"Durchaus zweifelhaft"


Das Lotto-Monopol des Staates wankt: Private Wettbewerber decken Gesetzesbrüche auf,
Richter und EU-Politiker rügen den Staatsvertrag


Für 1,85 Euro versuchte Ricarda R. ihr Glück. In einem Zeitungsladen in Bergisch Gladbach nahm sie einen Spielschein "6aus49" aus dem Fach. Sie kreuzte sechs Zahlen an, 3, 6, 16, 19, 30, 41, und im zweiten Feld nochmal sechs. Es waren Pechzahlen.

Statt eines Gewinns bescherte ihr der Spielschein Nummer 0828227 juristische Unannehmlichkeiten. Demnächst muss die junge Frau aus Nordrhein-Westfalen vielleicht sogar vor Gericht erscheinen – als eine Art Kronzeugin im Kampf privater Wettspielanbieter gegen die staatliche Konkurrenz.

Ricarda R. war erst 17, als sie ihren Lottotipp am 1. April 2008 abgab. Der Verkäufer hatte sie weder nach ihrem Alter gefragt noch ihren Ausweis verlangt. "Ein klarer Verstoß gegen das Gesetz", wettert der gewerbliche Lottovermittler Stephan Heuberger, Geschäftsführer der Firma LGS mit Sitz in Schutterwald (Baden-Württemberg).

Wegen unlauteren Wettbewerbs gehen Heuberger und sein Anwalt Christoph Schmitt juristisch gegen das staatliche WestLotto vor. Anfang Mai drückten sie dem Rivalen eine einstweilige Verfügung aufs Auge. Nun reichten sie beim Landgericht Wuppertal Klage ein.

WestLotto habe "nachhaltig und wiederholt" gegen seine Verpflichtungen aus dem Glücksspielstaatsvertrag verstoßen, heißt es in der umfänglichen Klageschrift. "Entgegen den Verboten" lasse die Gesellschaft "die Teilnahme von Minderjährigen an den Spielen "6aus49" sowie "Super6" zu.

Seine Anschuldigungen stützt Heuberger auf eigene Recherchen. Nachdem er vom Fall Ricarda R. erfahren hatte, schickte er mehrere Minderjährige als Testspieler los. "In acht Fällen konnten sie problemlos Lotto spielen, etwa in Düsseldorf, Wuppertal und Kaarst", berichtet Klägeranwalt Schmitt.

Die Chancen, dass die Richter dem Treiben des Lottoriesen aus Münster (Jahresumsatz 1,7 Milliarden Euro) ein Ende setzen, stehen so schlecht nicht. Laut Gesetz dürfen Jugendliche unter 18 Jahren weder Sportwetten abschließen noch Lotto spielen. Das haben die Bundesländer im so genannten Glücksspielstaatsvertrag festgelegt, der seit Anfang dieses Jahres gilt.

Das Papier setzt die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts um. Karlsruhe hatte 2006 das Lottomonopol der Länder zwar erlaubt, jedoch an strenge Regeln geknüpft. Der Staat muss die Bürger vor Spielsucht schützen und Jugendliche vom Spiel fern halten.

Wie halbherzig sich der Monopolist an diese Spielregeln hält, offenbarte eine von privaten Wettbewerbern in Auftrag gegebene Studie. Ein unabhängiges Marktforschungsunternehmen schickte im Frühjahr 2008 Dutzende Testkäufer in bundesweit mehr als 750 Lottoshops. Die Bilanz: Viele Jugendliche zwischen 16 und 17 Jahren konnten problemlos auf Fußballspiele wetten. Selbst 14-jährigen Kindern gelang dies in etlichen Fällen (FOCUS 28/2008).

Das gegen WestLotto laufende Verfahren ist nur eines von vielen im erbitterten Streit zwischen privaten und staatlichen Anbietern. Mit allen Mitteln versuchen die Beteiligten, dem Gegner am Zeug zu flicken. Experten sprechen von einem regelrechten "Lotto-Krieg".

Ausgetragen wird er vor den Gerichten. Landauf, landab schlagen sich die Kammern mit den Auswirkungen des Staatsvertrages herum – und fällen höchst unterschiedliche Urteile. Mal drücken staatliche Anbieter durch, dass private Wettbewerber ihre Aktivitäten einstellen müssen. In anderen Fällen setzen diese sich erfolgreich gegen ihre Verdrängung vom Markt zur Wehr.

