Bescherung beim SSV Jahn: Sportchef Christian Keller und Präsident Hans Rothammer stellen zwei Tage vor Heilig Abend den drittprominentesten Trainer der Vereinsgeschichte vor: Nationalstürmer Heiko Herrlich will anders als Selbstdarsteller Mario Basler und Nationalcoach Franciszek Smuda durch akribische Kärrnerarbeit überzeugen.
Eines steht schon mal fest. Rhetorisch kann es der Mannheimer allemal mit seinem Vorgänger aufnehmen. „Das Wichtigste ist“, greift der 44-Jährige ins jugendliterarische Fach, „kennen Sie das Buch Momo? Dann kennen Sie sicher Beppo, den Straßenkehrer.“ Momo habe sich gefragt, wie der das schaffe die Straße bis zum Ende zu kehren – das sei doch total langweilig. „Und er sagt, wenn ich bis zum Schluss gucken würde, dann könnte ich nicht jeden Tag arbeiten.“

Ergo folgert der fünffache Nationalspieler: „Ich möchte Schritt für Schritt für Schritt arbeiten, ich werde versuchen, die Spieler da abzuholen, wo sie stehen, sie davon zu überzeugen, dass das Erfolg bringen kann.“ Und wenn sie das umsetzen könnten, wenn sie Schritt für Schritt „unsere Spiele annehmen“ müsse man sich nicht darum kümmern, wer Mitkonkurrent sei. „Ich glaube, das ist bekannt, da muss man nur die Tabelle anschauen.“
Abwehr gewinnt Meisterschaften
Zunächst möchte der Bundesliga-Torschützenkönig von 1995 nicht etwa in Sturm und Drang investieren, sondern die Defensive stabilisieren. „Mit 27 Gegentoren wird man nicht Meister“, stellt der Championsleague- und Weltpokalsieger von 1997 trocken fest. Denn: „Der Sturm gewinnt Spiele, die Abwehr Meisterschaften.“ Fußball, das habe er nicht nur bei seinen letzten Trainerstationen bei der U17 des FC Bayern, bei Unterhaching oder Bochum, sondern auch als Beobachter des internationalen Fußballs bei Sky gelernt, sei im Vergleich zu früher fast eine andere Sportart: „Er gleicht sich an, wie im Handball – es wird gemeinsam verteidigt und es wird gemeinsam gestürmt.“

Und wenn der 1,86-Meter-Mann „eine große Qualität“ gehabt habe, „dann war‘s die, dass ich gegen den Ball unheimlich viel gearbeitet habe und viele Balleroberungen hatte“. Und da sieht Herrlich den Wurm im Jahn-Apfel: „Das sind nach meinen Video-Erkenntnissen auch die wesentlichen Punkte, dass bei Ballverlust alle mitarbeiten und nicht nur 5, 6 Mann und 4 Mann zurückgehen und zuschauen, wie die anderen hinten verteidigen.“ Dazu komme der gesamte Katalog des modernen Fußballlehrers: „Gegenpressing, Ordnung, Abstände, Zweikampfführung, Doppeln, Vorwärtsverteidigen, Rückwärtsverteidigen – das werden die Themen sein, die wir in der Vorbereitung angehen und dann hoffe ich, dass die Mannschaft das schnell annimmt.“
Die Haltung zum Spiel
Gesucht und gefunden haben sich zwei auch in puncto Weltanschauung: der Mann, der einen Gehirntumor überwunden hat, und der Sportprofessor aus Heidelberg. „Das, was Christian vorher gesagt hat: Die Haltung zum Spiel, da seh‘ ich ein Hauptproblem.“ Viele Einzelgespräche würden nötig sein, um das richtig zu justieren: „Ich denke, dass die Spieler vielleicht zu den Spielen fahren und sich denken, jetzt mache ich ein schönes Tor oder jetzt mache ich einen schönen Pass, eine schöne Dribblingbewegung und spiele einen aus – aber wenige, so wie ich die Spiele gesehen habe, fahren zum Spiel und sind bereit, für den Nebenmann erst einmal die Räume zuzulaufen, den Ball zu erobern.“

