Der Staat kann nicht ohne Glücksspiel


Mit einem neuen Gesetz wollte die Politik den Markt für private Anbieter öffnen.
Doch es könnte ganz anders kommen.


Von Ileana Grabitz


Nach jahrelangen, erbitterten Kämpfen um die Ausgestaltung des neuen Glücksspielstaatsvertrags haben fast alle Bundesländer das umstrittene Regelwerk unterzeichnet. Doch schon bevor es seine Wirkung überhaupt entfalten kann, zieht bereits neuer Ärger auf: Nach Informationen der "Welt" plant die Politik massive Werbebeschränkungen, die allem voran die privaten Glücksspielanbieter auf die Barrikaden bringen. Größter Stein des Anstoßes ist für die Unternehmen, dass dem Entwurf einer neuen Werberichtlinie zufolge Marktteilnehmer künftig einzelne Werbemaßnahmen etwa für das TV oder im Internet bei einer Glücksspielbehörde vorlegen sollen - die dann über die Zulässigkeit der Aktion entscheiden kann.

In den Augen der Wirtschaft kommt dies einer Zensur gleich; entsprechend hitzig sind die Reaktionen: Eine Einzelfallvorlage von Werbemaßnahmen sei inakzeptabel, wettert etwa Jürgen Doetz, Vorsitzender des Verbandes Privater Rundfunk und Telemedien VPRT. "Würde dieser Entwurf umgesetzt, würde das zu einer Zensur der Werbung im Rundfunk oder anderen Medien durch die Hintertür des Glücksspielrechts führen." Auch Dietmar Wolff, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), lehnt eine inhaltliche Einzelfallprüfung von Werbung durch die Aufsichtsbehörden der Länder entschieden ab. "Sie wäre aufgrund des grundgesetzlichen Zensurverbots nicht verfassungskonform", so Wolff. Deutschland habe in Brüssel völlig zu Recht gegen eine europäische Zensur der gesundheitsbezogenen Lebensmittelwerbung gekämpft, wundert sich indes Christoph Fiedler, Geschäftsführer Medienpolitik beim Verband deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ). Umso unverständlicher sei, dass man diese nun bei Sportwetten freiwillig einführen wolle, so Fiedler. "Auch ohne Zensurbehörden kann man diese Werbung gut regeln." Verfassungsrechtler Ronald Reichert schließlich verweist auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, demzufolge Werbung als Meinungsäußerung zu verstehen sei: "Deshalb ist eine Zensur juristisch höchst problematisch", sagt er.

Insgesamt würde die Werberichtlinie Branchenbeobachtern zufolge das eigentliche Ziel des neuen Glücksspielstaatsvertrags - eine kontrollierte Öffnung des Marktes - unterminieren. Mit Verweis auf die Spielsuchtgefahr hatte die Politik das Lotto- und Sportwettenspiel 2008 unter staatliche Obhut gestellt. Dies hatte jedoch für den Staat unliebsame Folgen nach sich gezogen, weil ein erklecklicher Graumarkt entstand. Statt die staatlichen Angebote zu nutzen, zogen die Sportwettfans in Scharen zu ausländischen Anbietern ab - wodurch einerseits die erwünschten Kontrollmöglichkeiten ausblieben. Andererseits kamen Bund und Ländern Steuergelder im großen Stil abhanden.

Während das Land Schleswig-Holstein voranging und bereits im vergangenen Jahr ein eigenes, auf einem Lizenzmodell basierendes Glücksspielgesetz verabschiedete, hat man sich inzwischen auch im Rest der Republik auf eine Teilprivatisierung des Glücksspielmarkts geeinigt: Das Lotto verbleibt im Monopol, der Lottovertrieb darf weiterhin von privaten Anbietern abgewickelt werden. Darüber hinaus vergibt der Staat insgesamt 20 Lizenzen für Sportwettenanbieter. Ob und wie viele sich tatsächlich bewerben, dürfte dabei jedoch entscheidend davon abhängen, wie attraktiv die Rahmenbedingungen sind.

Die nun vorgesehenen Werberestriktionen dürften die Begeisterung der potenziellen Lizenznehmer allerdings nicht eben erhöhen. Kritiker monieren, dass der Entwurf für eine neue Werberichtlinie, der der "Welt" vorliegt, Lotterien und Soziallotterien weniger restriktiv behandele als etwa die Sportwetten. Der Verweis auf die niedrigere Suchtgefährdung des Lottospiels sei nicht überzeugend, heißt es, wenn staatliche Anbieter zeitgleich massiv Werbung betreiben dürften etwa für den neu eingeführten Eurojackpot, der Lottofans mit einem Jackpot mit Gewinnen von bis zu 90 Mio. Euro locke. "Wir sind unglücklich über die Ungleichbehandlung", sagt daher auch Jan Bolz, Chef des Sportwettenanbieters Tipico. Erschwerend hinzu kommt für die privaten Anbieter, dass etliche Details der Werberichtlinie so schwammig formuliert sind, dass eine verlässliche Einschätzung der Rahmenbedingungen kaum möglich ist. "Trikot- und Bandenwerbung für Sportwetten ist lediglich in Form der Dachmarkenwerbung zulässig", heißt es etwa an einer Stelle. In der Vergangenheit waren dem staatlichen Anbieter von Sportwetten, Oddset, derlei Werbemaßnahmen untersagt worden.

Oddset war daraufhin auf Werbekampagnen unter der Dachmarke Lotto umgeschwenkt. "Der Passus in der Richtlinie hört sich so an, als wolle man diese Umgehung im Nachhinein legitimieren", mutmaßt ein Branchenexperte. So oder so dürften die auf insgesamt 18 Seiten erläuterten Werberestriktionen das erwünschte Austrocknen des Grau- und Schwarzmarktes deutlich erschweren: "Legale Angebote können nur dann den illegalen Anbietern Marktanteile abnehmen, wenn sie auch werben dürfen", resümiert VDZ-Geschäftsführer Christoph Fiedler.

Ohnehin steht die neue deutsche Glücksspielregelung auf tönernen Füßen: Seitens der EU-Kommission etwa hat man bereits Zweifel angemeldet, ob die Beschränkung der Sportwettenlizenzen auf 20 gerechtfertigt ist; etwaige Störfeuer aus Brüssel sind daher nicht auszuschließen. Schon der letzte Glücksspielstaatsvertrag war in der EU auf Widerstand gestoßen. Der Europäische Gerichtshof hatte im Herbst 2010 das deutsche Glücksspielrecht für unzulässig erklärt. Ein Dorn im Auge war den Richtern damals vor allem die mangelnde Kohärenz der Regelung. So wurde das staatliche Monopol auf Lotto und Sportwetten damit begründet, dass staatliche Anbieter die Bürger am besten vor Spielsucht schützen können. Das ungleich suchtgefährdendere Automatenspiel durfte weiter von privaten Anbietern abgewickelt werden.

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