Wie skurril es dabei mitunter zugeht, zeigt ein Beispiel aus Bayern. Im April strafte das Oberlandesgericht München die Staatliche Lotterieverwaltung per einstweiliger Verfügung wegen Verstößen gegen das Werbeverbot ab. Ein halbes Jahr später stehen die Werbe-Aufsteller immer noch vor Lottoannahmestellen. Magnus von Zitzewitz, Co-Chef von Bet 3000: "Die staatliche Lotterieverwaltung ignoriert nicht nur die eigene Gesetzgebung, sondern auch die Rechtssprechung der obersten Gerichte. Das ist ein Skandal."

Hoffnung schöpfen können die Privaten aus Urteilen wie jenem, das am 22. September in Berlin erging. Das Verwaltungsgericht stellte zentrale Punkte des Glücksspielstaatsvertrags in Frage und gab dem Kläger Tipp24 in weiten Teilen Recht. Die börsennotierte Firma vermittelt vom Staat angebotene Lotterien im Internet – ganz legal, wie das Gericht im Gegensatz zum Land Berlin befand. Das ab 1. Januar 2009 geltende Verbot, Lotto online zu vermitteln, sei auf den Kläger "nicht anwendbar".

Jens Schumann, Vorstandsvorsitzender von Tipp24, wertet das Urteil als "großen Erfolg". Es stelle sicher, "dass wir auch 2009 in Berlin tätig sein können". Andere Online-Vermittler, die durch den Staatsvertrag in Existenznot geraten, werden sich "auf die Entscheidung berufen", glaubt Schumann.

Gestärkt gehen die Gewerblichen auch aus einem Rechtsstreit hervor, den das Verwaltungsgericht Stuttgart am vergangenen Dienstag vorläufig beendete. Es entschied, dass private Buchmacher mit einer DDR-Lizenz bundesweit Sportwetten vermitteln dürfen. Die aktuelle Gesetzeslage kommentierte der Vorsitzende Richter Richard Rudisile wie folgt: "Ob der Glücksspielstaatsvertrag und seine Anwendung mit Verfassungs- und Europarecht vereinbar sind, ist durchaus zweifelhaft."

In Brüssel bestehen solche Bedenken seit langem. Schon vor der Verabschiedung des Staatsvertrags hatte die Europäische Kommission zentrale Punkte scharf kritisiert, im Januar leitete sie ein Vertragsverletzungsverfahren ein. Vor wenigen Wochen forderte EU-Binnenmarkt-Kommissar Charlie McCreevy erneut mehr Rechte für private Lotto- und Wettanbieter.

Das staatliche WestLotto ist mit Rechten reich gesegnet. Allein mit der Erfüllung von Pflichten scheint es zu hapern. Geschäftsführer Winfried Wortmann räumt Verstöße gegen den Jugendschutz ein, beteuert aber: "Wir tun alles, um so etwas zu verhindern." So seien 17.000 Mitarbeiter von 3800 Annahmestellen ausgiebig auf die neue Rechtslage eingeschworen worden. "Hundertprozentige Sicherheit", so Wortmann, "gibt es nicht".

Eine Kundenkarte mit Foto und Personalien, wie sie bei Sportwetten Pflicht ist, lehnen die Anbieter für das klassische Lotto ab. Sie fürchten um die vielen Spontan-Spieler, die oft nur vorbeischauen, wenn ein satter Jackpot lockt. Bei Oddset führten Registrierungspflicht und Werbebeschränkungen bereits zu massiven Umsatzeinbrüchen.

Branchenkenner schätzen, dass dem Lotteriewesen durch den Staatsvertrag jedes Jahr Umsätze in Milliardenhöhe durch die Lappen gehen. Leidtragende sind die Länder sowie Sportvereine, kulturelle und soziale Einrichtungen. Dank der aktuellen Rechtslage dürfen sie auf Geld aus Lottoüberschüssen kaum mehr hoffen.

Quelle: Focus
Quelldatum: 13.10.2008
Quellseite: 60
Autor: Göran Schattauer



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Aus eigener Erfahrung kann ich nur bestätigen, dass in der
Vergangenheit ohne Bedenken Lotto- und Totoscheine von
Minderjährigen in Lottoannahmestellen verarbeitet wurden.

Mit 16 und 17 Jahren habe ich jede Woche bei denen getippt.

Durch Lotto bin ich überhaupt erst zum Zocken gekommen. ups
Wo war damals die sogenannte Suchtprävention der heuchlerischen Staatsmonopolisten? warum


Aber ich sehe es schon kommen, dass die Rechtsbrecher bei Lotto auch noch
eine Kundenkarte und die Totalüberwachung bei den Lottospielern einführen. vogel