Diesmal leider kein Gewinn

Nach dem Glücksspielurteil des Europäischen Gerichtshofs versuchen Bundesländer, ihre Pfründen zu retten.

Nur kurzzeitig befanden sich beide Seiten in Schockstarre: die Bundesländer, die Steuerausfälle in Milliardenhöhe fürchteten. Und die privaten Anbieter von Lotterien, Sportwetten und Pokerrunden, die ihr Glück kaum fassen konnten. Grund der Erschütterung: Der Europäische Gerichtshof hat in der vergangenen Woche den Glücksspielstaatsvertrag von 2008 gekippt, mit dem sich die Länder die Hoheit über die Spieltische sicherten. Zwar könne der Staat grundsätzlich ein Monopol beanspruchen, urteilten die Richter – etwa um die Spielsucht einzudämmen. Keinesfalls aber dürfe er dann derart aggressiv für Lotto & Co werben, wie er es derzeit mache. Sollte das die Liberalisierung des Glücksspiels bedeuten? Freies Zocken für freie Bürger?

Eine Woche nach dem Urteil versuchen die Länder zu retten, was zu retten ist. Mehrere Landespolitiker fordern einen neuen Staatsvertrag, ebenso der rheinland-pfälzische Regierungschef Kurt Beck, der zugleich Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz ist. Sie wollen die Kontrolle behalten. Und so markiert das Urteil der Europarichter keineswegs das Ende des Glücksspiel-Pokers, sondern lediglich den Beginn einer neuen Runde.

»Das alte Monopol besitzt ein unglaubliches Beharrungsvermögen«, sagt Peter Reinhardt, Deutschlandchef der Onlinewettbörse Betfair. Kein Wunder: Quer über alle Spielarten geht es geht hierzulande um einen Bruttospielertrag von jährlich zehn Milliarden Euro. Diese Summe verbleibt nach Abzug der Gewinnausschüttungen von den Einsätzen. Die staatlich überwachte Zockerei ist eine begehrte Steuerquelle, allein die Lottogesellschaften bescheren den Ländern jährlich gut 1,5 Milliarden Euro.

»Wenn ich so etwas höre, werde ich richtig wütend«

Suchtprävention und Gemeinnützigkeit sind die klassischen Argumente für das Staatsmonopol. Tatsächlich werden knapp ein Viertel der Lotto-Einnahmen für wohltätige Zwecke verwendet. Dabei soll es gefälligst bleiben, fordert nun der thüringische Innenminister Peter Huber: Der Staat müsse auch künftig an Spielerträgen beteiligt werden, »um den Sport oder soziale Projekte umfassend fördern zu können«, sagte er vergangenen Donnerstag am Rande einer Landtagssitzung.

»Wenn ich so etwas höre, werde ich richtig wütend«, sagt Udo Weiß, Vorstand der Stiftung für Umwelt und Entwicklung in Köln. »Wir wollen auch Gutes tun, aber der Staat behindert uns seit Jahren.« Seit 1993 kämpft die Stiftung für ihre gemeinnützige Umweltlotterie Unsere Welt. Hinter der Idee stehen unter anderem Misereor, die Welthungerhilfe, Unicef, Greenpeace und der WWF. Ihnen war aufgefallen, dass das staatliche Lotto lieber Sport und Kultur förderte als Entwicklungshilfe und Umweltschutz. Über eine eigene Lotterie wollten sie sich Geld beschaffen, das – anders als oft bei Spendeneinnahmen – nicht von vornherein auf Einzelprojekte festgelegt ist.

Die Lotterieerlaubnis für Unsere Welt wurde der Stiftung erst erteilt und dann wieder entzogen, sodass sich Weiß in den vergangenen Jahren hauptsächlich mit juristischen Streitereien befassen musste. Seine eigentliche Aufgabe blieb unerledigt: mittels einer Lotterie Geld für Entwicklungshilfe und Naturschutz zu sammeln. Eine Erklärung dafür hat Weiß auch, und sie hat mit politischer Fügsamkeit zu tun. »Der Staat will ja nicht seine eigenen Kritiker fördern«, sagt er. »Eine staatliche Stelle würde vielleicht neue Bäume für einen Schulhof sponsern, aber sicher niemanden, der eine Demonstration gegen die Missstände im Atommülllager Asse organisieren könnte.«

Wie ein neues Glücksspielrecht aussehen könnte, ist nach dem Urteil völlig offen. Innerhalb der Europäischen Union gibt es zahlreiche Varianten der Glücksspielregulierung. Malta erlaubt beispielsweise Onlineglücksspiel, Italien nicht. Spielautomaten in Schweden darf nur der Staat aufstellen, in Frankreich sind sie außerhalb von Kasinos verboten, in Großbritannien hingegen auch in Klubräumen und Kneipen gestattet. Sportwetten sind im Vereinigten Königreich allgemein üblich, in Spanien aber einem staatlichen Monopol unterworfen – mit Sonderregelungen für Pferderennen in Andalusien.

