Neuer Staatsvertrag

Der Kampf um das lukrative Glücksspielmonopol

Der Glücksspielmarkt liegt in einer Grauzone zwischen staatlichem Monopol und privaten Betreibern.
Die Ministerpräsidenten sollen das Chaos beenden.


Am Kölner Ring ist die Welt an diesem Morgen in Ordnung. Nur drei Kunden sitzen vor den sieben Großbildschirmen bei „Wetten Efroni“. Am Abend zuvor „war der Laden voll, Bayern, Champions League, da kommen die Leute“, sagt Christine Efroni. Anfang November hat sie ihr Sportwettgeschäft eröffnet, und trotz der unsicheren Rechtslage ist das Kölner Ordnungsamt bisher mit keiner Schließungsanordnung vorstellig geworden.

Die 51-Jährige ist erleichtert. Mit ihrem Mann betreibt sie seit Jahren an Rhein und Ruhr mehrere Wettbüros und hat schon ganz andere Zeiten erlebt: Hausdurchsuchungen, versiegelte Wettläden, Zwangsgelder, Kontenpfändung.

Im März 2006 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass nur der Staat die Bürger wirksam vor Spielsucht schützen kann. So zementierte Karlsruhe ein Monopol der Bundesländer auf Lotto und Sportwetten. Wer privat dieses Geschäft betreiben wollte, tat es fortan illegal. Seither bekriegen sich Länder und private Wettanbieter, die Klageflut reicht von den Verwaltungsgerichten bis zum Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg.

Da die Urteile zuweilen für, zuweilen gegen das staatliche Monopol ausfallen, liegt der deutsche Glücksspielmarkt seit Jahren in einer Grauzone. Hunderte private Wettbüros in der ganzen Bundesrepublik mussten ganz oder zeitweilig schließen – je nachdem, was die Richter entschieden und wie die zuständigen Beamten mit diesen Entscheidungen umgingen.

Wenn kommende Woche die 16 Ministerpräsidenten der Länder in Berlin zusammentreffen, könnten sie dem Chaos ein Ende bereiten. Sie müssen sich dazu nur auf einen neuen Glücksspielstaatsvertrag einigen, der geltende Pakt läuft Ende 2011 aus. Eine Neuregelung ist nicht nur aus Sicht der Privatwirtschaft dringend notwendig. Leidtragende der verkorksten Rechtslage sind auch die Länder selbst.

Werbebeschränkungen führen zu Umsatzeinbußen

Denn die Werbebeschränkungen für staatliches Glücksspiel, zum Schutz der Spieler aufgestellt, haben den staatlichen Lotterie- und Sportwettgesellschaften dramatische Umsatzeinbußen gebracht. Dieser Umstand schmerzt auch Politiker immens. Seit jeher kommen den Ländern 40 Prozent der milliardenschweren Glücksspieleinnahmen zugute – die sie wiederum an Sport-, Bildungs- oder soziale Projekte verteilen dürfen.

Am Mittwoch treffen nun die Verfechter des Monopols und die Liberalisierungsbefürworter aufeinander. Die Länder müssen eine Grundsatzentscheidung treffen: Soll es eine Öffnung geben, mit Konzessionen für private Betreiber? Oder totale staatliche Kontrolle, unter die womöglich auch die riesige Spielautomatenindustrie fallen müsste? Letzteres wollen SPD-geführte Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen oder Rheinland-Pfalz.


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Glücksspiel-Staatsvertrag
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Staatsvertrag

Geregelt wird das staatliche Glücksspielmonopol per Staatsvertrag, den die 16 Bundesländer abgeschlossen haben. Der aktuelle Glücksspiel-Staatsvertrag trat 2008 in Kraft. Er gilt bis 2011. Er schließt private Internetangebote von Lotterien, Sportwetten und Spielbanken weitgehend aus. Schleswig-Holstein hatte seinerzeit lange gezögert, dann aber doch unterzeichnet.

Verfassungsgericht

Der neue Vertrag war notwendig geworden, weil das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2006 entschieden hatte, dass das Glücksspiel unter staatlicher Kontrolle nur aufrecht zu erhalten ist, wenn Spielsucht stärker bekämpft und Spieler besser geschützt werden.

Befürworter

Befürworter des staatlichen Glücksspielmonopols argumentierten, dass Auflagen zum Schutz von Spielern so wirkungsvoller umgesetzt werden könnten. Staatliche Lottogesellschaften verwiesen auch darauf, dass jährlich drei Milliarden Euro für das Gemeinwohl bereitgestellt würden. Dieses Fördervolumen sei bei einer Marktöffnung gefährdet.

Ablehner

Gegen das staatliche Lottomonopol machten seit Jahren private Glücksspielanbieter Front. Sie warfen den Ländern vor, unter dem Vorwand der Suchtprävention sollten private Vermittler und Lotterieeinnehmer vom Markt gedrängt werden. Lotto unterliege zudem dem europäischen Wettbewerbsrecht. Kritik am Monopol kam auch vom Deutschen Fußball-Bund (DFB), der der Deutschen Fußball Liga (DFL), der Werbewirtschaft und privaten Rundfunkbetreibern.

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Fortsetzung Haupttext:

Setzen sie sich durch, droht allerdings Streit mit der EU-Kommission. Dort läuft seit Anfang 2008 ein Vertragsverletzungsverfahren, weil die deutsche Regelung des Glücksspielmarkts nicht mit europäischen Binnenmarktregeln vereinbar ist.

