VfB tritt auf der Stelle

Die Macht der Außerirdischen

Es kommt nicht häufig vor, dass eine Bundesliga-Mannschaft in einem Auswärtsspiel nach 50 Minuten mit 3:0 führt. Und es geschieht eher selten, dass dieselbe Elf am Ende froh sein muss, nicht noch verloren zu haben. Was ist da schiefgelaufen?

Zum Schluss standen elf Fragezeichen auf dem Feld, mit staunenden Gesichtern und Kommentaren, die so kleinlaut waren, als hätten sie einen Überfall von Außerirdischen zu erklären. Aber im Fritz-Walter-Stadion war keine fliegende Untertasse gelandet. Und der VfB Stuttgart hatte dort nichts erlebt, was andere Mannschaften nicht auch schon durchlitten haben. Dort herrschte nur das, was Christian Gentner "eine spezielle Atmosphäre" nannte.

Die Roten hatten eine Stunde lang ordentlich Fußball gespielt. Und weil sie sich bis dahin durch Treffer von Arthur Boka (19.), Cacau (32.) und Christian Gentner (50., Foulelfmeter) eines komfortablen Vorsprungs erfreuen durften, machten sie im Gefühl des sicheren Erfolges das, wovor sie Trainer und Manager so leidenschaftlich gewarnt hatten: Sie schalteten ihre Motoren auf die nächstniedrige Drehzahl.

Nach acht Spielen in vier Wochen - in den Beinen - und einem 6:0 gegen Werder Bremen - im Kopf - mag das menschlich sogar verständlich sein. Aber wenn es in der Bundesliga eine Mannschaft gibt, die keine Rücksicht nimmt auf das Ruhebedürfnis ihres Gegners, dann ist es der 1. FC Kaiserslautern. "Ich habe ihnen erklärt, was hier alles passieren kann", sagte Trainer Jens Keller mit hochgezogenen Schultern, "aber sie haben es mir offensichtlich nicht geglaubt." Fredi Bobic, der Manager, malte mit den Händen ein Ausrufezeichen in die Luft: "Jetzt wissen sie es!"

Plötzlich bebt der Betze

So war das schon immer auf dem Hügel am Rande der Stadt, den sie in Kaiserslautern ein wenig prahlerisch den Betzenberg nennen. Wer auf dem Betze das Trikot der Roten Teufel tragen darf, der ist beseelt von der unerschütterlichen Überzeugung, dass man an das Wunder nur glauben muss, um es zu schaffen. "Es wäre gelogen zu behaupten, ich hätte nach dem 3:0 für den VfB noch an die Möglichkeit eines Sieges gedacht", gestand der ehemalige VfB-Spieler Christian Tiffert. Erst als die Mannschaft und die FCK-Fans spürten, dass sich der Gegner seiner Sache schon zu sicher war, lag der Ball plötzlich im Netz von VfB-Torhüter Sven Ulreich. Der bis dahin starke Georg Niedermeier unterschätzte eine Flanke, der für den jungen Patrick Funk eingewechselte Khalid Boulahrouz rückte im Tempo einer Wanderdüne ein - Ilian Micanski nutzte die Gelegenheit zum 1:3 (58.) Der Betze bebte, und Christian Tiffert hatte "plötzlich das Gefühl, dass noch was gehen könnte". Er schwang sich auf zum Initiator einer furiosen Aufholjagd, die mit Treffern von Ilicevic (76.) und Abel (78.) endete und den "Mythos Betze" aber aufs Neue belebte.

"Am Ende mussten wir froh sein, dass wir nicht noch verloren haben", stöhnte Cacau nach der "gefühlten Niederlage" (Sven Ulreich), und wer sah, wie Lautern gegen Ende der Partie mit Mann und Maus und dem fanatisch jubelnden Publikum im Rücken sogar auf das 4:3 drängte, der konnte dem enttäuschten VfB-Stürmer nicht ernsthaft widersprechen. Jetzt tritt der VfB zumindest in der Tabelle auf der Stelle, die Gesichter der Matadore sind lang. "Das ist ein bescheidenes Gefühl", brummte Christian Träsch.

Es ist eben nicht so, dass die Roten nach schweren Monaten schon wieder das Selbstvertrauen und die Abgeklärtheit haben, um einem ungestüm anrennenden Gegner kühl den tödlichen Stoß zu versetzen. Das Selbstverständnis, schon gut genug zu sein, um nicht in Abstiegsgefahr zu geraten, hat über Wochen in die Irre geführt. Jetzt ist bis auf weiteres Handwerk statt Kunst angesagt.

"Du musst dir deine Erfolge wieder hart erarbeiten", sagt Fredi Bobic, "dann kehrt allmählich das Zutrauen zurück, danach Stück für Stück die spielerische Qualität." So betrachtet ist der VfB Stuttgart noch immer auf einem guten Weg. Und deshalb sind die zwei verlorenen Punkte zwar ärgerlich, aber keine Katastrophe. Es tritt nur ein, was im Kampf gegen den Abstieg eine selten widerlegte Regel ist: Der Weg auf einen Abstiegsplatz ist kurz, der Marsch zurück ins gesicherte Mittelfeld dauert nervenzerfetzend lang. Am nächsten Sonntag kommt der 1. FC Köln (15.30 Uhr) in die Mercedes-Benz-Arena. Und der Wasen muss beben.

Quelle: Stuttgarter Nachrichten


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