Von einheitlichen europäischen Regeln kann in diesem Sektor längst mehr nicht die Rede sein. Der EU-Kommission sind die einzelstaatlichen Glücksspielmonopole schon lange suspekt, zumal kürzlich auch Urteile gegen Österreich, Schweden und die Niederlande ergangen sind. Gegen Deutschland haben Mitarbeiter von Binnenmarktkommissar Michel Barnier wegen des Staatsvertrags von 2008 sogar schon ein Vertragsverletzungsverfahren vorbereitet. Dass es bislang nicht formal eingeleitet wurde, erklären sie damit, dass die Kommission erst das Urteil des Europäischen Gerichtshofs habe abwarten wollen. Nun werde sie »die schwebenden Verfahren neu bewerten«.

Die Lottogesellschaften verteidigen dessen ungeachtet ihre Position. Nur Minuten nach der Urteilsverkündung lud der Verband der Europäischen Lotterien zur Pressekonferenz. Von einem Monopolverbot könne keinesfalls die Rede sein, stellte dessen Präsident Friedrich Stickler klar: »Im Gegensatz zu dem, was Befürworter einer Liberalisierung jetzt sagen, hat sich der Europäische Gerichtshof heute in keinster Weise für eine Liberalisierung von Glücksspiel ausgesprochen.« Deutschland sei lediglich zu strengeren Kontrollen aufgefordert worden, etwa beim besonders gefährlichen Automatenspiel.

Das juristische Hickhack um Lizenzen, Einsätze, Gewinne und Steuern hat eine lange Tradition, schon Dutzende Instanzgerichte und das Bundesverfassungsgericht mühten sich hierzulande damit ab. »Starke Umsatzeinbrüche der staatlichen Glücksspielanbieter« konstatierte daraufhin die Beratungsfirma Goldmedia. Online-Anbieter seien die großen Profiteure, arbeiteten jedoch »inzwischen vollständig im rechtsgrauen Raum. Private, ehemals deutsche Unternehmen wanderten ins Ausland ab.«

Der Spiellust hat das nicht geschadet. Von den knapp acht Milliarden Euro, die die Deutschen jedes Jahr bei Sportwetten einsetzen, landen Goldmedia zufolge gut sieben Milliarden Euro bei privaten Anbietern. Diese bieten ihre Dienste unreguliert, meist über das Internet und oft illegal an. Immerhin ist die Ausschüttungsquote bei Onlinewetten deutlich höher als bei den meisten klassischen Spielen, hat Goldmedia errechnet: 92 Prozent der Einsätze werden als Gewinn wieder ausgeschüttet, beim Lotto sind es 50 Prozent, bei Fernsehlotterien sogar nur 30 Prozent. Von Malta, Gibraltar oder anderen Standorten aus bedienen die privaten Veranstalter mit deutschsprachigen Internetseiten den heimischen Markt. Betfair, ein global agierender Wettkonzern mit Hauptsitz in London, würde das nach eigenem Bekunden ändern. »Wir würden gerne nach Deutschland kommen, und wir würden hierzulande gerne Steuern und Abgaben zahlen«, sagt Betfair-Manager Reinhardt.

Die Bundesländer planten automatische Sperren für Onlinekasinos

Das illegale Treiben im Internet lässt sich nur schwer bändigen. Diese Erkenntnis teilen die staatlichen Aufseher mit der Musikindustrie und den Fahndern, die die Verbreitung von Kinderpornografie über das Internet bekämpfen. Und auch in der Wahl der Waffen ähneln sich die drei Gruppen.

Was kaum bekannt war: Die Bundesländer arbeiteten vor einigen Jahren an Internetsperren für Glücksspielanbieter. Inspiriert durch das Vorhaben der Bundesregierung, Seiten mit kinderpornografischen Inhalten zu bannen, sollten die Netzbetreiber offenbar ebenfalls digitale Schranken für virtuelle Wettbüros und Pokerräume einrichten, um deutschen Surfern den Zugang zu ihnen zu verwehren. Im November 2008 jedenfalls wurden Telekom & Co durch die Gemeinsame Geschäftsstelle der obersten Glücksspielaufsichtsbehörden der Länder in Wiesbaden »informell« angehört, schreibt der frühere Präsident der Düsseldorfer Bezirksregierung, Jürgen Büssow, in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift für Wett- und Glücksspielrecht. Die Unternehmen seien von den Sperrplänen der Landesfürsten allerdings wenig begeistert gewesen, schreibt Büssow: »Eine Kooperationsbereitschaft vonseiten der Zugangsanbieter war in keiner Weise erkennbar.«

Das Thema Sperren war damit vorläufig erledigt. Doch der Staat sucht bereits nach Alternativen, um Monopol und Macht, Einfluss und Einnahmen auch in Zeiten kritischer EU-Richter und globaler Onlinekasinos sicherzustellen. Man könne beispielsweise versuchen, durch Druck auf die Banken die Auszahlung von Gewinnen auf deutsche Konten zu verhindern, schreibt Büssow. Allerdings seien die gesetzlichen Grundlagen bislang noch unklar formuliert. Eine Konkretisierung wäre »hilfreich«.

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