In Schweinfurt, wo der Kurpfälzer bemerkenswerter Weise bereits vor Ort Erfahrungen sammelte, habe er kaum feststellen können: „Wer spielt da gegen den Abstieg und wer um den Aufstieg?“ Als also diese Defezite zumindest in der Kommunikation nach außen noch keine Rolle spielten, saß da bereits ein potenzieller Nachfolger auf der Tribüne, von Fußballmanager und Herrlich-Mentor Michael Meier auf die baldige Vakanz aufmerksam gemacht, und analysierte gnadenlos das angeknackste System Brand.
Neue Euphorie
Und auch Christian Keller, der sich über die ersten zarten Erfolge des geschassten Vorgängers freuen darf, hat sich trotz öffentlich demonstrierter Schwermut ob der rasch empfundenen Seelenverwandschaft bemerkenswert schnell zu neuer Euphorie aufgeschwungen. Warum es gerade Heiko Herrlich geworden sei? „Fokus, Haltung und Gemeinschaft, das sind, glaube ich, alles Dinge, für die Heiko Herrlich steht – in seiner Vergangenheit, als Trainer auch, aber auch als Spieler und Person.“ Und deshalb die Entscheidung für Heiko Herrlich: „Und wir waren froh, als er dann gesagt hat, er will das machen, weil das ist das Wichtigste.“

Bemerkenswert freilich auch, dass der Inhaber der DFB-Trainerlizenz, der seine zweite Karriere als A-Jugend-Trainer bei Borussia Dortmund und als U-17-Auswahltrainer beim DFB begann, bei seinen Beobachtungen keinen Kaderoptimierungsbedarf konstatierte: „Ich bin in die Gespräche reingegangen, dass wir mit dem Kader in die Rückrunde gehen und so möchte ich arbeiten.“ Klar, gegen eine Verbreiterung sei nichts einzuwenden, sollten die Spieler nicht bald gesund werden.
Verbreitern und verbessern
Christian Keller aber bemühte sich doch, hier keine rhetoroische Lücke zwischen ihm und seinem neuen Hoffnungsträger aufkommen zu lassen: „Das war ja auch in der Aussage drin, dass wir uns verbreitern wollen, wenn sich die Gelegenheit ergibt.“ Die Positionen, wo, seien auch beschrieben worden: „Vorne, in der Mitte und hinten“, muss der Sportchef lachen, „also in allen Mannschaftsteilen gilt es, uns zu zu verbreitern und zu verbessern.“

Bei der SpVgg Unterhaching, aber auch beim VfL Bochum hat man dem Mann, der sich als guten Indianer bezeichnet – „ich war nie ein Häuptling“ – einen rauen Ton nachgesagt. Was der Feingeist mitnichten dementiert: „Der Ton bleibt rau, wenn die Leistungsziele nicht erreicht werden können“, sagt er wie selbstverständlich. „Christoph Daum hat einmal gesagt, ich bin als Trainer jeden Tag dafür da, die Spieler aus der Komfortzone rauszuholen.“
Gegen das Modell „erfahrener harter Hund“
Er sei selbst lange genug Spieler gewesen, um zu wissen, „dass man‘s gerne lieber bequem hat“. Vielleicht auch ein Grund dafür, dass sich Keller, der sich mit dem Kandidaten bereits beschnupperte, bevor er ihn zum Assessment-Center in die Gremien brachte, mit seiner Position auch jene überzeugte, die eher auf ein Modell „Werner Lorant – erfahrener harter Hund“ setzen wollten.

