedienung sein – die werden das schon durchgerechnet haben, ob sich der Service rentiert.“ Und bei den Preisen wäre der auch angebracht …

Mütchen gekühlt im VIP-Bereich

Nicht alle schaffen den Weg zurück zu ihren Plätzen vorm Wiederanpfiff – einige ganz Mutige, die versuchen ihr Mütchen im VIP-Bereich zu kühlen, werden dort rhetorisch abgewatscht. „Wenn hier jeder reinkommen wollte …“, sagt ein hoher Repräsentant des Vereins. „Dann sorgen Sie dafür, dass man auch als Normalsterblicher was zu trinken bekommt, bevor man verdurstet.“ Das Argument zieht nicht, der Vorstoß geht ins Leere.

Auf dem Platz darf mittlerweile Marc Lais seinen Einstand in Regensburg feiern – er kommt für Kevin Hoffmann ins Spiel. Fast schon eine liebgewordene Gewohnheit nach dem Seitenwechsel: Zunächst passiert nicht viel, außer dass der FCA nun etwas mutiger zur Sache geht. Kunststück, in der traditionellen Kunstpause der Regensburger. Da aber der Mut allein noch zu keinen Chancen führt, muss auch Rost handeln und seinen ersten Joker ins Spiel werfen: Für den Gelb-verwarnten Tobias Wiesner soll mit Junior Torunarigha ein veritabler Athlet für mehr Durchschlagskraft in der Amberger Offensive sorgen (58.).

Statische Jahn-Abwehr im Halbschlaf

Diese Gelbe Karte für Kolja Pusch hat sich angebahnt: Die 20 war schon in Hälfte 1 einmal übermotiviert eingestiegen – Schiri Michael Emmer hatte ihn sich nach einem Spielzug zur Seite genommen und ermahnt. Die Quittung folgt nach einem erneuten Foul (60.). Und dabei bleibt es nicht: Freistoßflanke aus 40 Metern halblinks, die statische Jahn-Abwehr im Halbschlaf, Silas Göpfert köpft unbedrängt den 2:1-Anschlusstreffer – selbst Jahn-Keeper Philipp Pentke klebt wie angewurzelt auf der Linie (61.).

Doch noch bevor sich Unmut auf den Rängen breit machen kann, schlägt der SSV massiv zurück: Hesse und Ziereis ziehen mächtig an, Ambergs Defensive bekommt noch ein Bein dazwischen, George reagiert am Schnellsten, passt die Kugel an Torwart Götz vorbei auf Ziereis, der sich heute einmal mehr als Mann am richtigen Ort zur richtigen Zeit erweist und zum 3:1 einnetzt (62.).

Ziereis mit Hattrick ohne Lupe

Vornehme Zurückhaltung hilft Amberg jetzt auch nicht weiter. Rost schickt Christian Knorr für Hauck ins Rennen (69.). Doch statt im Regensburger Kasten klingelt’s kurz darauf schon wieder bei den Gästen. Hofrath geht in einem genialen Moment links an drei Gegenspielern vorbei, umkurvt an der Grundlinie auch noch Keeper Götz und legt für – wen denn sonst? – Ziereis auf: Lupenrein hin oder her, ein Hattrick mit Pause macht genauso viele Treffer wie ohne, 4:1 (72.).

In der letzten Viertelstunde hätte es für den FCA bitter kommen können – immer wieder wirbelt Uwe Hesse durch beide Flanken der Gäste – und vergibt knapp eine höhere Führung (76.). Der eingewechselte Daniel Schöpf hat genauso die fünfte Kiste auf dem Fuß (82.) wie etwas später George (90.) oder Tiefenbrunner (91.).

Doch ausgerechnet mit der defensiven Einwechslung von Martin Tiefenbrunner (84.) wendet sich das Blatt. Erneut katastrophales Stellungsspiel nach einem Standard, die Ecke von rechts köpft Michael Plänitz unbeachtet ins rechte obere Eck – 4:2 (85.). Welche Drogen nehmen die denn? Crystal-Meth kann es nicht sein, eher schon Schlafmohn: Christian Knorr bekommt ein Freilos für den Jahn-Strafraum und verkürzt auf 3:4. Der Rest ist Geschichte.

Strahler und Leuchten falsch montiert?

Und auch diese Geschichte will noch erzählt werden: „Sehen Sie denn nicht, dass die Lampen falsch aufgehängt sind?“, fragt der technisch beschlagene Gast den Redakteur. „Welche Lampen?“ Der Lichtkritiker deutet nach oben, wo einige Strahler zum Teil die Leisten erhellen, über denen sie montiert sind. Steckt da ein tieferer Sinn dahinter? Man weiß es nicht.

„Und das und das Flutlicht ist falsch eingestellt und blendet“, deutet der aufmerksame Besucher auf zwei Masten. „Es kann ja nicht alles von Beginn an funktionieren, aber sagen Sie’s weiter, damit die Mängel abgestellt werden!“ Was hiermit geschehen ist – damit die nächsten Siege in noch strahlenderem Licht erscheinen und die Durstigen zu trinken bekommen.

Nächste Gelegenheit auf Rekordjagd zu gehen, bekommt der SSV Jahn am kommenden Samstag, 14 Uhr, beim Tabellensiebten Illertissen (8 Punkte). Mit dem siebten Sieg in Serie wäre Regensburg zwar noch Welten von den 29 Siegen in Folge entfernt, die Benfica Lissabon mit Eusébio zwischen 1971 und 1973 einfuhr – aber für 21 Punkte brauchte der Jahn in den letzten Jahren mehr als die Hinrunde.

Quelle: oberpfalznetz.de Hürgen Herda