Dazu kommt ein wegweisendes Urteil des EuGH von Anfang September. Die Richter in Luxemburg erklärten das staatliche Monopol auf Lotto und Sportwetten erstmals für unzulässig, weil die Länder die verschiedenen Glücksspiele „nicht in kohärenter Weise“ behandelten. Will heißen: Wenn der Staat sagt, er brauche sein Monopol für den Schutz der Bürger vor Spielsucht, dann muss das für alle Glücksspiele gelten, nicht nur für Sportwetten.

Angst vor Schadenersatzforderungen

In vielen Städten halten sich die Ordnungsämter seitdem zurück – zu groß ist die Angst, dass mit einem juristischen Sieg der Privaten riesige Schadenersatzforderungen auf die öffentlichen Kassen zukämen. Doch auf politischer Ebene bleiben die Fronten verhärtet. Drei Gesetzesentwürfe schieben die Landesregierungen untereinander hin und her, das Klima ist aufgeheizt, eine Einigung noch vor Ende des Jahres scheint aussichtslos.

Schleswig-Holstein und Hessen, beide schwarz-gelb regiert, plädieren für eine Beibehaltung des Lottomonopols, wollen aber die Sportwetten über ein Lizenzmodell liberalisieren – eine Regelung, die bereits in verschiedenen anderen europäischen Ländern funktioniert und daher auch vor dem EuGH Bestand haben dürfte. Um Fakten zu schaffen, hat Schleswig-Holstein bereits einen entsprechenden Gesetzesentwurf im Landtag eingebracht – und damit zum Kampf geblasen.

„Die bisherigen Puristen, die zum Verfall des deutschen Lotteriewesens beigetragen haben, werden begreifen müssen, dass wir den riesigen Graumarkt im Sportwettenbereich durch ein Lizenzmodell besser kontrollieren und gleichzeitig die Einnahmen erhöhen werden“, sagt Wolfgang Kubicki, FDP-Fraktionschef in Kiel, und setzt warnend nach: „Schleswig-Holstein steht mit dieser Initiative nicht allein.“ Unklar ist noch, wie viele Länderchefs am Ende seinen Thesen folgen.

Theo Goßner, Vizechef bei der staatlichen Gesellschaft Westlotto, hält Lizenzen für Teufelszeug: Staatliche Lotterien hätten dann nur noch eine Rolle, die „weder nachhaltig der Suchtbekämpfung dient noch die Erwirtschaftung von Geldern für soziale Zwecke möglich machen wird“.

Schon mittags brummt das Geschäft

Thomas Breitkopf mag sich nicht ausmalen, was passiert, wenn sich die Monopolisten am Ende durchsetzen. Der Chef des Berliner Automatenbetreibers TB Automatenhandel und Sprecher des Verbands der Automatenkaufleute Berlin und Ostdeutschland kennt die Blüten staatlicher Ordnung bereits gut genug. Nicht einmal zwölf Uhr mittags ist es, doch in seiner Spielhalle im Ostberliner Bezirk Schöneweide ist schon viel zu tun.

Draußen bringen riesige Schneeflocken die Großstadt zum Schweigen, hier drinnen wird schon jetzt gedaddelt was das Zeug hält. Acht von zwölf Plätzen vor den wild blinkenden Glücksspielautomaten sind belegt, in gebührendem Abstand voneinander starren die Männer auf die Blinklichter, drücken Knöpfe, starren, hoffen, starren wieder, gesprochen wird kaum.

Dem Spielhallenbesitzer ist klar: Wenn sich die Verfechter des Monopols durchsetzen, dann gehen bei ihm in Schöneweide die Lichter aus. Dabei verhängen Bund und Länder seit Jahren zunehmend mehr Auflagen für die Glücksspielanbieter „und das völlig zu Recht“, wie Breitkopf meint. Wie vom Gesetzgeber gewollt, wird in seinen Läden beispielsweise kein Alkohol ausgeschenkt.

Pro Konzession warten maximal zwölf Automaten auf Kunden, das Personal ist in Fragen der Suchtprävention geschult. Einprogrammierte Daddelpausen gehören genauso dazu wie die Flyer mit Kontaktadressen für Spielsüchtige. Zwischen den Spielgeräten liegen drei Meter Abstand, um ein paralleles Spiel zu unterbinden.

Umso fassungsloser ist Breitkopf, dass der Branche noch mehr Regulierung droht. Gerade erst hat der Unternehmer hautnah zu spüren bekommen, wozu politischer Aktionismus in puncto Suchtprävention führen kann: Anfang November beschloss der Berliner Senat, die Vergnügungssteuer ab 2011 von derzeit elf auf 20 Prozent zu erhöhen. „So viel können die kleinen Automatenbetreiber niemals bezahlen“, wettert Breitkopf, der mit einer Pleitewelle unter den rund 400 legalen Anbietern in der Hauptstadt rechnet. Die Folgen wären aus seiner Sicht dramatisch und würden dem Sinn der Regulierung widersprechen: „Der illegale Markt, der schon jetzt doppelt so groß wie der legale Markt ist, boomt weiter.“
So harren die privaten Anbieter der Entscheidung, die nun zwischen den Ländern ausgehandelt wird. Angesichts klammer öffentlicher Kassen müssen sie fürchten, dass sich der Staat an das Monopol klammert. Bis dahin bleibt den Privaten nur der bisherige, mühevolle Weg: vor Gericht klagen – und hoffen, dass das Ordnungsamt den Laden erst einmal nicht schließt.

Quelle: welt.de mit Kommentaren