Hart aber fair könnte man den neuen herrlichen Stil an der Seitenlinie bewerten: „Das Trainerteam kann den Ball für die Spieler nicht ins Tor schießen, aber wir werden alles tun, um die Tür zu öffnen.“ Gelernt habe er von allen Trainern, aber besonders beeindruckt habe ihn Otmar Hitzfeld – „letzendlich auch die erfolgreichste Zeit bei Dortmund“. Dessen wichtigste Eigenschaft: „Dass er dem Spieler immer das Gefühl gegeben hat, du bist wichtig – Respekt.“
Hitzfelds immer gleiches Gesicht
Was er ihm hoch angerechnet habe: „Sein Gesicht war immer gleich, ob Sieg oder Niederlage, er war immer respektvoll gegenüber den Spielern, den Journalisten, er ist nie abgehoben.“ Selbst als Dortmund die Championsleague gewonnen habe, „musst du bei Siegesfeiern schon eher gucken, dass du ihn von ganz hinten nach vorne holst, damit ihn auch jemand sieht.“ Und im Misserfolg habe er sich nie verdrückt oder versucht, die Schuld auf andere zu schieben.

Das also sind die Rollenvorbilder, die Werkzeuge und taktischen Vorgaben, mit denen der neue Trainer die Mannschaft zurück in die Spur bringen möchte – mit einem Vertrag bis zum Saisonende, der sich im Falle des Aufstiegs (Meister plus Relegation) automatisch verlängert: „Ich bin mir der hohen Erwartungshaltung bewusst“, sagt er nüchtern. „Wenn wir diese Arbeit positiv gestalten, haben wir eine große Chance, bis zum Schluss um den Aufstieg zu spielen.“ Ziel sei, und das müsse auch für jeden hier so sein: „Wenn man so ein Stadion hat, so ein Schmuckkästchen, dass man in die Dritte Liga will, und dafür werden wir alles tun.“
Humor Marke Herrlich
Ganz Indianer nicht etwa mit einem mitbegrachten Expertenteam, sondern mit dem bestehenden Trainerstamm. Humor Marke Herrlich: „Und ich hab‘ nochmal alles durchgeschaut – beim DFB gibt es nirgends etwas, wo drinsteht, dass es nicht mehr zu schaffen ist, in dieser Saison in die Dritte Liga aufzusteigen.“ Eine Haltung, die auch Vorstandsboss Rothammer befriedigt: „Wir waren uns alle einig, ohne dass wir groß darüber nachdenken mussten, nach dem Vorstellungsgespräch und der Präsentation, dass Heiko Herrlich der richtige Mann für uns ist.“

Eine Entscheidung also, die quer durch alle Gremien mitgetragen worden sei. „Im Guten – im Bösen wird‘s wahrscheinlich nicht mehr gebe, hoffe ich“, lacht Rothammer skeptische Gedanken im Ansatz weg. Nur Christian Keller, der Querdenker im Jahn-Tross, will noch nicht ganz auf der Euphoriewelle abheben: „Die Weihnachtszeit ist ja auch die besinnliche Zeit.“ Da solle man mal über zwei Dinge nachdenken: „Zum einen, wir wollen aufsteigen, das ist ganz klar, das war von Anfang an das Ziel.“
„Dann probieren wir‘s nächstes Mal wieder“
Aber es sei noch keiner Meister geworden, nur weil er dauernd gesagt habe, er möchte es werden. Vor dem Ergebnisziel müssten ein paar Leistungsziele realisiert werden. „Und dann pfeift der Scheidsrichter das Spiel an, und dann spielt der Zufall immer noch eine große Rolle – und du musst einfach das Momentum auf deine Seite zwingen.“

Man ahnt es: Dafür werde man alles tun. „Wenn es aber nicht reicht, dann sage ich auch jedem hier drinnen, dann wird in der Saison 16/17 auch wieder Fußball gespielt beim Jahn, auch in diesem Stadion.“ Und jetzt kommt‘s: „Und wenn‘s nicht reicht, dann probieren wir‘s nächstes Mal wieder und wenn‘s dann nicht reicht, probieren wir‘s nochmal.“ Weil das auch eine Haltung sei. „Und Haltung war mein erster Punkt.“

Quelle: onetz.de Jürgen Herda

Zuletzt bearbeitet von laufwunder; 26/12/2015 12:11.