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Kassieren und therapieren


Zocker unter Kontrolle: Die Landesregierung will plötzlich ein Phänomen bekämpfen, für das sie sich bislang kaum interessiert hat - die Spielsucht. Während man dafür hunderttausende Euro ausgibt, werden mit Glücksspiel Millionen verdient.

ERFURT. Heinz Fracke kommt nicht raus. Der Abteilungsleiter aus dem Gesundheitsministerium hat auf der Fachtagung eine halbe Stunde über das Thema Glücksspielsucht geredet. Nun muss er weg, zum nächsten Termin. Doch die große Flügeltür ist abgeschlossen. Fracke klinkt, stutzt und geht dann zur nächsten Tür im Saal. Die ist offen.

Michael Rautenberg dagegen hat lange nach einem Ausweg gesucht. Über zwölf Jahre hinweg hat der Erfurter sein ganzes Geld an Automaten in Spielhallen verzockt. Seine Ehe ging in die Brüche. Als er sich zwingen will, aufzuhören, klappt das ein paar Tage. Dann legt sich in seinem Kopf ein Schalter um: Er bricht zusammen.

Wie Rautenberg, heute 46, soll künftig anderen Spielsüchtigen geholfen werden. 200 000 Euro will das Land dafür in diesem und im nächsten Jahr ausgeben. Wenig Geld für viele Pläne, sollen damit doch Ursachen der Sucht erforscht, Therapien entwickelt, auf Gefahren aufmerksam gemacht und ein flächendeckendes Hilfsangebot bereitgestellt werden.

Der Kampf gegen die ausufernde Zockerei kommt als verantwortungsbewusste Wohltat daher. Doch vor allem ist er eine große Show. Es gebe, stellte das Gesundheitsministerium jüngst in einem internen Papier fest, nicht einmal verlässliche Angaben über die tatsächliche Zahl der Glücksspielsüchtigen - groben Schätzungen zufolge sind es etwa 8000 Menschen.

Die Entdeckung der Spielsucht verdankt der Freistaat auch weniger Medizinern als vielmehr den Juristen: Vor zwei Jahren musste das Bundesverfassungsgericht entscheiden, ob privaten Sportwetten-Anbietern weiterhin das Geschäft verboten werden dürfe. Das Verbot, urteilten die Richter, sei eigentlich nicht zulässig. Gerechtfertigt sei das Staatsmonopol nur, wenn es konsequent auf die Bekämpfung der Sucht ausgerichtet sei.

Diese Sonderregel nutzt Thüringen seither aus und hat sich mit den anderen Bundesländern auf einen Staatsvertrag geeinigt, der Suchtprävention zur Vorgabe macht und Hilfsangebote vorschreibt - zugleich aber auch das Monopol sichert und die private Konkurrenz ausbremst.

Dass nun gewissermaßen der Dealer verspricht, die Junkies zu heilen, weist Heinz Fracke von sich: Die Menschen hätten einen natürlichen Spieltrieb und der lasse sich nicht unterdrücken. Das Bedürfnis müsse also in geordnete Bahnen gelenkt werden. Tatsächlich aber, heißt es unter der Hand aus Frackes Behörde über die wahre Motivation, müsse man vor allem den Gerichten beweisen, wie ernst man den Kampf gegen die Spielsucht führe. Schließlich kassiert das Land Jahr für Jahr zweistellige Millionenbeträge an Steuern und Abgaben von Spielcasino und Lottogesellschaft.

Heuchelei im Anti-Sucht-Feldzug will aber auch Lotto-Sprecherin Andrea Bühner nicht erkennen. Hardcore-Zocker spielen kein Lotto, argumentiert sie. "Lotto ist langweilig."

Nach seinem Zusammenbruch hat sich Michael Rautenberg in eine Klinik einweisen lassen. In Gesprächsrunden mit Alkoholikern stellte er fest: "Ich spiele aus ähnlichen Gründen wie die trinken." Er macht eine Therapie. Und was ist heute mit Automaten, dem Blinken, Klingeln und Klimpern? "Erst hat mich das angezogen, dann habe ich es gehasst, inzwischen ist es mir egal."

08.07.2008 Von Michael WASNER

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