"Wir sind nicht nur Hechtmichel"

Der VfB-Torwarttrainer Eberhard Trautner über Raphael Schäfer, Oliver Kahn und ein Stuttgarter Leitbild

Eberhard Trautner hat sich dem Torhüterwesen verschrieben. 1981 kam er als 14-jähriger Nachwuchskeeper zum VfB Stuttgart und hat gerade seinen Vertrag als Torwarttrainer beim Fußball-Bundesligisten bis 2011 verlängert. "Mein Ziel ist es, einen mitspielenden Torhüter auszubilden. Ich nenne es das Hase-und-Igel-Prinzip - und wir Torhüter sind die Igel", sagt der 40-Jährige im Gespräch mit Carlos Ubina.

Herr Trautner, selbst eingefleischten Fans fällt es oft schwer, eine Torhüterleistung angemessen zu bewerten. Sagen Sie als Experte doch einmal, worauf es ankommt.
Eberhard Trautner: Der frühere VfB-Trainer Willi Entenmann hat es einmal so formuliert: du bist dann ein guter Torwart, wenn du alle vermeintlich einfachen Bälle sicher hältst und dabei nie einen Fehler machst. Diese Einschätzung hat mich geprägt.

Und wie sieht es mit den sogenannten Unhaltbaren aus?
Eberhard Trautner: Du stichst als Torwart hervor, wenn du ab und zu einen schwierigen Ball parierst oder eine Einsgegeneinssituation entschärfst.

Ist die Stuttgarter Nummer eins, Raphael Schäfer, so gesehen ein guter Torwart?
Eberhard Trautner: Auf jeden Fall. Das Können ist vorhanden, sonst hätte er viele Situationen nicht gemeistert. Als er in der vergangenen Saison mit dem 1. FC Nürnberg dreimal gegen uns gewonnen hat, habe ich mich auf der Bank mehrmals über seine Qualitäten geärgert. Er hat immer sehr gut mitgespielt und dadurch VfB-Chancen vereitelt.

Dennoch gab es während der Vorrunde öfters Kritik an dem zu Saisonbeginn verpflichteten Schlussmann.
Eberhard Trautner: Ein Torwart kann größtenteils nur reagieren. Deshalb ist kein Spieler so abhängig von der Mannschaft wie ein Torhüter. Andererseits braucht die Mannschaft auch einen Rückhalt, um besser zu funktionieren. Aufgrund der vielen Verletzten und zahlreichen Spiele in der Vorrunde gab es kaum Gelegenheit, ein blindes Verständnis zwischen Raphael und den Abwehrspielern herzustellen. Das hat sich dann in der beiderseitigen Verunsicherung bemerkbar gemacht.

Wird nun alles besser?
Eberhard Trautner: Wir arbeiten daran. Beim Torwarttraining können wir aber nur den perfekten Bewegungsablauf üben. Tausendfach. Die komplexen Spielsituationen lassen sich jedoch nicht simulieren. Dazu braucht es Spielformen und letztendlich Spiele. Aber auch da versuchen wir, durch aktives Coaching einzugreifen. Nur so lassen sich Erfahrungswerte vermitteln. Es ist ja kein Zufall, dass ältere Torhüter so gut sind. Sie wissen genau, was zu tun ist, obwohl sie langsamer sind und nicht mehr so hoch springen.

Sie arbeiten aber nicht nur mit den Profis des VfB, sondern sind auch im Jugendbereich tätig.
Eberhard Trautner: Wir haben beim VfB ein gutes Torwarttrainerteam zusammengestellt. Seit vergangener Saison ist von den D-Junioren an bis zu den A-Junioren ein Torwarttrainer zugeordnet, das garantiert eine gewisse Qualität. Über Thomas Walter beim Regionalligateam geht es dann weiter bis zu mir bei den Profis.

Warum ist dem VfB eine gute Torhüterausbildung so viel wert?
Eberhard Trautner: Der Verein will es einfach ermöglichen, auch hier durchgehend eine Philosophie zu haben. Ich selbst habe in der Jugend noch unter der Torhüterlegende Günter Sawitzki trainiert, da waren wir so viele, dass ich oft nur ein paar Mal rechts und links springen konnte, bis der nächste an der Reihe war.

Auf welche Kriterien achten Sie bei der Auswahl eines Torwarttalents?
Eberhard Trautner: Auf die torwartspezifischen Bewegungsabläufe. Ein Torwart muss etwas Pantherhaftes haben, giftig in seinen Aktionen sein. Es reicht nicht, zwei Köpfe größer als die anderen zu sein.

Viele andere Eigenschaften lassen sich aber antrainieren?
Eberhard Trautner: Ja. Wir Torhüter sind aber nicht nur die Hechtmichel. Mein Ziel ist es, einen mitspielenden Torwart auszubilden. Ich nenne es das Hase-und-Igel-Prinzip - und wir Torhüter sind die Igel.

Überall, wo der Stürmer auftaucht, soll der Torwart schon sein.
Eberhard Trautner: Richtig. Man muss immer mitdenken und sehr gut dirigieren, damit man die gegnerischen Aktionen in eine bestimmte Richtung lenkt. Das steigert die Chancen eines Torhüters, gut auszusehen.

Insgesamt scheinen die Anforderungen an Torhüter gestiegen zu sein.
Eberhard Trautner: Das stimmt. Das Spiel ist schneller geworden, die Bälle haben Extrabeschichtungen und flattern. Vor allem ist es aber seit der Einführung der Rückpassregel schwieriger geworden. Zu meiner Zeit war man mehr ein Spezialist. Ich musste mich zum Beispiel nicht groß um Bodenabstöße kümmern.

Im modernen Fußball ist nun allerdings der elfte Feldspieler gefordert.
Eberhard Trautner: Ein Torhüter hat heute vielleicht 40 Aktionen im Spiel, davon muss er über die Hälfte mit dem Fuß bewältigen. Es kommt nicht von ungefähr, dass die Toptorhüter wie Peter Cech oder Edwin van der Saar fußballerisch sehr gut sind.

Und was halten Sie von dem Welttorhüter Gianluigi Buffon?
Eberhard Trautner: Ein kompletter Torwart, ebenso wie Jens Lehmann und Timo Hildebrand. Oliver Kahn ist der letzte Große der alten Garde. Ein absoluter Spezialist, weltklasse in seinen Reaktionen - und der geht. Jetzt erinnert mich René Adler aus Leverkusen manchmal an Oliver Kahn. Da frage ich mich öfters, wie hat er den Ball jetzt rausgezwickt.

Wahrscheinlich, weil er durch ein gutes Torwarttraining bestens vorbereitet wurde.
Eberhard Trautner: Ich habe gelernt, dass man in diesem Job nie aufhören darf, Kind zu sein, wenn man sich verbessern will. Kinder fragen immer nach dem Warum und setzen sich keine Grenzen. Genau das müssen wir auch tun. Ein Fehler muss so lange analysiert werden, bis man an den Kern kommt. Anschließend kann man dann eine methodische Übungsreihe aufbauen, um diesen zu beheben.

Quelle: Stuttgarter Zeitung